WIEDERENTDECKT: Raymond Radiguets Roman »Den Teufel im Leib« Vermächtnis eines Frühvollendeten

Jean Cocteau, Freund des vor 100 Jahren blutjung verstorbenen Überfliegers, sieht ihn, Radiguet, mit dem „fürchterlichen Privileg“ ausgestattet, wie Rimbaud ein „Phänomen“ der französischen Literatur zu sein. Das zielt auf das Talent ebenso wie auf die Flüchtigkeit, die Kürze der Zeit, die seiner Kreativität beschieden war, das Rätseln, was von ihm noch hätte kommen können. „Den Teufel im Leib“ hat Radiguet, der schon als Teenager mit Wegbereitern der Moderne wie Picasso, Modigliani, Erik Satie, Francis Poulenc in Berührung kam, mit gerade mal 17 Jahren geschrieben und einen Skandalerfolg erzielt. Die Startauflage war, wie man im Nachwort erfährt, im Nu vergriffen, die Feuilletons elektrisiert. Nur drei Jahre später aber, 1923, starb dieser Funken schlagende Geist an Typhus.
Mit Bildern und Texten von Jean Cocteau
Der Roman, vom Verlag mit Zeichnungen und Texten Cocteaus sowie Briefen und Gedichten Radiguets zu einem reichhaltigen Paket verschnürt, erzählt von der Liebe des 15-jährigen frühreifen Francois zu der 18-jährigen Marthe, die in den Zeiten des 1. Weltkrieges mit dem Soldaten Jacques verheiratet ist. Der Flirt wächst sich aus zur veritablen Affäre, während der gehörnte Ehemann im Feld rätselt über die in ihren Briefen spürbare Entfremdung seiner Frau daheim. Marthe und Francois nehmen zunehmend weniger Rücksicht, so dass bald jeder von ihrem Verhältnis weiß, nur Jacques nicht. Die vorgezeichnete Tragödie lässt Radiguet aber nicht hieraus erwachsen, sondern aus dem Überhandnehmen der Leidenschaft, der wachsenden Unfreiheit – und der Schwangerschaft, die sich fast zwangsläufig ergibt. Eine solche Geschichte ist natürlich schon oft erzählt worden. Und die Jugend des Autors verrät sich nicht nur im Sturm-und-Drang-Stil. Doch das souveräne Erzählen, die hell ausgeleuchteten Innenräume der Leidenschaft, das Eigenleben der Fantasie tragen weit darüber hinaus.
Vor allem aber gehört eine gehörige Portion Kühnheit dazu, dem Patriotismus nach dem Krieg und der damit verbundenen Wertschätzung des Soldatischen mit damals skandalträchtigen Bildern von Ausschweifung und Libertinage die Stirn zu bieten. Künstlerische Feinheiten treten hinzu, wenn die Handlung durch beziehungsreiche Stätten geführt und symbolisch verdichtet wird, dazu eine reiche, farbige Sprache, die in Hinrich Schmidt-Henkels Übersetzung in all ihrer Frische und in bester Lesbarkeit ins 21. Jahrhundert eintreten kann.
Info
Raymond Radiguet: Den Teufel im Leib. Übers.: Hinrich Schmidt-Henkel. Pendragon 2023. 224 S., 22 €
