Rheinland-Pfalz „Ein Verkehrssicherheitsrisiko“

Der Bogen zur Führerscheinprüfung wird seit 2010 in Deutschland überall am PC ausgefüllt.
Der Bogen zur Führerscheinprüfung wird seit 2010 in Deutschland überall am PC ausgefüllt.

«Mainz». „Probleme bei der Prüfung? Wir haben die beste Spickmethode, die schon zahlreiche Praxistests bestanden hat“ – mit diesen Worten preist die Essener Elektronikfirma „Spy-School“ unverhohlen ihre Schummel-Technologie im Internet an: Das „Premium-Set“ mit HD-Minikamera und „Spionagekopfhörer“ kostet 499 Euro. Für 220 Euro kann man sich dieses James-Bond-Equipment fürs Spicken auch kurz einmal mieten. 2016 wurden in Rheinland-Pfalz 13 Manipulationen bei der Theorieprüfung aufgedeckt, 2017 waren es 18, in diesem Jahr sind es bereits 65 Fälle. Für Jörg Wehrfritz, Leiter der Technischen Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr Rheinland-Pfalz in Mainz, ist das jedoch nur die Spitze des Eisbergs: „Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.“ Die vom Tüv betriebene Prüfstelle ist in Rheinland-Pfalz für die Durchführung der theoretischen wie praktischen Führerscheinprüfungen zuständig. 53 der in diesem Jahr erwischten 65 Prüfungsschummler hatten laut Wehrfritz technische Hilfsmittel eingesetzt. Die Mini-Kamera wird dabei beispielsweise im Knopfloch des Hemdes versteckt und filmt den Bildschirm ab. Das Signal wird nach draußen gesendet. Dort beantwortet ein Komplize die Fragen: Die Lösungen – über 1000 verschiedene Fragemöglichkeiten gibt es – bekommt der Prüfling über einen Knopf im Ohr zugeflüstert. In anderen Fällen geht der Komplize selbst, teils mit gefälschten Ausweisdokumenten, statt des unsicheren Kandidaten in die Prüfung. Solche betrügerische Hilfe koste zwischen 500 bis mehreren Tausend Euro, schätzten Fahrlehrer. Mit dem Ergaunern des Führerscheins lassen sich also offenbar lukrative Geschäfte machen. Der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sagt deshalb: „In den Fällen, in denen technische Hilfsmittel wie Minikameras eingesetzt werden und ,Hintermänner’ zum Lösen der Aufgaben benötigt werden, ist davon auszugehen, dass es sich dabei um organisierte Kriminalität handelt.“ Ein Anstieg bei den Manipulationen in der Theorieprüfung wird bundesweit beobachtet. Dies dürfte auch daran liegen, dass die Ertappten bisher kaum mit Konsequenzen rechnen müssen: Eine Ordnungswidrigkeit oder gar eine Straftat ist das Hightech-Spicken bisher nicht. „Wir kämpfen da mit stumpfen Waffen“, sagt Wehrfritz. Zwar werde bei Prüfungen teils mit einem Detektor versucht, aktive Datenverbindungen aufzuspüren, doch das Gerät kann nicht alle Funkfrequenzen abdecken. Dazu kommt, dass es den Prüfern verwehrt ist, die Führerscheinkandidaten auf heimliche Technik am Körper oder in der Tasche zu untersuchen. Matthias Lammert, der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, hat mit mehreren Anfragen an die Mainzer Landesregierung das Thema Führerscheinbetrug auch in Rheinland-Pfalz in den Blickpunkt gerückt. Er kennt die Hindernisse bei den Kontrollen. Die Prüfer dürften einen Kandidaten nicht anfassen, um ihm beispielsweise unter die Mütze zu schauen und zu sehen, ob er einen Knopf im Ohr hat: „Da ist man schnell bei einer Körperverletzungen, bei einer Frau auch beim Vorwurf einer sexuellen Nötigung.“ Die Diskussion darüber, ob solche Manipulationen bei Führerscheinprüfungen strikter geahndet werden müssen, kommt nur schleppend voran. Insbesondere das Bundesverkehrsministerium und das Bundesjustizministerium hätten es bisher abgelehnt, solche Täuschungsversuche wenigstens als Ordnungswidrigkeit einzustufen, sagt der Mainzer Verkehrsminister Wissing. Der Bund habe argumentiert, das Spicken bei universitären Prüfungen werde auch nicht als Ordnungswidrigkeit verfolgt. Das ist ein Vergleich, den Wehrfritz so nicht gelten lässt: Wenn jemand mit Minikamera, Spionagekopfhörer und Hintermann arbeite, sei dies ein anderer krimineller Hintergrund als wenn jemand in der Schule mal auf die Lösung des Nachbarn hinüberlinse. Ähnlich sieht es wohl auch Wissing: „In Anbetracht der Zunahme der Manipulationsfälle wird die Schaffung eines Ordnungswidrigkeiten-Tatbestandes erneut zu prüfen sein.“ Es gäbe eine weitere Möglichkeit, Prüfungskandidaten von Manipulationen abzuhalten: Wenn sie sich im Falle des Erwischtwerdens vor einer Wiederholung der Prüfung erst einer medizinisch- psychologischen Untersuchungen (MPU) – dem sogenannten Idiotentest – unterziehen müssten, würde dies sicher als abschreckende Hürde wirken. Bisher werden Führerscheinbewerber aber nur dann zu einer MPU gezwungen, wenn es Zweifel an ihrer geistigen Eignung gibt oder sie bei der Prüfung durch äußerst aggressives Verhalten auffallen. Denn Bund und Länder seien der Ansicht, dass ein Täuschungsversuch nicht zwangsläufig Zweifel an der geistigen Eignung des Kandidaten rechtfertige, sagt Wehrfritz. Im Bund-Länder-Ausschuss für Fahrerlaubnisfragen sei deshalb festgelegt worden, dass in diesen Fällen keine MPU angeordnet werden dürfe. Auch in diesem Punkt will aber Wissing jetzt offenbar versuchen, eine Verschärfung zu erreichen: Es sei sinnvoll, die Fahrerlaubnis-Verordnung so zu ändern, das bei schweren Manipulationsversuchen die Anordnung eines MPU-Gutachtens möglich sei. Rheinland-Pfalz wird das Thema deshalb im Bund-Länderausschuss erneut zur Sprache bringen. Aus der Antwort Wissings auf die Anfragen des CDU-Abgeordneten Lammert geht zudem hervor, dass die in diesem Jahr erwischten Prüfungskandidaten fast ausschließlich aus dem Ausland stammen. Bei den drei im Kreis Germersheim registrierten Fällen kamen die Führerscheinbewerber beispielsweise aus dem Kosovo, Polen und Rumänien; in den acht Fällen, die bei der Stadt Ludwigshafen aufgefallen sind, aus Irak, Syrien, Rumänien, Afghanistan und Indien. Die Nationalität ist für Lammert indes nicht die entscheidende Frage: „Mir ist wichtig, dass niemand den Führerschein erhält, der unsere Straßenverkehrsregeln nicht kennt.“ So sieht es auch der Fahrlehrerverband Pfalz: Die Manipulationen seien ein „Verkehrssicherheitsrisiko“, sagt Vorsitzender Norbert Wagner (Pirmasens). Die an die Theorie anschließende praktische Prüfung könne „nicht alle fehlenden Kenntnisse zu Tage fördern.“ Einwurf

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