Bad Dürkheim Eineinhalb Jahre Sorgen: Lesbisches Paar berichtet von Adoption

Symbolbild: Zwei Mütter, ein Kind: Im Abstammungsrecht ist das so nicht vorgesehen.
Symbolbild: Zwei Mütter, ein Kind: Im Abstammungsrecht ist das so nicht vorgesehen.

Wäre Paula Becker ein Mann, hätte sie sich eineinhalb Jahre Sorgen ersparen können. Denn sie musste den Sohn ihrer Frau Marlene adoptieren, als Mann hätte sie sich einfach eintragen lassen können. Ein Bericht über Diskriminierung.

Man kann sich an Angst gewöhnen. Das hat Marlene Becker* gelernt. Eineinhalb Jahre lang war die Sorge stets da: Was, wenn ihr etwas passiert? Wird Luca zur Adoption freigegeben? Kommt er in ein Kinderheim? Nur, weil er noch nicht offiziell als Sohn ihrer Frau Paula gilt?

„Niemand bereitet einen darauf vor, wie lieb man seine Kinder haben wird. Man will verhindern, dass ihnen etwas Schlimmes passiert. Und das wäre etwas Schlimmes: Wenn Luca nicht nur mich verlieren würde, sondern ihm auch Paula weggenommen werden würde“, sagt Marlene. Diese Angst ist nicht unbegründet. Während sich ein Mann normalerweise schon während der Schwangerschaft als Vater eines Kindes eintragen lassen kann – ganz unabhängig davon, ob er der biologische Vater ist –, muss eine Frau (oder eine andere nicht als Mann geborene Person) einen Adoptionsprozess durchmachen. Und so lange dieser nicht abgeschlossen ist, ist unklar, was mit dem Kind passiert, wenn der leiblichen Mutter etwas zustößt.

„Haben Sie auch heterosexuelle Freunde?“

Für Paula und Marlene begann das alles zwei Jahre vor der Lucas Geburt. Die Schwangerschaft kam durch eine Samenspende zustande und Luca war von beiden von vorneherein als gemeinsames Kind geplant. „Damals musste man verheiratet sein, um überhaupt die Chance zu haben, dass die Adoption durchgeht“, erklärt Paula. Als sie das erfuhren, war die Hochzeit schnell geplant: eine Woche nach der Entscheidung waren sie beim Standesamt. So konnten sie die Adoption drei Monate nach der Geburt beantragen. Das sei die Frist, die man einhalten müsse, sagt Paula.

Die beiden leben im Kreis Bad Dürkheim, das zuständige Amtsgericht hatte kaum Erfahrung mit dem Thema. Es stellte dem kleinen Luca einen Verfahrensbeistand zur Seite. Das werde normalerweise nur bei Sorgerechtsstreitigkeiten gemacht, erklärt Marlene, damit jemand die Wünsche der Kinder im Blick hat. Diese Frau sei dann zu den dreien nach Hause gekommen und habe Fragen gestellt. „Sie wollte wissen, wie Luca zustande gekommen ist, wer sich zukünftig wie und wann um ihn kümmern soll. Andere Leute werden solche Dinge doch auch nicht gefragt“, sagt Paula. Abgesehen von diesem Bericht benötigte das Gericht jede Mange Unterlagen von Paula: polizeiliches Führungszeugnis, ärztliche Bestätigung, dass sie keine chronischen oder psychischen Krankheiten hat, einen Nachweis, was sie verdient, sowie einen Bericht darüber, wie die beiden planen, Luca großzuziehen und welche Werte sie ihm vermitteln wollen.

Eine Stunde zu früh – als Test

Wie sich das alles angefühlt hat? „Paula war sauer, während ich eher panisch war. Ich dachte: Ich darf jetzt nicht sterben“, sagt Marlene. Nachdem alle Unterlagen da waren folgte die Überprüfung durch das Jugendamt. Drei Mal mussten sie sich mit einer Dame von dem Amt treffen. „Es fühlte sich an wie ein Bewerbungsgespräch, nachdem jemand entscheiden kann, ob ich rechtlich für mein Kind verantwortlich sein darf. Und das total willkürlich. Ich wusste ja nicht, wie ich mich genau verhalten muss, damit mir die Adoption erlaubt wird.“

Die Treffen seien anstrengend gewesen. Beim ersten Mal sei die Dame eine Stunde zu früh aufgetaucht, während Paula noch am Putzen war. Die Frau habe dann felsenfest behauptet, Paula hätte sich die Uhrzeit falsch notiert. Doch als der Besuch des Jugendamts bei der Adoption des zweiten Kindes, etwa eineinhalb Jahre später, ebenfalls eine Stunde zu früh kam, sei klar gewesen: Das war ein Test. „Ich habe mich total schlecht gefühlt, weil ich einen Fehler zugegeben habe, der gar keiner war. Nur, weil ich keine schlechte Stimmung wollte“, sagt Paula.

„Haben Sie auch heterosexuelle Freunde?“

Viele Fragen seien unangebracht gewesen, findet sie: „Sie wollte wissen, wie wir dafür sorgen wollen, dass genügend männliche Vorbilder im Leben unseres Sohnes sein werden und ob wir auch heterosexuelle Freunde haben“, erzählt Marlene. Ein anderes Beispiel sei eine Schale mit Süßigkeiten auf dem Küchentisch. „Wir haben die immer da, weil ein guter Freund von uns gerne Süßigkeiten isst“, sagt Marlene. Die Frau vom Jugendamt habe daraufhin gefragt, ob sie ihrem wenige Monate alten Sohn Süßigkeiten geben. „Man macht sich dann Sorgen, ob eine Schale mit Süßigkeiten dazu führen kann, dass die Adoption nicht durchgeht.“

An sich finde sie es nicht schlecht, dass so viel geprüft wird, sagt Marlene. „Ein Führerschein für Kinder wäre ja theoretisch super. Aber dann alle – und nicht nur manche Menschen.“ Und da das nicht geht, sollten die Gesetze so angepasst werden, dass sie nicht mehr diskriminierend sind, finden die beiden. Das fordert der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) schon lange. Sarah Ponti ist Grundsatzreferentin des LSVD und formuliert es so: „Wichtig ist, dass rechtlich verbindliche Absprachen möglich sind. Und zwar schon bevor das Kind auf der Welt ist.“ Denn aktuell könne man im Vorfeld zwar alles absprechen, was man möchte. Doch das sei rechtlich nicht gültig. Auch nicht, wenn die Absprachen notariell beglaubigt sind.

Abhängig vom Wort eines fremden Mannes

Aus diesem Grund sind Marlene und Paula abhängig vom Wort eines Mannes, den sie kaum kennen. Denn nachdem es mit den Proben einer Samenbank nicht funktioniert habe, schwanger zu werden, sei ihr Sohn schließlich von einem privaten Spender gezeugt worden. Die beiden haben Glück, sagen sie, denn der Mann sei vertrauenswürdig, inzwischen seien sie sogar befreundet. Aber das laufe nicht immer so und könne zu großen Problemen führen.

Der LSVD fordert daher, dass Eltern im Vorfeld rechtlich verbindliche Absprachen treffen können. Auch für schwule Paare könnte dies eine Erleichterung sein. „Es gibt manchmal die Konstellation, dass sich ein schwules Pärchen mit einem lesbischen zusammentut, um Kinder zu bekommen“, erklärt Ponti. Wie die elterliche Verantwortung nach der Geburt untereinander aufgeteilt wird, könne dann bereits vor der Geburt rechtlich verbindlich geregelt werden.

Bietet Reform Boden für Leihmutterschaft?

Es gibt auch Kritik an der Forderung: Eine Juristin argumentiert in einem Interview mit der Zeitschrift „Emma“, die Reform könne den Boden für Leihmutterschaft bereiten. Denn die Rechte der Person, die das Kind auf die Welt bringt, könnten durch vorher getroffene Vereinbarungen eingeschränkt werden. Sarah Ponti sagt, dass laut ihren Forderungen zur Reform des Abstammungsrechts die sogenannte erste rechtliche Elternstelle (und damit das Sorge- und Umgangsrecht) bei der Person bleiben solle, die das Kind geboren hat.

Es gehe ihnen darum, dass verbindliche rechtliche Absprachen darüber getroffen werden können, wer die zweite rechtliche Elternstelle innehaben wird und wie Unterhalts-, Sorge- und Umgangsrechte verteilt werden. Was das Thema altruistische Leihmutterschaft angehe, spreche sich der LSVD dafür aus, Standards zu definieren, nach denen diese möglich sei. Dazu müsse dann aber eine umfassende Beratung gehören und es müsse sichergestellt sein, dass das Thema nicht kommerzialisiert werden könne.

Viele geben während des Prozesses auf

Etwa eineinhalb Jahre nachdem sie den ersten Antrag eingereicht haben, hatten Paula und Marlene die geänderte Geburtsurkunde in der Hand und Luca hat seither rechtlich zwei Eltern. Das sei für einen Adoptionsprozess nicht lange, sagt Paula. Bei anderen Eltern, die sie inzwischen über eine selbstgegründete Initiative kennen, hätte es noch viel länger gedauert. Andere hätten zwischendurch aufgegeben. „Nicht jeder ist studierter Volljurist und kann diesen Prozess schaffen“, sagt Marlene.

Für Paare wie Marlene und Paula gibt es aber gute Nachrichten: Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht, dass das Familienrecht modernisiert werden soll. Die Pläne der Ampel entsprechen laut Sarah Ponti ungefähr den Forderungen des LSVD. Allerdings müssten diese nun endlich umgesetzt werden. Justizminister Marco Buschmann habe angekündigt, die Reform bis Herbst 2023 zu beschließen. Noch sei aber unklar, ob das wirklich passiere, da sich vieles derzeit verschoben habe, sagt Ponti. Deshalb habe der Verband dem Bundestag im Mai ein Positionspapier übergeben, das von über 30 anderen Organisationen unterstützt werde. Außerdem eine Petition mit mehreren Tausend Unterschriften. Damit hoffe sie, dass sich bei dem Thema bald etwas tue.

*Die Namen der drei Betroffenen wurden von der Redaktion geändert.

 

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