CD DES MONATS Elegien eines Nordlichts: Grieg-Lieder

Grieg-Lieder von zwei Landsleuten.
Grieg-Lieder von zwei Landsleuten.

Lise Davidsen und Leif Ove Andsnes haben sich Edvards Griegs Lieder vorgenommen und ein Album eingespielt, das trotz der norwegischen Sprache unbedingt zum Hören und Entdecken einlädt.

Es gibt einen Grieg jenseits von „Peer Gynt“. Und der hat nicht nur ein hinreißendes Klavierkonzert komponiert, sondern auch eine Cellosonate, drei Violinsonaten, ein Streichquartett, das mittendrin Wagners „Walkürenritt“ zitiert, und jede Menge Klavierlieder. Dass die Rezeption der letzteren hierzulande, wo man, wenn überhaupt, eher noch dem französischen oder dem englischen Kunstlied zu lauschen gewillt ist, durch die zumeist norwegischen Texte erschwert wird, liegt auf der Hand. Dennoch lohnt sich das Hinhören und Entdecken. Zumal dann, wenn Edvard Griegs Lieder so perfekt dargeboten werden wie auf diesem Album, für das sich Lise Davidsen, der neue Stern am Wagner-Sopran-Himmel, mit dem renommierten Pianisten Leif Ove Andsnes liiert hat.

Unglückliche Liebe einer „Tochter der Berge“

Wie vertraut – und wie wichtig – ihnen Idiom und Gefühlswelt der Lieder ihres Landsmannes sind, demonstrieren die beiden aus Norwegen stammenden Künstler zum Einstieg an „Haugtussa“ (1895). Dieser einzige Liederzyklus, den Grieg geschaffen hat, erzählt von der ersten und natürlich unglücklich endenden Liebe einer „Tochter der Berge“. Wobei das pastorale Moment eigentümlich verwoben ist mit einer etwas schwülen, traumverhangenen Atmosphäre.

Lise Davidsen meistert diesen Mix aus liedhafter Innigkeit, Springtanz-Übermut und dramatischer Geste mit Bravour, lässt gleich im ersten Lied, einer Traumvision der Hirtin, den stupenden Tonumfang ihrer Stimme erahnen, bleibt aber insgesamt schön in der lyrischen Sphäre. Andsnes begleitet mit perlenden Klavierläufen, gibt Davidsens ergreifendem Gesang in „Vond Dag“ – der vom Liebsten verlassenen Hirtin bricht gerade das Herz – ein profundes Gerüst und lässt zum Abschluss, wenn die „Tochter der Berge“ vom Bach Linderung vom Liebeskummer ersehnt, zauberisch das Wasser plätschern.

Verführerisch und kunstvoll

So verführerisch und kunstvoll geht es weiter. Zu den Höhepunkten der Auswahl wie auch der Interpretation durch Davidsen und Andsnes gehören die elegischen Gesänge „En Svan“ (Ein Schwan) auf Verse Henrik Ibsens und „Ved Moders Grav“ (An Mutters Grab) aus dem Opus 69. Beide Lieder entwickeln sich aus ruhenden Akkorden zu tragischer Klimax, um dann wieder in tiefe Melancholie zurückzusinken.

Und dann ist da noch das deutschsprachige Opus 48, für das Grieg Gedichte unter anderem von Goethe, Heine und Walther von der Vogelweide vertonte. Das schönste Lied dieses Opus schuf der Norweger indes auf Zeilen eines weniger bedeutenden Dichters: „Dereinst, Gedanke mein“ nach Emanuel Geibel meditiert über die Ruhe und Stille nach dem Tode, über das Ende aller Leidenschaft und aller Liebespein. Lise Davidsen gestaltet diesen Gesang mit einer Zartheit und Intensität, die erkennen lassen, dass die elegischen Gefilde der Sängerin weitaus näher sind als etwa die artifizielle Mittelalter-Stilisierung in Walthers „Verschwiegener Nachtigall“.

Alles in allem ein großartiges Plädoyer für Edvard Griegs Liedschaffen und daher unsere erste „CD des Monats“ in diesem noch jungen Jahr.

Info:

Lise Davidsen, Leif Ove Andsnes: Edvard Grieg (Lieder), Decca (Universal Music), VÖ: 7.1.2022

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