Rheinland-Pfalz Bei Mertin blitzt Spiegel ab

Minister Mertin (FDP).
Minister Mertin (FDP).

Seit Monaten steht Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) in der Kritik. Geflohene Abschiebehäftlinge, Einzelfallentscheidungen in Asylfragen oder das Tötungsdelikt in Kandel stellen die Flüchtlingspolitik infrage. Der gerichtlich ausgebremste Versuch, eine Stelle im Ministerium nach Parteibuch zu besetzen, und die Schelte durch den obersten Richter des Landes erhöhen den Druck. Die Grünen fordern politischen Beistand von den Koalitionspartnern, der bleibt aber aus.

«Mainz.»Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) legt höchsten Wert auf Vertraulichkeit. Umso erstaunlicher ist es, wenn doch etwas aus dem rot-gelb-grünen Innenleben nach außen dringt. In der Kabinettssitzung vor einer Woche waren die Äußerungen des Verfassungsgerichtshofpräsidenten Lars Brocker Thema in der Kabinettssitzung. Brockers Vorwurf, Spiegels Ministerium interpretiere Asylurteile um und beschädige die Gerichtsbarkeit, schlug hohe Wellen. Grünen-Fraktionschef Bernhard Braun soll ein Einschreiten gefordert haben. Justizminister Herbert Mertin (FDP) hat dem Vernehmen nach gekontert, er befolge auch nicht die Aufforderung, die mehrfach schriftlich an ihn herangetragen worden sei, bei Entscheidungen des Integrationsministeriums zu intervenieren. Damit war das Thema vom Tisch, weder die Staatskanzlei noch FDP oder SPD äußerten sich öffentlich zu dem Thema. Dreyer war nicht da, sie verhandelte den Koalitionsvertrag in Berlin. In Mainz regierte ihr Stellvertreter Volker Wissing (FDP). Es war nicht zum ersten Mal, dass im Kabinett oder allgemein in der Staatskanzlei mehr Beistand und Solidarität für Spiegel angefordert wurde. Ihr Haus ist klein. Mit einem Jahresetat von 405 Millionen Euro ist es das zweitkleinste nach dem Umweltministerium. Grüne klagen hinter vorgehaltener Hand schon lange, Spiegel erfahre zu wenig Unterstützung. Andererseits heißt es, ihr Ministerium sei schlecht aufgestellt. Ein neuer Pressesprecher soll die Kommunikation verbessern. Kritische Worte sind auch über Spiegels Staatssekretärin Christiane Rohleder zu hören, die in wenigen Wochen, wenn Spiegels viertes Kind zur Welt kommt und sie in Mutterschutz geht, das Haus leiten wird. Immerhin: Die Panne mit der Abteilungsleiterstelle hat das Ministerium schnell behoben. Wie berichtet sollte die Leitung der Verbraucherschutzabteilung mit einer grünen Parteifreundin ohne ausreichend Erfahrung besetzt werden. Die stellvertretende Abteilungsleiterin Sigrid Reichle klagte dagegen erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Mainz. Schon drei Tage später setzte das Ministerium gestern das Urteil um: Reichle wird Chefin der Abteilung, die Stellvertreter-Stelle wird neu ausgeschrieben. Bei den Grünen ist Spiegel als kompromisslose Kämpferin für eine humane Flüchtlingspolitik fast so etwas wie eine Galionsfigur. Ihr „Nein“ zur Einstufung Algeriens, Tunesiens und Marokkos als sichere Herkunftsländer gegen SPD und FDP führte im Bundesrat zum Stopp dieses Vorhabens. Dass sie das Kirchenasyl verteidigt, per Weisung einer libanesischen Familie in Bitburg die Abschiebung nach Italien ersparte und sich im Fall einer Armenierin mit der Bad Kreuznacher Landrätin angelegt hat, all das brachte ihr Punkte im eigenen Milieu und heftige Kritik von CDU und AfD. Schwächen in der Flüchtlingspolitik lasten Grüne überwiegend dem Bund an, manchmal auch den Kommunen. Öffentlich zeigt sich die FDP allerdings solidarisch mit Spiegel, obwohl die Partei sowohl im Bundes- als auch im Landtagswahlkampf eine restriktive Asylpolitik beworben hat. FDP-Fraktionschefin Cornelia Willius-Senzer verteidigt Spiegel gegen die Angriffe der AfD. Damit lässt sich eine inhaltliche Positionierung umgehen. Auch Minister Mertin ging im Sommer auf Bitte der Staatskanzlei an Spiegels Stelle ans Rednerpult des Landtags, als über die Flucht eines Abschiebehäftlings aus der Rheinhessen-Fachklinik debattiert wurde. Im Justizministerium gab es schon damals Unmut: Das Ministerium schaffte mit viel Aufwand Richterstellen, um in streitigen Asylverfahren schnell Urteile zu fällen. Ein Zeichen für den funktionierenden Rechtsstaat. Zur gleichen Zeit setzte sich Spiegel für die schnellere Wiedereinreise einer rechtskräftig abgeschobenen Frau ein. Unter Richtern erzeugte das Frust. Sie hörten es gerne, als der oberste Richter Lars Brocker Spiegel angegriffen hat. Sein Wort hat Gewicht, in dem Echo ging das Dementi Spiegels nahezu unter. Brocker ist ein politischer Kopf. Er war Justiziar der SPD-Fraktion und lange Direktor beim Landtag. Er weiß, was er sagt. Deshalb rätseln in der SPD viele über seinen Vorstoß, mehr noch über den Zeitpunkt. Will er mehr Stellen bei den Haushaltsverhandlungen herausholen? Die Sympathie in der Fraktion tendiert eher zu Spiegel, auch wenn öffentliche Bekundungen ausbleiben. Wie es heißt, steht Ministerpräsidentin Dreyer fest hinter ihr. Von dort wird Unterstützung dirigiert. So übernahm es jüngst Innenminister Roger Lewentz (SPD), für die Regierung zu sprechen, als die Bluttat von Kandel Thema im Landtag war. Probleme haben die Genossen jedoch mit der Art, wie Grünen-Fraktionschef Bernhard Braun Spiegel verteidige, geradezu den Beschützer gebe. Er lasse sich zu sehr zu Emotionen hinreißen, zum Beispiel als er während der Plenardebatte zu Kandel der AfD zurief„Sie werden an ihrer braunen Soße ersticken.“

Das Grüne Duo: Fraktionschef Braun und Ministerin Spiegel.
Das Grüne Duo: Fraktionschef Braun und Ministerin Spiegel.
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