Rheinland-Pfalz Impfen: Arzt gibt Kritikerin Contra

Drei auf einen Schlag: Gegen Masern, Mumps und Röteln setzt der Kinderarzt meist einen Dreifachimpfstoff ein.   Foto: dpa
Drei auf einen Schlag: Gegen Masern, Mumps und Röteln setzt der Kinderarzt meist einen Dreifachimpfstoff ein.

Jüngst schlug die Barmer Krankenkasse Alarm, weil die Impfquoten bei Kindern in Deutschland deutlich geringer sind als allgemein angenommen. Dabei ist die Bereitschaft zum Impfen demnach eher gestiegen, auch wenn Kritik am Impfen immer wieder laut wird. Impfskeptiker sind in der Minderheit. Eine Heilpraktikerin gehört dazu – ein Kinderarzt widerspricht ihr.

Frankenthal/Neustadt. Dorothea Butz-Klimek hat einen Kräutertee für sich und den Gast gekocht und lehnt sich im Korbsessel zurück. Sie will erst einmal wissen, was die Journalistin alles wissen will. Dann erzählt sie von sich. Die 65-Jährige ist gelernte pharmazeutisch-technische Assistentin, hat jahrelang in Apotheken gearbeitet; die Schulmedizin war ihr Terrain. Bis sie die Naturheilkunde für sich entdeckte.

„Ich hatte ein Aha-Erlebnis“, sagt sie. Einer ihrer Söhne hatte im Kindesalter mal wieder eine Mittelohrentzündung. Die herkömmlichen Medikamente waren im Haus, sie ging aber diesmal zu einem Kinderarzt für Homöopathie. „Seine Mittel halfen sofort“, sagt die Neustadterin. Auch danach griff sie immer wieder zu einem Homöopthie-Buch – ein ganzes Jahr lang habe die Familie keinen Arzt gebraucht. Das war zugleich der Anstoß für sie, sich beruflich zu verändern. Sie begann noch einmal eine neue Ausbildung, machte im Jahr 2000 den Heilpraktikerschein und sich selbstständig.

„Immunsystem muss sich erst entwickeln“

Damit hat sich auch ihre Haltung zum Impfen geändert. „Die Idee des Impfens ist einfach genial“, sagt sie zwar auch heute noch. Bei Sätzen wie diesen erinnert sie sich an ihre Mutter, die erlebt hatte, wie Menschen an Diphtherie starben. Ihre Mutter war stolz, erzählt Butz-Klimek, dass sie ihre Kinder impfen lassen konnte. Auch ihre eigenen drei Söhne haben ein gut gefülltes Impfheft. Doch heute hat die 65-Jährige eine andere Einstellung.

Unter anderem durch Lektüre und Beobachtungen in ihrer Heilpraktiker-Praxis. Immer mehr Kinder litten, sagt sie, an chronischen Erkrankungen des Immunsystems und den Folgen: an Allergien, Lymphdrüsenkrebs und Diabetes I. Sie führt das auf das Impfen zurück. Den Einwand, dass die Wissenschaft für diese Thesen bislang keine Beweise hat, lässt sie nicht gelten. Sie holt aus einem Stapel Bücher ein dickes Taschenbuch mit dem Titel „Impfen Pro und Contra“ hervor. Autor Martin Hirtes, kein Hardliner gegen das Impfen, jedenfalls liefere die Basis für ihre Sicht. Und der bayerische Kinderarzt Rolf Kron habe herausgefunden, „dass Kinder, die nicht geimpft wurden, am Ende gesünder sind als geimpfte“, sagt Butz-Klimek.

„Impfen gegen Masern ja, nicht gegen Windpocken“

Sie jedenfalls würde heute Kinder auch gegen Masern impfen lassen, nicht aber gegen Hib (ein Bakterium, das zu einer schweren Hirnhautentzündung führen kann), Windpocken und Hepatitis B. „Gegen Keuchhusten im Einzelfall und gegen Röteln erst Mädchen ab der Geschlechtsreife.“ Ihr Argument: Wenn Babys heute mit zwei Monaten Sechs- oder Siebenfachimpfstoffe unter die Haut gejagt werden, schlage deren Körper Alarm. „In dem Alter hat sich ihr Immunsystem noch nicht entwickelt.“ Ihr Körper werde bombardiert mit abgeschwächten Erregern. „Und bevor ihr Immunsystem selbstständig kleine Scharmützel ausfechten und üben konnte, kommt es zur Megaschlacht.“ Sie ist für „weniger und später“: Kinder ab zwei Jahren – und am besten maximal Zweifachimpfstoffe.

Der Kinderarzt Lothar Maurer kennt solche Forderungen. In seiner Praxis in Frankenthal registriere er zwar nicht mehr Impfgegner oder -kritiker als früher. Aber immer wieder, so erzählt er, werde er mit deren Argumenten konfrontiert und müsse gegenhalten. Denn wissenschaftlich seien die Thesen, wie sie die Neustadter Heilpraktikerin anführt, nicht haltbar, sagt er. Der 60-Jährige ist zugleich Vorsitzender des Landesverbands der Kinder- und Jugendärzte in Rheinland-Pfalz.

Länger warten: „Dann kann es zu spät sein“

Dass Impfungen schuld seien an einem Anstieg bei Allergien „ist widerlegt“, so Maurer. Zu Diabetes-I-Erkrankungen: Immer mehr Kinder litten zwar daran, dass ihr Körper kein Insulin produzieren kann und der über die Nahrung aufgenommene Zucker sich im Blut aufkonzentriert und so Müdigkeit oder Schwindel verursachen kann, aber eine Ursache für den Anstieg der Krankheit sei bislang nicht gefunden.

Kinder deutlich später als aktuell empfohlen zu impfen mit dem Argument, das Immunsystem müsse sich erst entwickeln, hält er für gefährlich. „Entwickeln kann es sich nur, wenn es mit Erregern in Kontakt kommt und dann kann es zu spät sein“, so der Kinderarzt. Er hat seine Enkelin auch gegen Meningokokken B geimpft und damit mehr getan als die Ständige Impfkommission (Stiko) in Deutschland empfiehlt. Deren Liste ist Grundlage für die Krankenkassen, welchen Schutz sie bezahlen.

„Sie verzichten im Auto auch nicht auf den Airbag“

Maurer steht zur Stiko-Liste. Auch bei Hepatitis B, eine etwa durch Geschlechtskrankheiten übertragbare schwere Lebererkrankung, die Säuglinge naturgemäß nicht auf diesem Weg bekommen. „Babys sind zwar nicht hochgradig gefährdet, aber je früher hier geimpft wird, desto weniger Impfversager“, sagt der Arzt. Das bedeutet: Die Immunisierung sei so erfolgreicher. Anders als die Heilpraktikerin rät Maurer auch zu einem Piks gegen Keuchhusten und gegen Windpocken. Windpocken, einmal ausgebrochen, verursachten zwar seltener Komplikationen. Aber: „Ich habe einen Zehnjährigen daran sterben sehen. Das reicht.“ Und: Geimpfte bekämen als Erwachsene seltener Gürtelrose als Ungeimpfte.

Für Maurer steht fest: Die aktuell empfohlenen Impfungen seien Stand der Technik. „Sie verzichten bei einem Auto ja auch nicht auf ABS oder den Airbag.“ Heilpraktikerin Butz-Klimek aber bleibt dabei: „Weniger ist mehr.“ Sie weiß, dass sie mit ihrer Ansicht eine Minderheit vertritt und dafür womöglich heftig kritisiert wird. Der Kinderarzt findet Positionen wie ihre in Einzelfällen nicht tragisch. „Wenn sich aber die Tendenz nicht zu impfen durchsetzt“, werde es für den Schutz der Gesamtbevölkerung sehr schwierig.

Heilpraktikerin Dorothea Butz-Klimek Foto: schmidt
Heilpraktikerin Dorothea Butz-Klimek
Kinderarzt Lothar Maurer.  Foto: Maurer
Kinderarzt Lothar Maurer.
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