Rheinland-Pfalz „Es gibt keine Stechuhr“

Anne Bourgmeyer (links) widmet den Senioren 35 Stunden im Monat und darf dafür mietfrei wohnen. Auch Irmgard Burghardt genießt d
Anne Bourgmeyer (links) widmet den Senioren 35 Stunden im Monat und darf dafür mietfrei wohnen. Auch Irmgard Burghardt genießt die Gesellschaft der jungen Frau.

Anfang Januar hat in der Trierer „Seniorenresidenz am Zuckerberg“ ein Experiment begonnen. Studierende der Universität können in dem Gebäudekomplex, in dem verschiedene Wohnformen für Senioren angeboten werden, mietfrei in Zweier-Wohngemeinschaften leben. Dafür verpflichten sie sich, 35 Stunden im Monat mit den betagten Bewohnern der Residenz zu verbringen. Als erste ist die 21-jährige Luxemburgerin Anne Bourgmeyer eingezogen. Klaus Greichgauer sprach mit ihr über ihre ersten Eindrücke.

Frau Bourgmeyer, wie haben Sie von dem Angebot der Seniorenresidenz erfahren?

Das wurde am Rande einer Vorlesung einmal beiläufig erwähnt. Aus Langeweile habe ich dann auf dem Handy rumgescrollt und dadurch von der Veranstaltung erfahren, auf der das Modell vorgestellt werden sollte. Als ich dort war, fand ich die Idee so gut, dass ich mich gleich gemeldet habe. Und so bin ich jetzt die erste, die in der Seniorenresidenz wohnt. Die drei anderen Plätze werden erst im Februar besetzt. Hat das „Wohnen umsonst“ eine große Rolle gespielt? Ja sicher. Als klar war, dass ich in Trier Erziehungswissenschaften studieren will, habe ich eine Bleibe gesucht. Aber alles, was akzeptabel ist, ist auch auf Deutsch gesagt, sauteuer. Ich hatte noch nichts gefunden, und deswegen kam das Angebot der Residenz gerade recht. Die Zimmer für die Zweier-WGs sind wirklich sehr schön . Dafür müssen Sie 35 Stunden im Monat mit den Bewohnern verbringen. Haben Sie denn Erfahrung im Umgang mit alten Menschen? Ein Großvater von mir lebt noch. Vor kurzem ist er ins Altersheim gegangen. Und da habe ich gemerkt, dass alte Leute, die dort leben, sich oft schnell zurückziehen und nicht mehr richtig am Leben teilnehmen. Das finde ich schade. Daran würde ich gerne etwas ändern. Junge Menschen könnten frischen Wind in diese Einrichtungen bringen. Dazu haben Sie jetzt in der Residenz Gelegenheit. Wem sind Sie hier zuerst begegnet? Das war eine Frau, die mich gleich sehr beeindruckt hat. Die Dame ist 90, aber noch sehr agil und einfach toll. Ein Profi im Rummikub-Spielen. Es macht viel Spaß mit ihr. Gemeinsame Gesellschaftsspiele sind ein Teil meiner Tätigkeit, dazu kommen Gespräche, Spaziergänge, der Besuch von Veranstaltungen oder auch mal ganz einfach zuhören. Für die nächste Zeit habe ich schon viele Ideen. Man könnte Themen- und Discoabende veranstalten, Kosmetika selbst herstellen oder gemeinsam kochen und backen, je ein alter und ein junger Mensch zusammen. Interessieren Sie sich für das, was alte Leute zu erzählen haben? Unbedingt. Es ist fast immer interessant, und man lernt viel dazu. Sehen Sie, wenn man Geschichte aus Büchern erfährt, bleibt das doch immer ein Stück weit abstrakt und fremd. Wenn Menschen aus ihrem persönlichen Erleben erzählen, wird es plastisch und greifbar. Die Vergangenheit wird lebendig. Als junger Mensch sollte man diese Gelegenheit nicht verpassen. Wer kontrolliert, ob Sie auch wirklich 35 Stunden im Monat mit den alten Menschen verbringen ? Es gibt keine Stechuhr. Die Leitung der Seniorenresidenz bringt mir viel Vertrauen entgegen. Es geht nur so. Für mich persönlich habe ich so ungefähr die Stunden aufgeschrieben und bin jetzt schon fast am Ziel, obwohl der Monat noch zwei Wochen hat. Die Zeit mit den alten Menschen vergeht wie im Flug. Diese Zeit könnten Sie auch auf Partys verbringen. Das kann ich immer noch machen. Auch nach Abzug dieser 35 Stunden bleibt genug übrig für Studium und Freizeit. Im Leben verplempert man so viel Zeit und wenn ein bisschen weniger Party und Chillen dabei rauskommt, ist das nicht schlimm. Hier mit den Leuten in der Seniorenresidenz tue ich etwas Sinnvolles, was obendrein noch Spaß macht. Wie lange werden Sie hier wohnen und mit den Senioren Spaß haben? Geplant sind zunächst einmal sechs Monate – es gibt aber die Möglichkeit, den Aufenthalt zu verlängern. Ich persönlich würde gerne bis zu meiner Bachelorprüfung bleiben. Das wären also ungefähr drei Jahre. Übrigens: Auch wenn ich hier mal ausgezogen bin, werde ich bestimmt ab und zu wiederkommen. Um die Leute zu besuchen. Einige habe ich jetzt schon ins Herz geschlossen.

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