Rheinland-Pfalz Kandel: Die Verbündeten-Suche des Marco Kurz

Demonstrations-Organisator in Kandel: Ursprünglich wollte Marco Kurz mit 500 000 Menschen nach Berlin ziehen, um so die Bundesre
Demonstrations-Organisator in Kandel: Ursprünglich wollte Marco Kurz mit 500 000 Menschen nach Berlin ziehen, um so die Bundesregierung zu stürzen. Doch aus dem »Marsch 2017« wurde nichts.

Ende 2017 erstach ein Flüchtling in Kandel seine deutsche Ex-Freundin, seither organisiert Marco Kurz dort Demonstrationen. Die Bundesregierung wollte der Aktivist aber schon vorher stürzen, im vergangenen Sommer versammelte er dafür Verbündete. Doch bei Treffen schlich sich ein Andersdenkender ein. Dieser Beobachter berichtet in einem Buch über „Reichsbürger“, was er erlebte.

Kandel. Im Nebenraum einer gutbürgerlichen Gaststätte zu Kassel haben sie sich versammelt, um über den Sturz der Regierung zu sprechen: Marie zum Beispiel, deren Oberteil so tief ausgeschnitten ist. Rüdiger Hoffmann, der sich mit dem bekannten Comedian nur den Namen teilt, aber trotzdem gerne mit lustigen Gummi-Enten in der Hand auftritt. Marco Kurz, der die Idee zu diesem Treffen hatte und Monate später als Demonstrations-Organisator in Kandel bekannt werden wird. Und Tobias Patera, ein „alternativer Journalist“.

Der Buch-Autor schleicht sich unter falschem Namen ein

Doch der Betreiber von „Der-Widerstand.com“ ist gar nicht der „reichsdeutsche“ Verschwörungstheoretiker, der zu sein er vorgibt. Der 32-Jährige mit der hohen Stirn heißt in Wirklichkeit Tobias Ginsburg, er arbeitet als Regisseur und Autor. Den anderen Namen hat er aus einem expressionistischen Roman geklaut, er benutzt ihn monatelang, um sich zu tarnen. Denn als Patera schleicht er sich in eine Szene ein, die er unter dem Schlagwort „Reichsbürger“ zusammenfasst. Auch wenn er dort jede Menge Leute trifft, die diesen Begriff für sich ablehnen.

Er trifft auf Varianten einer rechtsradikalen Verschwörungstheorie

Manche von ihnen bezeichnen sich lieber als Systemkritiker. Oder als Staatenlose, Linke, Ökos. Oder sie sehen sich als „bürgerliche Mitte“. Doch Ginsburg warnt: Sie alle verbindet, dass sie den verschiedenen Varianten einer rechtsradikalen Verschwörungstheorie anhängen. Demnach ist die Bundesrepublik kein richtiger Staat, ihre Einwohner werden deshalb von bösen Mächten bevormundet und ausgebeutet. Diese mysteriösen Finsterlinge sollen dann zum Beispiel Juden sein. Oder Illuminaten. Oder Satanisten. Für Rüdiger Hoffmann sind es Nazis.

Ein Ex-NPD-Mann behauptet: Die Nazis regieren noch immer

Der vom Verfassungsschutz beobachtete 50-Jährige nutzt lustige Gummi-Enten, um seine Thesen als Satire deklarieren zu können, sobald Ärger droht. Doch der einstige NPD-Kreisvorsitzende aus Mecklenburg-Vorpommern meint es ernst, wenn er erläutert: Die Bundesrepublik ist nur Tarnung, in Wirklichkeit wird das Hitler-Regime weitergeführt. Was jeder erkennt, der die Augen aufmacht. Schließlich, sagt Hoffmann, überzieht die Regierung das Land mit Lagern, in die sie Kritiker einsperren will. Und neue Gesetze erlaubten der Polizei, Menschen willkürlich zu töten.

Marco Kurz sagt: Es ging um "friedliches Miteinander"

Zu dem Treffen im Sommer 2017 kam Hoffmann auf eigenen Wunsch – sagt Marco Kurz, der die Zusammenkunft organisiert hatte, ehe er sich Monate später auf Demonstrationen in Kandel verlegte. Der in einem badischen Betrieb arbeitende Anti-Einwanderungs-Aktivist sagt der RHEINPFALZ: Er wolle der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken. Also habe er damals „Einladungen an alle Gruppierungen, Bündnisse und Menschen gesandt, unabhängig ihrer Ausrichtung, die aus unserer Sicht das gleiche Interesse verfolgen, nämlich ein friedliches Miteinander“.

Marie stolzierte mit einem NSU-Ballon durch die Stadt

Im Nebenzimmer der gutbürgerlichen Gaststätte zu Kassel versammelten sich daraufhin zum Beispiel: ein „souveräner Anarchist“, eine Anhängerin des völkischen AfD-Flügels, die Abgesandten einer Art Hippie-Kommune. Und Marie mit dem tief ausgeschnittenen Oberteil. Sie war schon beim Leipziger Pegida-Ableger Legida aufgetreten. Und mit einem Luftballon durch die Stadt stolziert, auf dem das Kürzel der rechtsextremen Terrorbande NSU prangte. Im vergangenen Sommer allerdings fiel sie vor allem als Ortsgruppen-Chefin bei „Der Marsch 2017“ auf.

Kurz wollte mit 500.000 Demstranten nach Berlin

Offizielles Ziel dieses ersten Marco-Kurz-Projekts war es, aus Protest „gegen die politischen Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte“ mit 500.000 Demonstranten nach Berlin zu ziehen und so die Bundesregierung zum Rücktritt zu zwingen. Bei Facebook gewann der Initiator für diese Idee ein paar Tausend Menschen. Doch im wirklichen Leben fanden sich nur wenige Aktivisten, die Banner aufstellten, Flugblätter verteilten oder als „Marsch“-Gruppe die Kanzlerin bei Wahlkampf-Reden ausbuhten: Ende 2017 schien die Bewegung gescheitert.

Der Kandeler Mordfall brachte ihm Zulauf

Dann allerdings erstach in Kandel ein angeblich 15-jähriger, in Wirklichkeit aber wohl deutlich älterer Flüchtling aus Afghanistan seine 15 Jahre alte deutsche Ex-Freundin. Und Marco Kurz scharte doch noch größere Menschenmassen um sich: als Mit-Organisator der Protestmärsche, die seit der Bluttat immer wieder durch die Südpfälzer Kleinstadt ziehen. Bürgerliche Kritiker der Flüchtlingspolitik laufen dort mit, aber auch Rechtsextremisten und Hooligans. Kurz allerdings beteuert immer wieder: Er arbeite an einer „überparteilichen Bürgerbewegung“.

In Kassel galt: Handys aus

Doch der als Alternativ-Journalist Patera angereiste Autor Ginsburg zeichnet ein ganz anderes Bild von der Versammlung im Nebenraum einer gutbürgerlichen Gaststätte zu Kassel. Und von zwei weiteren Zusammenkünften in den Folgewochen. Ginsburgs Buch „Die Reise ins Reich – Unter Reichsbürgern“ zufolge hatte Kurz vor allem Hetzer, Gewaltbereite und Rechtsradikale gerufen. Umso verschwörerischer sei die Truppe vorgegangen: Handys sollten bei den Treffen ausgeschaltet, Kontaktlisten nur handschriftlich erstellt werden.

Eine Teilnehmerin rühmte eine berüchtigte Holocaust-Leugnerin

In so vertraulich-trauter Runde, schreibt Ginsburg, kündigte ein Teilnehmer dann beispielsweise vage raunend an, dass er bald etwas Großes und Gefährliches unternehmen wolle. Eine Teilnehmerin rühmte derweil die berüchtigte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck – und niemand widersprach ihr. Zerstritten hat sich die Truppe trotzdem. Dem Buchautor zufolge bildeten sich zwei Flügel: einerseits offen Radikale wie Rüdiger Hoffmann. Und andererseits Leute um Marco Kurz, die ihre Ziele ein wenig bemänteln wollten, um eine breitere Öffentlichkeit nicht zu verschrecken.

Das Buch erzürnt nun beide Lager

Das Buch allerdings erzürnt nun beide Lager. Wobei sich Hoffmann insbesondere empört, weil Ginsburg über Zusammenkünfte berichtet, die doch vertraulich sein sollten. Christoph Hörstel, ein weiterer Teilnehmer der Treffen, sagt derweil: Gerade der Gummi-Enten-Mann „war niemanden willkommen“, könnte aber aus einem ganz bestimmten Grund dabeigewesen sein. Denn offensichtlich wolle Ginsburg „Spinner und ernsthafte Menschen so in Beziehung zueinander zu setzen, dass Ziele und Arbeit der ernsthaften möglichst weitreichend beschädigt werden“.

Ein Teilnehmer sagt: Er habe nicht so gierig gegessen wie beschrieben

Hörstel – ein einstiger ARD-Korrespondent, der nacheinander gleich zwei Splitterparteien gegründet hat – bestreitet außerdem, dass er in Kassel so gierig gegessen habe, wie im Buch beschrieben wird. Mal verfälschend, mal ganz falsch zitiert glaubt er sich obendrein. Dass beispielsweise die Bundesregierung auf 500.000 in Berlin versammelte Demonstranten mit Laserkanonen feuern werde, bis ihnen „das Fett von den Knochen tropft“, habe er nie gesagt: „Ich habe von Distanzwaffen gesprochen, die Hitzegefühle und schmerzhafte Brandwunden verursachen.“

Marie will nur als Beobachterin dabeigewesen sein

Marco Kurz wiederum betont, wie gut er wegen der Kandel-Demonstrationen mit der Polizei zusammenarbeitet. Das Buch brandmarkt er als „billiges und zusammengewürfeltes Geschwurbel“. Marie, die Frau mit dem tief ausgeschnittenen Oberteil, spricht gar von „unsinnigem Schwachsinn“. Schließlich sei sie kein „Nazi-Mädchen“. Sondern eine Halb-Afghanin, die es satirisch meinte, als sie einst mit einem NSU-Luftballon durch Leipzig marschierte. Zu den von Marco Kurz organisierten Treffen sei sie auch nur als Beobachterin gekommen, im Grunde ganz ähnlich wie der angebliche Tobias Patera.

Inzwischen ist sie Chefin eines Swingerclubs

Mittlerweile hat sie sich jedenfalls auf gänzlich unpolitischen Aktivitäten verlegt. Unter neuem Spitznamen betreibt sie jetzt in Sachsen einen Swingerclub. Info —Tobias Ginsburg: „Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern“, Verlag Das neue Berlin, 272 Seiten, 17,99 Euro. —Autorenlesung mit Tobias Ginsburg am Freitag, 15. Juni, 20 Uhr, Stadtbücherei Kandel, Hauptstraße 61.

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Das Buch: »Die Reise ins Reich - Unter Reichsbürgern« im Verlag »Das neue Berlin«.
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