Rheinland-Pfalz Interview mit Ex-Polizist: Als Bernhard Kimmel zum Mörder wurde

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Achim Benick, 62 Jahre, begeistert sich seit einigen Jahren für Reisen durch die USA. Die Infrastruktur sei dort oftmals viel behindertengerechter als in Deutschland, sagt er. Seit Bernhard Kimmels missglücktem Bankraub im hessischen Bensheim 1981 sitzt der ehemalige Polizist im Rollstuhl und kann nur wenige Meter gestützt mit Krücken gehen.

Bernhard Kimmel, bekannt geworden als „Al Capone von der Pfalz“, versucht am 12. Dezember 1981 in eine südhessische Bank einzubrechen. Ein Polizist in zivil bemerkt das und alarmiert seine Kollegen. Der aus Lambrecht stammende Kimmel wirft eine Handgranate auf die eintreffenden Beamten. Achim Benick, damals 26, wird durch die Explosion querschnittsgelähmt, sein Kollege erschossen. Im Gespräch mit Stefan Heimerl rekonstruiert er die Tat und erzählt, wie er über Kimmel denkt.

Sie sind in Bensheim geboren, wohnen ihr ganzes Leben hier. Gibt es die Bank noch, die Kimmel ausrauben wollte?

Die gibt es noch. Das war eine kleine Zweigstelle, heute ist es nur eine Terminal-Station ohne Personal. Da wollte Kimmel an den Nachttresor ran, um die Geldbomben irgendwie rauszufischen.

Wäre das möglich gewesen?

Achwo. Wenn ich mich recht erinnere, hatte er für sowas keine Hilfsmittel dabei. Um reinzukommen haben sie an den Gitterstäben gesägt und dieses Geräusch ist aufgefallen. Weil seine Freundin Schmiere stand, ist das einem Kollegen in zivil, der seinen Diensthund Gassi geführt hat, aufgefallen. Damals gab es keine Handys. Der Kollege hat irgendwo geklingelt, wo noch Licht war und hat drum gebeten, die Polizei anrufen zu dürfen.

Was denken Sie, wenn Sie heute an dieser Bankfiliale vorbeikommen?

Das ist für mich kein Problem. Natürlich schaut man automatisch hin. In dem Pflaster ist heute noch eine Delle drin, wo die Handgranate explodiert ist. Und sogar ein Einschussloch ist noch im Rollladenkasten an der Seite.

Welche Erinnerungen haben Sie an den Abend? Sie waren im Dienst.

Ich weiß, dass der Dienstgruppenleiter ironisch fragte: „Habt ihr Lust, Einbrecher zu fangen?“ Der Jagdtrieb ist da bei der Polizei. Die Polizeistation ist anderthalb Kilometer vom Tatort entfernt und wir sind mit drei Fahrzeugen losgefahren. Insgesamt waren es fünf Beamte.

Wie war das, als Sie vor Ort eintrafen?

Ich fuhr das erste Fahrzeug und habe es so geparkt, dass man zwischen der Bank und der Tankstelle nach hinten leuchten konnte. Der Kollege, der damals zu Tode kam, ist um die Tankstelle herumgefahren. Dann ging es relativ schnell. Ich habe etwas fliegen sehen, habe mich rumgedreht und geduckt. Vom Rest habe ich nichts mitgekriegt. Erst später wieder, als der Notarzt kam. Ein Kollege hatte mit der Maschinenpistole Kimmel einen Durchschuss im Oberschenkel verpasst. Das hatte aber keine großen Auswirkungen. Dann kam es zur Schießerei mit dem Kollegen. Er hatte nicht getroffen, hatte das ganze Magazin leer geschossen. Aber der Kimmel hat getroffen, Kopfschuss.

Kimmel soll bereits in der Nachkriegszeit als guter Schütze gegolten haben.

Man braucht kein guter Schütze zu sein, man muss eine gewisse Abgebrühtheit haben. Tötungswillen, das ist entscheidend. Da können Sie noch so ein guter Schütze auf dem Schießstand sein: Wenn Sie moralische Skrupel haben, fangen Sie wahrscheinlich an zu zittern.

Sie erinnern sich nur an den Notarzt?

Daran und an die Wirkung von der Granate, diese Schockwirkung. Es hat mich direkt von den Beinen gerissen, ich bin mit dem Kopf auf das Pflaster geknallt, absolut unfähig irgendwas zu machen. Die Schmerzen waren höllisch. Und ich erinnere mich noch an das Gefühl, die Lähmung, die Veränderung im Körper von einer Sekunde auf die andere. Die Hölle. Die Tage danach in der Klinik sowieso. Ich habe etwa 300 Splitter abgekriegt von oben bis unten. Ein Großteil ist wieder rausgenommen worden, weil die nur oberflächlich waren. Nur ein einziger Splitter hat das Rückenmark beschädigt. Im ersten Moment hatte ich überhaupt nicht an eine Handgranate gedacht. Ich dachte, der hat mit einer Schrotwaffe auf mich geschossen.

Der Polizei sagte er damals, er habe nie die Absicht gehabt, jemanden zu verletzen, sondern nur zu erschrecken.

Ja, aber er hat die Handgranate doch dabei gehabt. Warum nimmt er die denn mit? Da hätte ich mir Feuerwerkskörper mitgenommen. Die Handgranate hätte er auch in eine andere Richtung werfen können. Da ist doch Absicht da. Ich kann mich doch nicht hinter einen Bauwagen verstecken und eine Granate in Richtung eines Menschen werfen und hinterher sagen, ich habe es gar nicht gewollt.

Auch beim tödlichen Schuss auf den Kollegen sagte er aus, es wäre keine Absicht gewesen.

Warum ist er nicht weggerannt, nachdem er die Granate geworfen hat? Warum ist er nicht über den Zaun?

Etwa ein Jahr später wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Was haben Sie von dem Prozess mitbekommen?

Ich war auf jedem Termin dabei. Ich weiß noch, dass ich enttäuscht war über den Kimmel. Wie ich den gesehen habe, dachte ich: „Das soll der Kimmel sein, der berühmte 'Al Capone von der Pfalz'?“ Ein Hanswurst war das für mich.

Welche Erinnerungen haben Sie noch an den Prozess?

Also erst war ich enttäuscht von Kimmel. Dann war ich empört über den weiblichen Fan-Club von Kimmels damaliger Freundin, die während der Tat Schmiere gestanden hatte. Ihr Haftbefehl wurde währenddessen aufgehoben, das wurde dann mit Applaus bedacht. Auch der Auftritt des Dokumentarfilmers Peter Fleischmann, der als Zeuge geladen wurde, der einen Film über Kimmel gemacht hatte. Seine Äußerungen und sein Erscheinungsbild habe ich als völlig unangenehm in Erinnerung.

Kimmel soll das damalige Urteil tränenüberströmt aufgenommen haben.

Das war alles Selbstmitleid. Ob er jetzt geheult hat, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber so eine hysterische Anwandlung hat er schon gehabt. Es ist nicht ruhig an ihm vorbei gegangen.

Wie haben Sie auf das Urteil reagiert?

Ich wäre empört gewesen, wenn er freigesprochen oder nur zu einer kurzen Haft wegen Totschlags verurteilt worden wäre, aber ich habe wegen des Urteils auch nicht triumphiert.

Haben Sie je mit Kimmel gesprochen?

Nein, er hat mir zwar geschrieben, aber ich hab das nur überflogen. Zwei, drei Briefe habe ich bekommen, aber nur als er in Untersuchungshaft war. Danach nie mehr wieder. Wahrscheinlich hatte sein Anwalt ihn dazu gedrängt, um Reue zu zeigen.

Wie sind Sie nach Ihrer Verletzung mit der neuen Situation umgegangen?

Die Prognose, dass ich nie mehr laufen kann, habe ich zwei Tage nach der Tat bekommen. Die Ärzte haben aber festgestellt, dass da doch noch ein bisschen was kommt. Nach schwierigem Training konnte ich zumindest etwas an Krücken gehen. Das war ein Lichtblick. Innerhalb von fünf Jahren kam es immer wieder zu leichten Verbesserungen beim Laufen und Stehen mit Gehhilfen. Laufen heißt, dass ich mich von der Haustür zum Auto bewegen kann. Mit zunehmendem Alter fällt mir dieses jedoch immer schwerer.

Sie konnten dann in Ihrem alten Beruf nicht mehr arbeiten.

Ich hätte schon bei der Polizei bleiben können, aber nicht als Polizeibeamter, sondern in der allgemeinen Verwaltung, als Zivilangestellter. Das wollte ich aber nicht. Ich habe dann ein Unfallruhegehalt bekommen. Danach habe ich bis 1986 Bankkaufmann gelernt. Bei genau der Filiale, bei der der Raubüberfall passiert ist. Die haben mir das dann angeboten. Das war eine schöne Zeit.

Haben Sie dann in dem Beruf weitergearbeitet?

Im Rechnungswesen in der Nieder-Ramstädter Diakonie, ja.

Um Bernhard Kimmel wurde lange ein gewisser Kult betrieben. Wie erklären Sie sich so eine Faszination für einen Verbrecher?

Vielleicht ist diese Faszination gebildet worden. Seine Taten wurden schöngeredet. Und manche Journalisten fallen darauf rein. Im Fernsehen erzählte Kimmel mal, wie er mit der Maschinenpistole geschossen hat und machte sich darüber lustig, dass die Menschen, die Todesangst hatten, gerannt sind wie die Hasen. Und er lacht darüber. Die Journalistin stellte keine Gegenfrage. Lässt das einfach so im Raum stehen. Das ist erschreckend. Sie hätte fragen können, „Wieso machen Sie sich lustig darüber?“ Er wurde aufgebaut von den Medien, in den 1970ern vor allem. Und dann noch mal in den 1980ern nach dem Bensheimer Fall.

Haben Sie Ihren Frieden mit der Tat gemacht?

Das muss ich ja. Man denkt ja täglich an den Vorfall. Meinen Frieden muss ich damit machen, sonst kann ich ja nicht weiterleben. Ansonsten guck’ ich in die Zukunft, interessiere mich für USA-Reisen. Das ist wichtiger.

 

Die umfassende Multimedia-Geschichte zu den Hintergründen des Falls Kimmel, "Al Capone der Pfalz" mit vielen historischen Bildern: Zur Story (Weiterleitung zu externer Seite von Atavist)

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Das Bankgebäude existiert noch.
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