Kultur Tanz der Formen

Im Außenraum der Tiefenthaler Galerie inszenierte Plastik „Inclusion“, ein lackierter Aluminium-Guss aus dem Jahr 2016.
Im Außenraum der Tiefenthaler Galerie inszenierte Plastik »Inclusion«, ein lackierter Aluminium-Guss aus dem Jahr 2016.

Darauf muss man erst einmal kommen. K. O. Götz ist eine Legende und Erfinderfigur der abstrakten Nachkriegsmalerei. Vergangenes Jahr gestorben. Mit 103. Michael Dekkers Bildhauerkarriere nimmt gerade Fahrt auf. Wobei der 1983 in Ludwigshafen geborene Pfalz-Förderpreisträger die größten Hoffnungen schürt. Jetzt zeigt der Tiefenthaler Kunst-Flüsterer Wolfgang Thomeczek unter dem Titel „Dialog“ Werke der ungleichen beiden in seinem Kunstkabinett. Eine kongeniale Kombination.

K. O. Götz, der Mann war ein Held. Ein Aachener, später ewig Westerwälder, früh der Fliegerei zugetan. In der Kunst freischwebend. Jägerleitoffizier im Zweiten Weltkrieg, Radarausbildung. Idol des Informel, wenn man so will, einer deutsch-verkopften Variante des US-amerikanischen Action-Paintings, die Couleur Jackson Pollock und Willem de Kooning. Die Nazis verboten ihm seine Kunst. In seinen Erinnerungen erzählt K. O. Götz, Karl Otto, wie er aus Mangel mit Pinseln malte, deren Haare er nachts schlafenden Kühen aus den Ohren zog. Sein Frühwerk verbrannte bei der Bombardierung Dresdens, wo er an der Kunstakademie studierte. Ein Mann des Anfangs, Mitglied der in Paris gegründeten Gruppe CoBrA, Initiator der avantgardistischen deutschen Künstlervereinigung „Quadriga“. Neben Farb-, Medien-, Film-Experimenten, die er unternahm, entwickelte er ein heute noch angewandtes Verfahren der experimentellen Psychologie, „VAST“, ein Formunterscheidungstest. Er dichtete auch, gab die Lyrik von Hans Arp heraus. K. O. Götz war an der Düsseldorfer Akademie der Lehrer von Sigmar Polke, Gotthard Graubner, Franz-Ehrhard Walter, seiner späteren Frau Karin, die sich Rissa nennt. Und von Gerhard Richter, der deutschen Nummer eins weltweit. Was als dessen Markenzeichen gilt, das Hantieren mit der Rakel, einem Kratzeisen aus Gummi oder Abstreichholz, hat K. O. Götz erfunden. Seine Art zu malen glich einer von langer Hand geplanten Attacke, Schleuderei nach einem Schema, Sekundenkunst mit ewigem Vorlauf. Erst dünnflüssiger Farbauftrag auf der kleisterbedeckten, auf dem Boden liegenden Leinwand, dann rapide Interventionen mit der Rakel, Farbgespritze, schlussendlich werden subtile Verbindungen mit dem trockenen oder flüssigen Pinsel hergestellt. Seine Bilder sind wie Stillleben ozeanischer Verwirbelungen, gestische Kalligraphie, Unterarm-Oberarm-Bewegungs-Exerzitien, ein Tanz. Es ist, als seien kontrollierte Formexplosionen festgehalten. Anarchie herrscht zwischen Bild-Hinter- und -Vordergrund. K. O. Götz, heißt es, agierte früher schon mit geschlossenen Augen, dann mit konzentriertem Blick. In seinen letzten Jahren war er blind und ließ Frau Rissa, selbst eine anerkannte Künstlerin und Kunstprofessorin, nach getaner Arbeit über deren Gültigkeit entscheiden. Er malte bis zum Schluss. Weit über 1000 Positionen umfasst sein Werkverzeichnis. Obwohl es auch farbexplosive Werke gibt, dominiert darauf die Nichtfarbe Schwarz. Im Tiefenthaler Kunstkabinett sind ausschließlich Arbeiten mit schwarzen Positiv-Negativformen ausgestellt. Gouachen, bei denen mit wasserlöslichen Farbpigmenten gearbeitet wird, die mit Kreide versetzt sind. Und Mischtechniken auf Karton. „14 Variationen mit einem Schema“ zum Beispiel, eine unverkäufliche Serie aus dem Jahr 1979, die von der K. O. Götz und Rissa-Stiftung ausgeliehen sind. Hochformate, deren Bewegungsrichtung die Diagonale ist. Von links unten nach rechts oben. Zu erleben ist auch das Bild „Senza Titolo“ (ohne Titel) aus dem Jahr 1961. Rechts sieht man eine Verwirbelung, die fast wie eine zweidimensionale Vorlage der Plastik wirkt, die davor auf dem Sockel steht. „ACT“ stammt aus dem Jahr 2015. Die lilaauberginefarben lackierte Bronze aus geschwungenen Bändern des in Ludwigshafen geborenen, in Düsseldorf und Wuppertal lebenden Michael Dekker sieht so aus, als sei sie aus Holzsegmenten zusammengetackert. Baumarktschrauben stehen noch ab, wie um das Gemachte der Kunst zu verifizieren, ohne den genauen Hergang preiszugeben. Und gleichzeitig ist die Plastik so voller eleganter Energie, Dynamik und Rhythmus. Fast ein K. O. Götz in 3D, faszinierend. Wie Wolfgang Thomeczek erzählt, war er mit dem Informel-Crack Götz gut befreundet. Mit Rissa ist er es immer noch. Dekker und sein Werk von 2015 lernte er bei der Ausstellung zum Pfalzpreis Kunst kennen. Der ausgebildete Landwirt, Geograf und Ex-Meisterschüler des englischen Bildhauerstars Anthony Cragg an der Düsseldorfer Kunstakademie hatte den Nachwuchspreis gewonnen. Ein brachial zur Decke schießendes Gitterwerk aus weißen Multiplex-Latten von ihm war in der Schau zu sehen. Aus Recycling-Material, das er auch schon für das Bühnenbild einer „Hamlet“-Inszenierung verwendet hatte. Leuchtstoffröhren arretiert in dem meterhohen plastischen Sprengsatz. Eine Latte hat ein Sitzpolstermuster. Das Ganze überwölbt eine Landschaft aus grauen Bauklötzen. Leuchtend. Mit Bums. Ein Science-Fiction-Roboter, ein Remake von Tatlins Turm, 1919 für die Dritte Internationale entworfen und nie realisiert. Thomeczek, ein hellsichtiger Mann mit Sehbehinderung, der sich mehr als Kunstvermittler denn als Galerist versteht, war stracks infiziert. Er, so geht die Geschichte, schlug Dekker ad hoc eine Ausstellung vor. Zusammen mit K. O. Götz, der damals noch lebte. Dekker war verwundert. Eins kam zum anderen. Wie sich herausstellte, gehörte die Informel-Ikone Götz zu den Vorbildern des jungen Bildhauers. Rissa erkannte in Dekker ihren früheren Studenten, der so akribisch an seinen semiarchitektonischen Gebilden laborierte. Auch Götz war angetan von Werken wie der goldlackierten Bronze „Physical Reflection II“, die Teile eines zerstörten, verbogenen Bilderrahmens dazu benutzt, neue Leerräume zu definieren. Dann starb er. Rissa hat in seinem Sinn eine ganz erstaunliche Auswahl für die Tiefenthaler Ausstellung getroffen. Denn das Werk von Götz tritt beinahe wie ein Bühnenbild für die hochagilen, geistesverwandten Arbeiten des jungen Pfälzers zurück. Großer Auftritt für die „Begegnung gestischer Abstraktion in Vergangenheit und Gegenwart“ also, wie die stellvertretende Direktorin des Museums Pfalzgalerie Kaiserslautern, Annette Reich, in einem Katalogbeitrag schreibt. Tatsächlich vibrieren Dekkers oft farbig lackierten, dem Urbanen und der brachialen Natur abgewonnenen Tektoniken und im vollen Lauf erstarrten Bewegungswelten vor der schwungvollen Kunst des Altmeisters umso mehr. „Boosted Rooms“, gesteigerte Räume, nannte der enthusiastisch mit organisch gewachsenen Felswänden, Gesteinsschichten, Erosionen und Sedimententwicklungen beschäftigte Dekker eine seiner Schauen. Seine Kunst beglaubigt, dass der Aufbruch von K. O. nicht folgenlos geblieben ist. Und so ergibt sich schon von außerhalb des Kunstkabinetts der titelgebende Dialog. Draußen Dekkers wie aus geologischen Schichten aufgetürmte Skulptur „Inclusion“ (2016), ein weiß lackierter Aluminium-Guss mit blauen Farbsprengseln. Ein Tanz aus Schwüngen, der überraschende Ein- und Ausblicke gewährt. Und durch die gläserne Eingangsschiebetür schaut man auf die Gouachen von Götz. Ein traumschönes Bild. Ausstellung und Termin —„K. O. Götz, Malerei, Michael Dekker, Skulptur: Dialog. Gestische Abstraktion in Fläche und Raum“, bis 24. Juni. —Am Sonntag, 10. Juni, 11 Uhr: Konzert mit Chris Jarrett und Erwin Ditzner. Anmeldung erwünscht, Tel. 06351/124021; www.kunstkabinett-tiefenthal.de

Dekker-Bronze „Physikal Reflection II“ vor einem Detail des Götz-Bildes „Ikarus Grab“.
Dekker-Bronze »Physikal Reflection II« vor einem Detail des Götz-Bildes »Ikarus Grab«.
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