Kultur Unendliche Weiten

Weltraum-Ballett in der Oper.
Weltraum-Ballett in der Oper.

Von den heutigen Spielplänen ist Giacomo Meyerbeers „L’Africaine“ verschwunden, allenfalls ist die berühmte Arie „O paradis“ bekannt, und deren Text stammt teilweise vom späteren Bearbeiter. Umso erfreulicher ist es, dass sich die Oper Frankfurt diesem Stück angenommen hat – bei allen Problemen, die eine Neuinszenierung mit sich bringt.

Eigentlich ist „Die Afrikanerin“ gar keine Afrikanerin, sondern Inderin. Doch da die Opernwelt des 19. Jahrhunderts jahrelang auf eine Komposition mit dem Titel „L’Africaine“ gewartet hat, hat man sie ihr gegeben. Eigentlich sollte Giacomo Meyerbeers letzte Oper ja auch „Vasco de Gama“ heißen. Das war der Wille des Komponisten, den die Witwe überging, er selbst war im Jahr 1864 gestorben. Ein Kollege Meyerbeers ordnete das vorhandene Material, erstellte eine spielbare Fassung, in der die Oper 1865 eine triumphale Uraufführung erlebte. „L’Africaine“ ist aber nicht nur ein philologischer Problemfall. Wie wird man szenisch dem vielschichtigen Phänomen des Kolonialismus gerecht? Wie vermeidet man Tritte in die Exotismus-Falle? Der Regisseur der neuen Frankfurter Produktion, Tobias Kratzer, löst alle inszenatorischen Probleme des Stückes mit einem Schlag: Er verlegt die Handlung nämlich in die Zukunft und macht aus Meyerbeers Grand Opéra ein Science-Fiction-Epos. Kratzer bedient sich beim Kino, bei „Raumschiff Enterprise“, „Star Wars“, „Gravity“ und „Avatar“. Vasco da Gama als Astronaut auf der Suche nach neuen Planeten, Selika und Nelusko als Aliens von einem fremden Stern. Die ersten beiden Akte spielen auf einer Raumfahrtstation auf der Erde, der dritte in einem Raumschiff und die letzten beide auf dem fremden Planeten. Und auch der Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier hat sich am Kino orientiert, weshalb uns die Räume und die Figuren vertraut vorkommen. Klinisch weiß die Station, das Raumschiff und die Anzüge, blau die Aliens. Deren Ganzkörperüberzüge sind zwar gewöhnungsbedürftig, doch wenn man sich so grazil und flüssig bewegt wie Claudia Mahnke als Selika, hat das auch seinen Reiz. Um einer gewissen Eintönigkeit zu entgehen, etwa wenn Meyerbeer nach dem Opernbaukastenprinzip vorgeht, bricht Kratzer die Handlung, ironisiert, parodiert, ohne aber Figuren und Handlung bloßzustellen. Wenn Selika und der von ihr geliebte Vasco in einer Traumvision am Ende schwerelos in der unendlichen Weite des Bühnenhimmels schweben, realisiert er das von Meyerbeer nicht komponierte Ballett. Überaus folgerichtig ist es auch, wenn der ruhmsüchtige Eroberer Vasco, dem Selika die Flucht ermöglicht hat, zurückkommt, die Aliens töten lässt und deren Planet in Besitz nimmt. Damit öffnet Kratzer seine konkrete Inszenierung ins Metaphorische und macht sie anschlussfähig. Meyerbeer klingt weniger überwältigend als Wagner, weniger leidenschaftlich als Verdi, dafür feinsinniger, koloristischer, glänzender. Er experimentiert mit verschiedenen Instrumenten und deren Klangfarben, kombiniert neu, nimmt Impressionistisches vorweg. Das Orchester liefert oft nur das Gerüst, das in erster Linie von den Gesangsstimmen gefüllt wird. Der Dirigent Antonello Manacorda arbeitet die überaus charakteristische Kompositions- und Instrumentationsweise Meyerbeers wunderbar heraus, stuft dynamisch ab, schärft Kontraste und beweist großen Sinn für die Architektonik der einzelnen Akte. Und Meyerbeer muss auch anders gesungen werden als Verdi und Wagner: nah am Belcanto, weit weg vom Veristisch-Naturalistischen. Wichtig sind Phrasierungen, Ornamentierungen und Abschattierungen. Michael Spyres ist ein idealer Vasco da Gama mit schön geführter Stimme, leicht anspringender Höhe, mit der Fähigkeit die Register nahezu übergangslos zu mischen, und hoher gestalterischer Intelligenz. Und auch Claudia Mahnke kostet die Spannbreite der Figur der Selika zwischen erwartungsvoller Erregung, eskapistische Begeisterung und schierer Verzweiflung voll und ungemein intensiv aus. Ihr gehören die anrührendsten Momente der Oper. Kirsten Mac Kinnon macht die Entwicklung der Ines deutlich, Brian Mulligan ist ein bullig-rauer Nelusko, Andreas Bauer ein kalkuliert-böser Don Pedro und Magnús Baldvinsson die Verkörperung des starrsinnigen Oberpriesters schlechthin. Zuverlässig sind auch die Chöre. Großes Kino im Frankfurter Opernhaus! Termine 2., 11., 16., 23., 31. März, 2. April

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