Rheinland-Pfalz „Keine Verlässlichkeit mehr“

Ministerpräsidentin Malu Dreyer erklärt der Öffentlichkeit ihre Personalpläne. Sie präsentiert sich als harte Regierungschefin und sendet die Botschaft: Die Ära Kurt Beck ist endgültig vorbei. In der SPD gibt es wenig Kritik, aber einige Verunsicherung nach Dreyers Paukenschlag.

MAINZ. Mit einer Liebeserklärung an Rheinland-Pfalz wollte Malu Dreyer beginnen: „Ich bin mit Leib und Seele Ministerpräsidentin ...“ Doch Tonleitung und Lautsprecher waren tot. Also standen die Neuen in Dreyers Regierungsmannschaft und ihre Chefin zwei Minuten ratlos schweigend vor der Journalistenschar bis die technische Panne behoben war. Am Vortag war durchgedrungen, dass die 53-Jährige knapp zwei Jahre nach ihrem Amtsantritt eine Regierungsumbildung von rekordverdächtigem Ausmaß plant. Gestern trat Dreyer an, es der Öffentlichkeit zu erklären. Die Botschaften der Ministerpräsidentin: Beim Nürburgring wurden in guter Absicht Fehler gemacht, dafür ist politische Verantwortung zu tragen. Finanzminister Carsten Kühl und SPD-Fraktionschef Hendrik Hering müssen gehen. Die Botschaft aber auch: Solche aus der Ära Beck, die zwar am Nürburgring nichts verbockt, aber an anderer Stelle vielleicht nicht immer die optimale Figur gemacht haben, müssen ebenfalls gehen. Justizminister Jochen Hartloff und Europaministerin Margit Conrad werden ebenfalls entlassen. Und eine dritte Botschaft sandte Malu Dreyer gestern: Hier steht ein starke Frau, die durchgreifen kann und will: „Wir haben die Kraft, uns in Regierungsverantwortung personell zu erneuern.“ Ihre Neuen lobte Dreyer in den höchsten Tönen: Die künftige Finanzministerin Doris Ahnen sei die erfahrenste Ministerin im Kabinett und seit Jahren eine der wichtigsten Konstanten der Landespolitik, entscheidungsfreudig und fachlich hochkompetent. Die neue Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler sei als ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung und als Expertin für den demografischen Wandel ein Gewinn fürs Land.  Die CDU hatte schon eine Stunde früher ihre Sicht der Dinge erläutert: Ahnen sei kaum für das Amt der Finanzministerin geeignet, könne sie doch als amtierende Bildungsministerin noch nicht einmal den Unterrichtsausfall im Land richtig zählen. Und Bätzing sei bisher nur dadurch aufgefallen, dass sie zweimal ihren Bundestagswahlkreis verloren und die Einführung einer Biersteuer vorgeschlagen habe.  Die CDU überlegt, ob sie gegen Dreyer einen Misstrauensantrag stellen soll. Die Fakten, die dafür sprechen, seien ausreichend, sagte Fraktionsvize Adolf Weiland gestern. Nächste Woche wird das wohl noch nicht passieren. Am Mittwoch will Dreyer ihre neuen Minister ernennen. Anschließend sollen sie in einer Sondersitzung des Landtags vom Parlament bestätigt werden. Das Erdbeben, das die Ministerpräsidentin knappe zwei Wochen vor dem SPD-Parteitag mit ihrer Regierungsumbildung ausgelöst hat, verunsichert manche Genossen. Es sei ein Bruch mit der früher gelebten Verlässlichkeit. „Die alten Zusagen von Kurt Beck werden über Bord geworfen, es gibt keine Verlässlichkeit mehr“, sagt ein SPD-Mitglied und wählt einen drastischen Begriff, um die bisher in der Geschichte des Landes beispiellose Umbildung des Kabinetts zu umschreiben. Eine „Schlachtung“ sei dies gewesen, kein Befreiungsschlag.  Auch die von Dreyer gewählten Abläufe werden unterschiedlich bewertet. Aus ihrem Umfeld ist zu hören, es sei bewusst in Kauf genommen worden, dass die Namen bereits vor den Gremiensitzungen der SPD am Abend durchgesickert sind. Andere halten es hingegen für einen Fehler, dass die Ministerpräsidentin anderen die Deutungshoheit über ihre Beschlüsse überlassen hat.  In der abendlichen Sitzung der SPD-Landtagsfraktion und des SPD-Landesvorstands wurde über Dreyers Entscheidung nicht formal abgestimmt. Parteichef Roger Lewentz sagte direkt danach, die Gremien würden die personellen Änderungen einhellig mittragen. Das wird aus Teilnehmerkreisen bestätigt. Nur eine Stimme habe sich erhoben, die den Weg Dreyers als falsch bezeichnet habe. Übereinstimmend wird berichtet, dass die Emotionen sehr hochgekocht seien. Fraktionsmitglieder hätten beklagt, dass nun mehrere Personen gehen müssten, die sich persönlich nichts zu Schulden hätten kommen lassen. Wie es heißt, sah Dreyers ursprünglicher Plan so aus, das Kabinett im Januar 2015 mit Blick auf die Landtagswahl ein gutes Jahre später ohnehin umzubilden. Justizminister Jochen Hartloff und Europaministerin Margit Conrad hätten dann ihren Posten verloren. Nun sei es wegen der anhaltenden Nürburgring-Debatte vorgezogen worden. In der Partei gibt es aber auch die Stimmen, die Dreyer Respekt zollen, wie sie diese drastische Maßnahme durchzieht. Mit jedem Betroffenen hat sie vorher persönlich gesprochen, dies sei sicher nicht einfach gewesen, heißt es. Einige Genossen in der Pfalz treibt eine andere Sorge um: Pfälzer seien in der neuen Regierungsmannschaft kaum noch vertreten. Vorbei die Zeiten, als Kurt Beck mit gleich mehreren Ministern aus der Pfalz am Kabinettstisch saß. Jochen Hartloff (Kusel) und Margit Conrad (Donnersbergkreis) müssen den Hut nehmen. Die in der jüngeren Vergangenheit „sehr nordlastige Besetzung von Gremien“ werde noch für innerparteiliche Diskussionen sorgen, orakelt ein Genosse aus der Westpfalz. Der Befund: Wenn wie geplant auch Alexander Schweitzer (Südliche Weinstraße) als Sozialminister geht, verschwindet mit dem Regierungsumbau das dritte und letzte Pfälzer Gesicht aus der Ministerriege. Immerhin: Schweitzer wird als Fraktionsvorsitzender an Einfluss gewinnen. Aus der Riege der Staatssekretäre wohnen zwei in der Pfalz: Hans Beckmann (Kaiserslautern, Bildung) und Neuling Hannes Kopf (Landau, Justiz). Und dann gibt es noch jene, die Pfälzer Wurzeln haben, aber schon lange weggezogen sind: die neue Bildungsministerin Vera Reiß (aufgewachsen in Jockgrim), Kulturstaatssekretär Walter Schumacher (aufgewachsen in Kaiserslautern) und sogar die Ministerpräsidentin selbst (aufgewachsen in Neustadt). „Für mich wird Malu Dreyer immer ein Pfälzer Mädel bleiben“, tröstet ein namhafter SPD-Mann. So einfach ist das.

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