Rheinpfalz „Es drückt Herzlichkeit und Nähe aus“

Wer es nicht aus eigener Erfahrung kennt, versteht es oft falsch: das „Es“, das Westpfälzer vor weibliche Vornamen stellen. Wenn von Steffi die Rede ist, heißt es in Teilen der Pfalz nicht „die Steffi“, sondern „es Steffi“. An der Universität Mainz erkundet Julia Fritzinger (29) mit zwei Kolleginnen im Forschungsprojekt „Das Anna und ihr Hund – Weibliche Rufnamen im Neutrum“ dieses sprachliche Phänomen. „Es“ Steffi Blinn sprach mit ihr von Westpfälzerin zu Westpfälzerin.

Frau Fritzinger, Sie kommen aus Donsieders im Landkreis Südwestpfalz. Ich vermute einmal, Sie sind dort „es Julia“?

Das stimmt. Ich bin in Donsieders aufgewachsen. Bevor ich anfing, in Mainz zu studieren, ist mir das „Es“ gar nicht als Abweichung aufgefallen. Für mich war das total normal. Erst im Studium merkte ich, dass das Außenstehende irritiert. Wie nehmen die es denn wahr? Viele sind verwundert, dass eine Frau ein Neutrum sein kann und verstehen das oft als herabwürdigend, als abwertend. Dabei ist es gar nicht so gemeint. Wer es selbst benutzt, weiß: Es drückt Herzlichkeit aus, Nähe, etwas Familiäres. Also eigentlich das Gegenteil von dem, was Nicht-Dialektsprecher vermuten. „Es“ verwendet man bei Frauen, die einem nahe stehen, die beispielsweise zur Familie gehören, die man sehr lange kennt. Ich habe schon erlebt, dass Außenstehende das „Es“ für Westpfälzerinnen verwenden und sich damit unglaublich geistreich finden. Wie sehen Sie das? Hm, schwer zu sagen. Auf jeden Fall zeigt es, dass das „Es“ für andere ein auffälliges Merkmal des Pfälzer Dialekts ist. Den Pfälzern selbst fällt die Abweichung oft gar nicht auf. Dass es etwas Komisches hat, kann ich aber verstehen. Was ist das Besondere am „Es“? Dass es eine gravierende Abweichung von der Standardsprache ist. Im Deutschen gilt normalerweise die Genus-Sexus-Kongruenz, wenn es um Personen geht. Das heißt, das biologische Geschlecht und das grammatische Geschlecht stimmen überein. Ein Mann wird mit „der“ bezeichnet, eine Frau mit „die“. Daher sehen viele im „Es“ eine Versächlichung der Frau. Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb Frauen im Pfälzer Dialekt denselben Status wie ein Auto oder andere Sachen haben können? Wir vermuten, dass das mit der historischen Ungleichstellung von Mann und Frau zu tun hat, die sich in der Sprache niedergeschlagen hat. Das findet sich in der Sprache häufiger. Der Name einer Frau kann zum Beispiel bis ins hohe Alter verniedlicht werden; selbst mit 90 Jahren kann eine Frau noch „es Lenche“ sein. Auch wenn ein kleiner Junge „es Peterche“ ist: Im Alter wird er in der Regel nicht mehr so genannt werden. Interessanterweise kennt auch das Standarddeutsche sächliche Bezeichnungen für Frauen: das Mädchen, das Weib, das Weibsbild, das Frauenzimmer. Viele davon sind nicht unbedingt positiv besetzt. Bei Männern gibt’s das eher nicht. Das „Es“ ist aber kein reines Westpfälzer Phänomen, oder? Nein. „Es“ oder „et“, „das“ oder „dat“ für Frauen ist erstaunlich weit verbreitet. Es kommt vor allem in westmitteldeutschen und südwestdeutschen Dialekten vor, aber auch im Luxemburgischen, Elsässischen und Schweizerdeutschen. Dabei gibt es starke regionale Unterschiede, was die Verwendung angeht, manchmal schon zwischen einzelnen Orten. In manchen sagen die Leute zum Beispiel „die Julia“, aber trotzdem „Es hat Geburtstag“. Wo verläuft in der Pfalz die Grenze von „es“ und „die“? Im Westen, an der Grenze zum Saarland, ist das Phänomen verbreitet. Richtung Osten, zum Rhein hin, wird es schwächer. Die genaue Verbreitung kennen wir noch nicht. Dazu haben wir unseren Fragebogen entwickelt, den man auf unserer Internetseite ausfüllen kann. Können da auch die Nicht-„Es“-Sager am Rhein mitmachen? Ja, grundsätzlich leistet jeder, der mitmacht, einen wichtigen Beitrag zu unserem Forschungsprojekt. Es können auch Leute mitmachen, die das „Es“ selbst nicht benutzen, das aber bei anderen hören − zum Beispiel junge Leute, die das noch von ihrer Oma kennen. Benutzen die jungen Leute das „Es“ denn seltener? Wir beobachten, dass es die jüngere Generation nicht mehr so häufig verwendet − auch jene, die noch Dialekt sprechen. Allgemein wird weniger Dialekt gesprochen. Das hat auch mit der zunehmenden Mobilität zu tun. Wenn man heute berufsbedingt häufiger in große Städte kommt als früher, ist auch der Einfluss der Standardsprache größer. Sie leben und forschen in Mainz. Dort sind Sie „die Julia“? Ja, eindeutig. Ich selbst spreche hier in Mainz nur Dialekt, wenn ich mit Verwandten telefoniere. Und wenn ich meine Großeltern in Donsieders besuche. Für mich ist Dialekt ein Stück Heimatverbundenheit, Wärme, etwas Familiäres. Das Forschungsprojekt dauert noch etwa zwei Jahre und soll Ihnen den Doktortitel bringen. Wird der aus Ihnen dann in Donsieders „die Julia“ machen? (lacht) Gute Frage. Beim „Es“ spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: das Alter zum Beispiel, wie gut man eine Person kennt, aber auch ihr Status und der Respekt, den man ihr entgegenbringt. Mal sehen, vermutlich aber nicht. Interview: Steffi Blinn INFO Das trinationale Forschungsprojekt „Das Anna und ihr Hund – Weibliche Rufnamen im Neutrum“ untersucht, wie verbreitet Formulierungen wie „das Anna“, „es Anna“ oder „’s Anna“ im Deutschen, Luxemburgischen und Schweizerdeutschen sind. Auf der Internetseite www.femineutra.de gibt es dazu eine etwa 15-minütige Umfrage, an der sich jeder beteiligen kann.

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