Rheinland-Pfalz Jedes Los gewinnt

Wochenlang lag diese Sache mit der Losverkäuferin bei uns auf dem Küchentisch. Eine Rechenaufgabe. Eine jener Prüfungen aus dem diesjährigen Mathe-Abitur, über die sich Zehntausende Schüler beschwert hatten – weil sie viel zu schwer waren. Aber stimmte das? Diese Aufgabe, die ich einem Zeitungsbericht über die Protestwelle der Abiturienten entnommen hatte, sah mir gar nicht so kompliziert aus. Bei dieser Losverkäuferin kostet ein Los 1 Euro, jedes Los gewinnt. Für die Sachpreise gibt sie unterschiedlich viel aus. Die Abiturienten sollten nun ausrechnen, wie die Inhaberin der Losbude es hinbekommt, dass sie im Mittel einen Gewinn von 35 Cent pro Los erzielt. Auf dem Küchentisch lagen Zettel, auf denen ich schon mehrere vielversprechende Formeln entwickelt hatte. Eine Lösung waren sie indes noch nicht. Doch muss man überhaupt gut in Mathe sein? Muss man nicht unbedingt. Aber man sollte es auch nicht wie eine Auszeichnung vor sich hertragen, dass man in der Schule schlecht in Mathe war, sagt meine Frau immer. Wer darauf achtet, wird in der Tat in seinem Bekanntenkreis, von Berufskollegen oder beim Small-Talk immer wieder einmal solche matheverachtenden Bemerkungen hören. Ich bin da inzwischen schon richtig hellhörig. Deshalb habe ich mir auch gemerkt, was die Schauspielerin Leslie Malton über ihre Schulzeit sagte. Die 60-Jährige hat gerade in Neustadt und Umgebung Folge 3 und 4 der ARD-Winzersaga „Weingut Wader“ abgedreht. Bei „Leute Live“, der sonntäglichen Talkrunde von SWR1, plauderte Malton jetzt über dies und das. Und beantwortete Fragen aus dem Publikum – auch die, ob sie eine gute Schülerin war. Leslie Molton gestand freimütig: „Was gar nicht ging, war Mathe, das war furchtbar.“ Und von Radiomoderatorin Katja Heijnen war gleich darauf dies zu erfahren: „Ich sehe viele verständige Blicke im Publikum.“ Lauter Menschen, die sich gut dabei fühlen, dass sie in Mathe schlecht waren? Und der Zeitungsredakteur? Muss der ein Mathe-Könner sein? Mitunter steht in einem Text schon einmal schnell „Million“ statt „Milliarde“ – oder umgekehrt. Äußerst ärgerlich! Aber das hat nun weniger mit Rechenkunst und mehr mit Unaufmerksamkeit zu tun. Vor vielen Jahren, als viele Kommunen noch ohne eigene Datenverarbeitung auskamen, war bei Wahlabenden zumindest Mathematik-Grundwissen gefordert. Immer dann, wenn die örtlichen Stimmergebnisse in der Redaktion selbst in Prozentzahlen umgerechnet werden mussten. Taschenrechner und Dreisatz waren das Handwerkszeug. Auch da lief nicht immer alles glatt. Einmal stellte sich kurz vor Mitternacht heraus, dass sämtliche Prozent-Ergebnisse von zehn Ortsbeiräten nicht stimmten. Hektisches Nachrechnen, die Taschenrechner glühten – am Ende war noch alles rechtzeitig fertig. Gut haben wir uns dabei nicht gefühlt – bis heute nicht. Die Sache mit der Losverkäuferin habe ich schließlich in unserer Familien-Whatsapp-Gruppe feilgeboten. Von meinem Sohn – sein Abitur liegt schon ein paar Jahre zurück – kam die Lösung, über meine Formel sagte er: „Also, die ist Quatsch.“ Da habe ich die Zettel vom Küchentisch geräumt, obwohl ich meine Ansätze immer noch gar nicht so schlecht fand. Aber diese Abi-Aufgabe zeigt im Grunde etwas viel Wichtigeres: Auch Losverkäuferinnen müssen gut rechnen können, wenn sie nicht drauflegen wollen. Es ist schon nicht schlecht, wenn man gut in Mathe war. Info —In der Kolumne „Am Küchentisch“ schreiben Redakteure über die Pfalz, ihr Familienleben und den Redaktionsalltag. —Hier die weiteren Angaben aus der Mathe-Abituraufgabe: Es gibt drei verschiedene Sachpreis-Kategorien, für die die Losbuden-Inhaberin im Einkauf acht Euro, zwei Euro und 20 Cent bezahlt. Im Lostopf befinden sich viermal so viel Lose mit Gewinnen der mittleren Kategorie (Wert: zwei Euro) wie Lose mit Gewinnen der höchsten Kategorie (Wert: acht Euro).

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