Kultur Zeltfestival Mannheim mit Judas Priest

Richtungsweisend: Rob Halford von Judas Priest.
Richtungsweisend: Rob Halford von Judas Priest.

Nacht der Legenden, klingt das schwülstig? Sicher. Großspurig? Gewiss. Aber wie soll man es nennen, wenn zwei Bands auf der Bühne stehen, die zusammen fast 85 Jahre Rockgeschichte auf dem Buckel haben? Judas Priest waren stilbildend für den klassischen Heavy Metal britischer Schule, Megadeth gehörten zu den Begründern des US-amerikanischen Thrash. Legenden also, beide. Sozusagen Altmetall-Sammlung in Mannheim. Proppenvolles Zelt. Prächtige Stimmung. Verstörend? Betörend.

Der ältere Herr in Schwarz mit der schütteren grauen Mähne, die ihm am Kopfe klebt, lauscht ehrfürchtig. Die Klänge sind etwas gefälliger als die von Megadeth, die den Abend eröffneten. Die Mannen um Dave Mustaine, Ausnahmegitarrist und Sänger der Thrash-Metaller, hatten den Knüppel aus dem Sack gelassen und ordentlich draufgedroschen. Sie hatten die Geheimnisse von „Hangar 18“ gelüftet, die Frage gestellt „Peace Sells… But Who’s Buying?“ und die „Symphony Of Destruction“ gespielt. Ein ordentlicher Gig einer Truppe, die mit Metallica, Slayer und Anthrax das Genre Thrash Metal quasi erfunden hat. Doch das mitreißende Ding war’s nicht, zu breiig oft der Sound, zu brachial die Methodik. Hymnenpotenzial mit Mitgrölfaktor? Eher kaum. Mit der zweiten Band ändert sich das: Ist das Schweiß oder blitzt da bei dem älteren Herrn eine Träne der Rührung im Augenwinkel? Anschwellendes Geknatter. Nebel. Die ersten Ansätze zur Biker-Hymne „Hell Bent For Leather“ kriechen aus den Boxen. Das Konzert, ein Hetzjagd durch die Bandgeschichte, ist bereits fortgeschritten, doch sie hatte noch gefehlt, die Harley. Kein Auftritt von Judas Priest ohne die Maschine, der Sänger Rob Halford entsteigt wie der Metal-Gott persönlich nach einem Höllenritt über den Ponyhof der vier Apokalyptischen Reiter. Der Film „Easy Rider“ (1969) hat den Chopper in die Bildsprache erst des Hard Rock, dann des Heavy Metal eingeführt. Judas Priest schließlich fügten Anfang der 1980er-Jahre die passende Kluft hinzu: Lederjacken, Nieten, Ketten, Bullenpeitsche, neckische Lederkäppis – auch die. Alles von Halford ursprünglich aufgestöbert in einem Sex-Shop. Und seither untrennbar nicht nur mit „Priest! Priest! Priest!“, sondern mit vielen Musikerkörpern des Genres verbunden. Getragen, um zu bleiben. Dieser Halford also, charakteristisch glattpolierter Kopf und markante Mundbehaarung, hebt an zu „Seek him here, seek him on the highway“, die ersten Textzeilen stößt er geradezu hinein in den galoppierenden Rhythmus von Bass (Ian Hill) und Drums (Scott Travis), in die zwei Gitarren (Richie Faulkner, Andy Sneap), die parallel schneiden wie Kreissägen durch einen Bretterstapel. Seine Stimme fräst sich durch das Gewitter: „Hell Bent, Hell Bent For Leather.“ Der Refrain erzeugt einen unwiderstehlichen Sog. Auf der Video-Leinwand jagen sich dazu Motorräder über kurvige Landstraßen. Halford reckt die linke Hand in die Luft. Er streckt die Arme aus. Er ballt die Faust. „Hell Bent, Hell Bent For Leather.“ Große Momente, große Gesten, große Sprüche. Der Markenkern von Judas Priest, komprimiert auf nicht ganz drei Minuten aus dem Album „Killing Machine“ von 1978. Aber erst mit der Platte „British Steel“ von 1980 legen die Engländer, urkundliche Ersterwähnung 1969 in der Stahlstadt Birmingham, den Grundstein zum nachhaltigen Erfolg – und bereiten das Feld für einen neuen Musikstil, der die harte, aber träg-düstere Gangart von Bands wie Black Sabbath oder Led Zeppelin mit der Energie des Punk verbindet: Die New Wave of British Heavy Metal wird mit ihren kürzeren Songs, ihrer aggressiven Spielweise, dem schrillem Gesang und ihrem Outfit richtungsweisend für unzählige Bands, getreu der Erkenntnis: Laut und schnell, gute Kapell’. Rockmusik, sie wäre heute eine andere ohne den englischen Stahl. „Breaking The Law“, der Schlachtruf des Heavy Metal schlechthin, stammt aus diesem Werk, der auch in Mannheim nicht fehlt, selbstverständlich nicht, ebenso wenig wie „Metal Gods“, ein Etikett, dass sich Judas Priest unbescheiden selbst gern anheften. Doch wieso auch nicht, da ist ja keiner, der so formvollendet, fast schon opernhaft die Sirene anwirft wie Halford, etwa im umjubelten „Painkiller“, Titelstück des wahrhaft Maßstäbe setzenden Albums von 1990. Die Variabilität seiner Stimme hat gelitten, natürlich, der Frontmann ist 66 und meidet bisweilen die prägnanten Höhenflüge. Was nicht weiter stört, auch tiefertönend sind „Living After Midnight“ oder „You’ve Got Another Thing Coming“ schlicht der Hammer. Umso bemerkenswerter, als mit Hill ein Bandmitglied tatsächlich noch älter ist. Gemessen daran klingen Priest mit „Firepower“ (vom 18. Album!) geradezu frisch, womöglich auch, weil die Gitarren-Recken K. K. Downing (atmosphärische Störungen) und Glenn Tipton (krankheitsbedingt) nicht mehr an Bord sind. Die genialen Augenblicke aber sind zurück, „Rising From Ruins“, den Zugabeteil einleitend, wirkt wie eine Reminiszenz an die gute alte Zeit, als der in Mannheim häufig anzutreffende Metal-Fan der ersten Stunde sich noch nicht auf die dritten Zähne biss. Bleibt die Frage, warum einer wie Rob Halford immer noch den Hochtöner gibt. Vermutlich, weil er’s einfach kann.

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