Rheinland-Pfalz Beschimpfender Unfug

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Im Nachhinein betrachtet war das eine lehrreiche Woche. Seit Dienstag bin ich überzeugt, dass es im Singular „der Liegestütz“ heißen muss und nicht etwa „die Liegestütze“. Der Duden, der sonst gern mal eine alternative Form zulässt, ist da knallhart. Das Wahrig-Wörterbuch zeigt sich zwar großzügiger: In einigen Bereichen und Regionen sei auch die weibliche Variante geläufig. Gebräuchlicher sei aber „der Liegestütz“. Zweiter Lernerfolg am Dienstag: Man kann jemanden beschimpfen, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen oder auch nur zu schreiben. Und sich mit einer komplett nonverbalen Kunstaktion sogar strafbar machen. Diesen doppelten Erkenntnisgewinn haben wir dem Saarländer Alexander Karle zu verdanken. Der Absolvent der Hochschule der Bildenden Künste Saar hat sich bundesweit als „Altar-Turner“ einen Namen gemacht. Einer offenbar nicht sehr christlichen Eingebung folgend, kletterte er vor zwei Jahren in der Saarbrücker Basilika St. Johann über eine quer vor dem Altarraum gespannte Absperr-Kordel. Dann schwang sich der heute 40-Jährige nicht unbedingt elegant auf den Tisch des Herrn. Dort begann er kommentarlos mit Liegestütz-Übungen. Die ersten 20 gingen recht flott vonstatten, dann schwächelte der Künstler ein wenig, um sich nach dem 26. Liegestütz erst mal ermattet auf dem Altar auszuruhen. Anschließend verließ er geräuschlos das Gotteshaus. Das alles wissen wir, weil Karle zuvor eine Kamera aufgestellt hatte und sich bei seinen Push-ups selbst filmte. Einige Zeit später tauchte sein Video in Schaufenstern und auf der Internet-Plattform „Urban Shit“ auf. Warum das Ganze? Das 92-Sekunden-Filmchen mit dem Titel „Pressure to perform“ (deutsch: Leistungsdruck) sei eine Kunstaktion, die als Kritik an der Leistungsgesellschaft zu verstehen sei, klärte Karle die staunende Öffentlichkeit auf. Sei doch dem Menschen heute nichts mehr heilig. Über das bundesweite Echo zeigte sich der Künstler vor gut einem Jahr gegenüber Radio Saarbrücken recht erbaut. Schließlich sei es fast unmöglich im Rest der Republik wahrgenommen zu werden, wenn man im Saarland arbeite. Er wäre erfreut, wenn sich nun auch der Vatikan äußern würde. Ob dem Heiligen Vater der Vorfall in dem Saarbrücker Gotteshaus je zu Ohren kam, wissen wir nicht. Sicher ist, dass sich die Staatsanwaltschaft und mittlerweile drei Gerichte zu Wort meldeten. In dritter Instanz entschied am Dienstag das Saarländische Oberlandesgericht: Das war nicht nur Hausfriedensbruch (darauf steht Geldstrafe, alternativ bis zu ein Jahr Haft), sondern auch „beschimpfender Unfug“ (Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft). Hausfriedensbruch deshalb, weil der Künstler über die Absperr-Kordel krabbelte. Beschimpfender Unfug wird als Tatbestand im Paragrafen 167 des Strafgesetzbuches genannt, der der „Störung der Religionsausübung“ gewidmet ist. Im Falle des Altar-Turners gebühre dem Grundrecht der Kunstfreiheit kein Vorrang vor dem Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung, urteilten die Saarbrücker Richter. Über das Strafmaß hat jetzt das Landgericht Saarbrücken zu entscheiden. Man mag darüber streiten, ob Karles Aktion künstlerisch wertvoll war. Ein sportliches Kunststück war sie jedenfalls nicht. Hält doch der US-Bürger Charles Servizio den Weltrekord mit 46.001 Liegestützen – in 24 Stunden. Vielleicht sollte der Saarländer bei seinen Kunstaktionen künftig eine andere Disziplin ausprobieren. Wie wäre es mit juristischen Klimmzügen? Dann hätte er vielleicht mehr Übung darin, strafrechtlichen Fallstricken aus dem Weg zu gehen. Übrigens hat schon Turnvater Jahn etwas Weises zum Thema Kunst gesagt: „Das Geheimnis mit allen Menschen in Frieden zu leben, besteht in der Kunst, jeden seiner Individualität nach zu verstehen.“ | Jürgen Müller

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