Pfalz Frankenthal: Warum Ausfall einer Richterin Babymord-Prozess platzen ließ

Großer Andrang, strenge Kontrollen: So begann im vergangenen November der Mordprozess gegen den Mann, der in Frankenthal seine z
Großer Andrang, strenge Kontrollen: So begann im vergangenen November der Mordprozess gegen den Mann, der in Frankenthal seine zwei Monate alte Tochter vom Balkon in den Tod hatte stürzen lassen.

Der Frankenthaler Babymord-Prozess ist geplatzt und muss neu beginnen, weil eine der Richterinnen für längere Zeit krank geworden ist. Nachträglich einen ihrer Kollegen als Vertretung weitermachen zu lassen, ist unmöglich. Trotzdem gibt es einen Kniff, mit dem die Justiz verhindern kann, dass ein Richter-Ausfall ein Verfahren scheitern lässt.

Die Kapuze hatte sich der Angeklagte übers Gesicht gezogen, seinen schwarz gekleideten Körper schüttelten Weinkrämpfe. Und was er am ersten Verhandlungstag sagen wollte, ließ er seinen Verteidiger vortragen: dass er sein „kleines süßes Baby mit eigenen Händen getötet“ habe . Wie es dazu gekommen war, hat das Frankenthaler Landgericht seit dem vergangenen November erforscht. Doch nun steht fest: Die aufreibende Arbeit war vergeblich, der Mordprozess um den Tod der zwei Monate alten Senna wird im Dezember von vorne beginnen (wir berichteten).

Fristen sollen Gerichte zur zügigen Arbeit zwingen




Platzen ließen das Verfahren Vorschriften, die eigentlich dafür sorgen soll, dass Gerichte ihre Aufgaben möglichst zügig abarbeiten. Eine Pause zwischen zwei Verhandlungstagen darf normalerweise höchstens drei Wochen dauern. Eine Ausnahme gibt es für Prozesse, die sich schon lange hinziehen. Aber auch da muss nach spätestens vier Wochen weiterverhandelt werden. Was dazu führt, dass Gerichte regelmäßig „Schiebe-“ oder „Sprungtermine“ ansetzen: Verhandlungstage, die nur stattfinden, damit die Drei- oder Vierwochenfrist eingehalten wird.

Termine mit Vertagung nach wenigen Minuten




Viel beschäftigte Verteidiger schicken dafür dann gerne einen weniger gefragten Vertreter. Denn zuvor haben sich ohnehin alle Beteiligten hoch und heilig versprochen, dass nichts, aber auch gar nichts Wichtiges passiert. Stattdessen wird lediglich eine kleine Formalie erledigt, und nach wenigen Minuten wird der Fall vertagt. Auch im Frankenthaler Babymord-Prozess gab es solche Verhandlungstage. Denn das Verfahren wurde gleich mehrfach verlängert, doch Gutachter, Anwälte sowie Richterinnen fanden dafür immer wenige Termine, an denen alle kommen können.

Nachträglich Richter einwechseln?




Nun allerdings ist nach 24 Verhandlungstagen eine Richterin krank geworden: Sie fällt so lange aus, dass alle Fristen gesprengt werden. Als die RHEINPFALZ Ende September erstmals im Internet vermeldete, dass der Prozess deshalb gescheitert ist, fragten empörte Facebook-Nutzer unter anderem, warum nicht einfach ein neuer Richter bestimmt wird, der sich in das Verfahren einarbeitet und es dann fortführt. Doch für so einen nachträglich bestimmten Ersatz-Juristen gäbe es noch nicht einmal offizielle Unterlagen, in denen er nachlesen könnte, was bisher geschah.

Protokolliert wird nur der äußere Verlauf einer Verhandlung




Denn die Protokollanten des Gerichts notieren zwar zum Beispiel, dass jemand eine Aussage macht. Doch was ein Zeuge dann inhaltlich berichtet, müssen sich alle Beteiligten selbst aufschreiben. Außerdem haben Richter im einem Prozess auch Reaktionen zu beobachten, die keine noch so ausführliche Mitschrift überhaupt einfangen würde: Sie achten darauf, ob jemand zum Beispiel patzig klingt, verlegen herumdruckst oder ängstlich zum Angeklagten schielt. Einzelne Juristen haben daher schon vorgeschlagen, Verhandlungen komplett zu filmen.

Gegen Videoprotokolle gibt es eine Menge Argumente




Doch gegen solche Videoprotokolle gibt es eine Menge Argumente. Eines davon: Eine Kamera kann nicht in Großaufnahme einen Zeugen filmen und zugleich festhalten, wie der Angeklagte auf dessen Aussage reagiert. Auch solche Mitschnitte würden einem Ersatzrichter also kein allumfassendes Bild vom bisherigen Prozessverlauf bescheren. Der Frankenthaler Landgerichtspräsident Harald Jenet sagt: „Es ist ein wichtiger rechtsstaatlicher Grundsatz, dass der Strafprozess in ununterbrochener Gegenwart derjenigen Richter stattfindet, die schließlich entscheiden.“

Landgerichts-Chef: Gesetzgeber soll für straffen Verlauf sorgen




Änderungen wünscht sich der Jurist allerdings trotzdem. Er fordert, „den Strafprozess so auszugestalten, dass die Verfahren straff und konzentriert abgearbeitet werden können“. Jenet denkt an Vorgaben, die verhindern, dass Anwälte mit Beweis- und Befangenheitsanträgen Prozesse in die Länge ziehen. Die Regeln dafür sind zwar gerade erst strenger worden, doch der Landgerichtspräsident meint: „Da muss uns der Bundesgesetzgeber weiter helfen.“ Dabei kann die Justiz auch selbst verhindern, dass ein Verfahren irgendwann platzt, weil ein Richter ausfällt.

Reserve-Richter in Landauer Drogenprozess




Als beispielsweise das Landauer Landgericht in diesem Jahr gegen die Internet-Großdealer von „Chemical Love“ verhandelte, harrten an sämtlichen Verhandlungstagen eine Berufsrichterin und zwei Schöffen auf einer Art Auswechselbank aus. Sie bekamen also alles mit und hätten daher tatsächlich einspringen können, falls ein Kollege krank geworden wäre. Doch so einen großzügigen Umgang mit der Arbeitszeit ihrer Richter kann sich die Justiz nicht allzu oft leisten. Und so sind es zumeist nur die absehbar ganz langwierigen Fälle, für die Reservepersonal abgestellt wird.

Überlegungen nun auch in Frankenthal




Passieren könnte das nun zum Beispiel im Doppelmordprozess um den Tod zweier Unternehmer

, der Mitte Oktober in Frankenthal beginnt. Und in der Neuauflage des Babymord-Prozesses. Dass der ein langwieriges Verfahren werden könnte, hatte die Justiz im ersten Anlauf schlicht nicht erwartet: Nur sieben weitere Verhandlungstage standen im Terminkalender, als der Angeklagte, mit Kapuze überm Kopf und von Weinkrämpfen geschüttelt, bei Prozessbeginn seinen Verteidiger sprechen ließ.

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