Rheinland-Pfalz Der 900 Dollar-Test zur Altersfeststellung

Eine Möglichkeit zur Altersfeststellung: das Röntgen der Hand.
Eine Möglichkeit zur Altersfeststellung: das Röntgen der Hand.

Medizinische Verfahren zur Altersfeststellung bei jugendlichen Flüchtlingen sind in Rheinland-Pfalz bisher die Ausnahme. Der Landkreistag fordert jetzt, sie „konsequent“ anzuwenden und kann sich dazu auch den Einsatz einer neuartigen DNA-Analyse vorstellen. Doch von dieser Methode hält das Mainzer Integrationsministerium wenig: zu ungenau, zu teuer, kaum erprobt.

Nach Zweifeln an der Altersangabe eines afghanischen Flüchtlings hatte der Landkreis Hildesheim im vergangenen Jahr eine neue Methode eingesetzt: einen DNA-Test. Dazu wurde im Mai 2017 eine Blutprobe des Asylbewerbers in einem kalifornischen Gen-Labor untersucht. Ergebnis der Analyse: Der Flüchtling, der behauptet hatte, minderjährig zu sein und als Geburtsjahr 1999 angegeben hatte, war mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent zwischen 26,4 und 29 Jahre alt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,999 Prozent sei er älter als von ihm angegeben. Bekannt geworden war der durch den niedersächsischen Landkreis veranlassten DNA-Test zur Altersbestimmung erst im Januar durch einen Bericht des Magazins „Stern“.

Integrationsministerium sieht Methode mit Skepsis

Entwickelt hat die Methode der deutsch-amerikanische Humangenetiker und Biostatistiker Steve Horvath von der University of California in Los Angeles. Horvath ist davon überzeugt, dass sein Test anderen Verfahren zur Altersbestimmung wie der Röntgenmethode überlegen ist: „Das ist so, als ob man einen Mercedes mit einem Rasenmäher vergleicht“, sagte Horvath dem „Stern“. Doch das Mainzer Integrationsministerium sieht die neue Untersuchungsmethode mit Skepsis. Dieser Test sei noch nicht ausreichend in Studien wissenschaftlich geprüft, als dass er zur Bestimmung des Alters bei Asylbegehrenden angewandt werden könne, erklärte jetzt Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) in einer Antwort auf eine Anfrage des CDU-Landtagsabgeordneten Matthias Lammert. Die Genauigkeit dieser Analyse betrage plus/minus zwei Jahre und entspräche damit derzeit der Genauigkeit von Röntgenuntersuchungen. Dazu komme, dass diese Art der Altersbestimmung bisher nur in Speziallabors mit der entsprechenden Ausstattung möglich sei, erklärte Spiegel weiter. Der DNA-Test im Fall Hildesheim habe so rund 900 US-Dollar gekostet.

"Jugendliche haben ein Recht auf intensive Betreuung"

Gleichwohl kann sich aber der Vorsitzende des rheinland-pfälzischen Landkreistages, Günther Schartz (CDU), den Einsatz der DNA-Methode vorstellen: „Was ist hier teuer, was ist billig?“ Die Unterbringung eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings kostet die Behörden durchschnittlich 5200 Euro im Monat, für Unterbringung und Versorgung eines volljährigen Flüchtlings kalkulieren die Kommunen Kosten zwischen 1000 und 1250 Euro. Der Landkreistag hatte vergangene Woche gefordert, zur Altersfeststellung von Flüchtlingen konsequent medizinische Verfahren anzuwenden. Von der Klärung der Altersfrage hänge die Art der Unterbringung oder auch die Durchführung von Beschulungs- und Betreuungsmaßnahmen ab, sagte Schartz, der Landrat im Kreis Trier-Saarburg ist: „Jugendliche haben ein Recht auf intensive Betreuung, Erwachsene nicht.“ Die bisherige Praxis der Altersfeststellung in Rheinland-Pfalz: 2017 fand sie in 14 Jugendämter nicht statt, in den anderen 27 Jugendämter gab es dazu in 455 Fällen ausführliche Gespräche („qualifizierte Inaugenscheinnahme“), nur in acht Fällen erfolgte eine medizinische Untersuchung.

Medizinische Untersuchung bei Zweifel

Das will der Landkreistag ändern, doch wie viel Substanz hat sein Vorstoß? Man unterstütze die „Anordnungen verschiedener Landkreise, generell durch medizinische Untersuchungen das Alter weiter zu präzisieren“, hatte der kommunale Spitzenverband erklärt. Auf Nachfrage konkretisierte Schartz im RHEINPFALZ-Gespräch, dass damit lediglich das Vorgehen zweier pfälzischer Landkreise gemeint ist. Der Kreis Kaiserslautern hatte Anfang des Monats angeordnet, „grundsätzlich alle unbegleiteten minderjährigen Ausländer zu einer Untersuchung zu schicken, die eine fundierte Einschätzung des Lebensalters ermöglichen soll“ – gemeint war damit eine Röntgen-Aufnahme der Hand. Nach Kritik an dieser Vorgehensweise ruderte der Kreis schnell wieder zurück. Denn das Gesetz lässt eine medizinische Untersuchung nur dann zu, wenn nach einer mündlichen Befragung („Inaugenscheinnahme“) des Ausländers Zweifel an dessen Minderjährigkeit bestehen. Das heißt: Wer anordnen möchte, dass das Alter ausschließlich durch medizinische Untersuchungen festgestellt wird, handelt rechtswidrig. Das zweite von Schartz angeführte Beispiel ist der Kreis Germersheim. Im Februar wurde durch ein von der Landauer Staatsanwaltschaft beauftragtes medizinisches Gutachten offenkundig, dass der Tatverdächtige im Mordfall Kandel – ein afghanischer Flüchtling, der eine 15-jährige Schülerin erstochen haben soll – deutlich älter ist, als er angegeben hatte. Daraufhin ordnete der Germersheimer Landrat Fritz Brechtel (CDU) an, dass das Alter aller minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge im Kreis Germersheim erneut überprüft werden soll, im Zweifelsfall auch mit medizinischen Methoden. Zuvor hatte das Jugendamt des Kreises allerdings deutlich weniger Zweifel gehabt und mit Blick auf den tatverdächtigen, angeblich 15-jährigen Flüchtling behauptet: „Eine Volljährigkeit wird derzeit von allen Beteiligten ausgeschlossen.“

"Nachfragedruck hilft"

Die neue Linie im Kreis Germersheim hält Landkreistagsvorsitzender Schartz indes für den richtigen Weg: „Solcher Nachfragedruck hilft uns.“ Das Thema der Altersfeststellung bei Flüchtlingen beschäftige derzeit viele Kreistage. Ihm gehe es um eine abgestimmte, einheitliche Linie aller Landkreise in dieser Frage, sagte Schartz. Die medizinischen Möglichkeiten bei der Feststellung des Alters müssten „ausgeschöpft“ werden, sagte er – fügte aber gleichzeitig hinzu:„Wir reden da aber nicht übers Röntgen.“ Auch die Bundesärztekammer lehnt Röntgen ohne medizinische Indikation als einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ab. Doch welche medizinischen Methoden bleiben, wenn radiologische Untersuchungen von Zähnen, Handwurzelknochen oder Schlüsselbein ausgeklammert werden? Allenfalls die „visuelle Begutachtung des Gebisses und die Beurteilung der körperlichen Reife“, wie es beim wissenschaftlichen Dienst des Bundestages heißt. Oder vielleicht doch der DNA-Test? CDU-Landtagsabgeordneter Matthias Lammert sagt: „Das sollte man weiter im Blick behalten, diese Methode wird sicher noch verbessert und man sollte prüfen, ob das auch deutsche Labors durchführen können.“ Die für den DNA-Test erforderliche Blutabnahme sei ein „zumutbarer Eingriff“.

Vorclearingstelle übernimmt Feststellung

Wie mehrfach berichtet, hatten rheinland-pfälzische Jugendämter im vergangenen Jahr in rund 16 Prozent der Fälle junge Flüchtlinge als volljährig eingestuft, die zuvor behauptet hatten, noch keine 18 Jahre alt zu sein. Zum Vergleich: Im Saarland lag dieser Anteil im gleichen Zeitraum bei 37 Prozent. Im Nachbarland übernimmt die Altersfeststellung eine zentrale Vorclearingstelle, wo offenbar häufiger Zweifel an den Altersangaben auftauchen und deshalb medizinische Untersuchungen veranlasst werden. Dies ist ein Weg, den die rheinland-pfälzische Landesregierung aber bisher ablehnt. Doch was passiert in Rheinland-Pfalz, wenn sich dennoch bei einem angeblich minderjährigen Flüchtling herausstellt, dass er volljährig ist? Im vergangenen Jahr war dies in Rheinland-Pfalz 76-mal der Fall – doch nur in einem einzigen Fall wurde nach Angaben des Integrationsministeriums deshalb der Aufenthalt beendet.

Schartz
Schartz
x