Rheinland-Pfalz Blitzer-Streit: Mainzer Innenministerium warnt Richter

Ein Fall für den rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshof: Blitzer-Anhänger der Polizei.
Ein Fall für den rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshof: Blitzer-Anhänger der Polizei. Foto: Moschel

Das Innenministerium warnt die Landes-Verfassungsrichter: Falls sie demnächst der Anti-Blitzer-Beschwerde eines Bürgers zustimmen, kann der Staat nicht mehr für Sicherheit auf den Straßen sorgen. So steht es in einem Schreiben aus Mainz, das zugleich die zuvor für den Fall zuständigen Juristen tadelt: Die hätten einen Fehler gemacht, als sie den Autofahrer recht umstandslos abwiesen.

Ein Lateinlehrer würde da mit seinem Rotstift einen dicken Fehler anstreichen. Denn die Fachleute des Mainzer Innenministeriums haben in ihrer der RHEINPFALZ vorliegenden Elf-Seiten-Stellungnahme „ab absurdum“ geschrieben, obwohl es doch „ad absurdum“ heißen müsste. Aber zu ihrem Glück wenden sie sich ja nicht an Altphilologen. Sondern an Juristen-Kollegen, wenn auch, immerhin, an die höchsten Richter des Landes. Und die sollen verstehen: Sie geben das Konzept des „standardisierten Messverfahrens“ der Sinnlosigkeit preis, falls sie demnächst der Anti-Blitzer-Beschwerde eines Bürgers zustimmen.

Ertappt hat diesen streitlustigen Autofahrer einer der Kontroll-Anhänger, die für die vor wenigen Jahren ausgerufene Blitz-Offensive der rheinland-pfälzischen Polizei so wichtig sind. Wie schnell Fahrzeuge an ihrer Kamera vorbeibrausen, erfassen sie mit der Poliscan-Speed-Technik des Herstellers Vitronic. Deren Laserstrahlen liefern zunächst Hunderte Einzelwerte, aus denen der Apparat dann nach geheimen Formeln das Endergebnis berechnet. Doch außer dieser dann amtlich gemessenen Geschwindigkeit wird im System kaum etwas abgespeichert.

Was die Blitzer-Kritiker monieren

Kritiker bemängeln: Weil die Rohdaten weitgehend fehlen, können Betroffene hinterher kaum überprüfen lassen, ob sie nicht doch zu Unrecht beschuldigt werden. Weshalb ihr Recht auf ein faires Verfahren verletzt werde. Vor dem Verfassungsgerichtshof des Saarlands hat dieses Argument im Sommer tatsächlich gezogen: Die Richter dort haben einem mutmaßlichen Zu-schnell-Fahrer seine Strafe erlassen. Und so dafür gesorgt, dass das in seinem Fall verwendete Blitzer-Modell einstweilen aus dem Verkehr gezogen und umprogrammiert werden muss.

Erstritten hat dieses Urteil der Anwalt Alexander Gratz, der nun auch vor den rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshof in Koblenz zieht. Fürs juristische Vorab-Geplänkel in diesem Verfahren hat das Innenministerium die Stellungnahme mit dem Latein-Fehler abgegeben, in der es so aufs „standardisierte Messverfahren“ pocht. Die Idee dahinter: Ehe ein neues Blitzer-Modell auf Autofahrer losgelassen wird, wird es von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt überprüft. Und deren Tests garantieren, dass der Apparat normalerweise richtig misst.

Wovor das Ministerium jetzt warnt

Auf Zweifel an einem Blitzer-Ergebnis müssten Richter demnach auch weiterhin nur in jenen seltenen Verfahren eingehen, in denen es ohnehin schon Hinweise auf ein Einzelfall-Versagen des Geräts oder seiner Bediener gibt. Für den Alltag bliebe der Rohdaten-Streit hingegen ohne Belang. Und das, finden die Ministeriumsjuristen, soll er auch. Denn andernfalls drohe Schlimmes: eine Flut aus Beschwerden, für die ertappte Autofahrer findige Gutachter bemühen. Denn die könnten Messungen dann bis ins Detail zerpflücken. Und so die Behörden lähmen.

Also warnt das Schreiben aus Mainz: Falls die Koblenzer Verfassungsrichter den Weg für so ein Szenario wirklich freimachen sollten, kann der Staat den Verkehr nicht mehr wirksam überwachen. Im Juristendeutsch: „Der gesetzgeberische Auftrag, für die Sicherheit im Straßenverkehr durch zeitnahe Ermittlung und Sanktion von Verkehrsverstößen Sorge zu tragen, wäre nicht mehr erfüllbar.“ Und dafür, dass so etwas drohen könnte, machen die Fachleute im Innenministerium nebenbei das Koblenzer Oberlandesgericht verantwortlich.

Wie die Justiz bislang vorgegangen ist

Das war zunächst für den Fall zuständig, hat den geblitzten Autofahrer aber recht umstandslos abgewiesen. Und somit einerseits das Prinzip verteidigt, das jetzt auch das Ministerium retten will. Doch andererseits hat es ignoriert, dass sich die deutschen Oberlandesgerichte bei Blitzer-Prozessen in manchen Detailfragen ohnehin schon widersprechen. Dabei sollten sie eigentlich gemeinsam dafür sorgen, dass der Bürger weiß, woran er ist. Und wenn sie keine einheitliche Linie finden, haben sie die Zweifelsfälle an den Bundesgerichtshof in Karlsruhe weiterzureichen.

Denn der kann dann eine für alle verbindliche Marschrichtung vorgeben. Also steht im Ministeriums-Schreiben: So hätte es auch im Verfahren jenes Autofahrers passieren müssen, der jetzt vor den Koblenzer Verfassungsgerichtshof gezogen ist. Dort wird am 15. Januar verhandelt. Und für ein Urteil müssen die Richter ausgerechnet aus der rheinland-pfälzischen Landesverfassung Grundsätzliches darüber herauslesen, wie genau hochmoderne Blitzer-Technik im Rechtsstaat zu funktionieren hat. Oder sie nutzen die Hintertür, auf die sie der Ministeriumsbrief indirekt hinweist.

Denn auch die Verfassungsrichter können sagen: Dem ertappten Autofahrer ist schon allein deshalb Unrecht geschehen, weil seine Beschwerde nicht nach Karlsruhe weitergereicht wurde. Was nun eben nachzuholen sei. Auf dass sich die Juristen-Kollegen am Bundesgerichtshof den Kopf darüber zerbrechen, ob „standardisierte Messverfahren“ tatsächlich „ad absurdum“ geführt werden, falls sie der Anti-Blitzer-Beschwerde eines Bürgers zustimmen.

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