Kultur Siegfried in der Wüste

Blick in die Vergangenheit: Bei den Wormser Nibelungenfestspielen arbeitet Autor Albert Ostermaier ein Stück deutscher Militärge
Blick in die Vergangenheit: Bei den Wormser Nibelungenfestspielen arbeitet Autor Albert Ostermaier ein Stück deutscher Militärgeschichte in sein Stück mit dem Titel »Glut« ein.

Wenn in knapp einem Monat in Worms die Nibelungenfestspiele starten, hat mit „Glut“ ein Stück von Albert Ostermaier Premiere, das, wie es heißt, auf „wahren Begebenheiten“ beruht. Eine Reise in die Vergangenheit.

Kerbela, 1915. Die Herren nehmen Haltung an, salutieren: deutsche Offiziere am Grabe Husseins, des größten schiitischen Märtyrers. Der Besuch dieses Heiligtums war wohl eine der höchsten Ehren, die deutschen Soldaten jemals zuteilgeworden ist. Ihr Schicksal wird nun Gegenstand der Wormser Nibelungenfestspiele. Ostermaier will, wie man lesen kann, vor dem Wormser Dom ein „Lehrstück“ auf die Bühne stellen, das zeigt, was geschieht, wenn westliche Nationen im Orient zündeln. Dazu lässt er einen Trupp deutscher Soldaten, der sich als Gauklertruppe tarnt, die ein Nibelungenstück aufführen will, anno 1915 in den Orient reisen. Ihr Ziel: Araberstämme gegen die Engländer aufwiegeln und von diesen besetzte Ölquellen angreifen. Der dramaturgische Ansatz ist nicht neu. Theater im Theater ist seit Shakespeare geschätzt. Ostermaiers Zentralfigur ist der Hauptmann Fritz Klein. Der lag in Saarbrücken in Garnison, war in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg Militärattaché unter anderem in Kairo und Teheran, sprach Persisch und hatte beachtliche archäologische Kenntnisse. Genau der richtige Mann für neue Aufgaben im Orient. Dort hatte der Sultan des mit Deutschland verbündeten Osmanischen Reiches als Kalif den „Heiligen Krieg“, den Dschihad, gegen die Westmächte ausgerufen. Der richtete sich nicht gegen Christen an sich, sondern zielte auf die Befreiung der Moslems von Nordafrika bis nach Indien aus der kolonialen „Sklaverei“ der Westmächte. Darauf gestützt sollten deutsche Spezialkommandos Beduinenstämme mobilisieren, feindliche Truppen binden und die alliierte Rohstoffversorgung schädigen. So wurde Klein nach Mesopotamien abkommandiert. In Aleppo, einer Stadt mit einer großen deutschen Kolonie, sammelte er eine kleine Expedition – ein gutes Dutzend Männer: Archäologen, Spezialisten, Abenteurer. Die Truppe operierte im heutigen Irak und Iran. Klein wusste um die Bedeutung der schiitischen Geistlichkeit für das deutsch-türkische Bündnis. Sollten die Schiiten in diesem gehalten und der „Heilige Krieg“ des sunnitischen Sultans von ihnen wirklich übernommen werden, musste er die Mullahs entsprechend überzeugen. Dies gelang. Zwei Fatwahs ergingen. Jetzt waren auch die Schiiten in die Dschihad-Front eingebunden. Die Türken ernannten Klein zum Major und machten ihn zum Generaletappenchef der Bagdadfront, dem die Organisation des gesamten Nachschubs sowie die türkische Flottille auf Euphrat und Tigris unterstand. Klein sorgte für Effizienz. Als keine Kohlen mehr durchkamen, erschloss sein Bergingenieur eine provisorische Kohlenmine, die umgehend ausgebeutet wurde. Östlich dieser Front wurde das Kommando Klein auch im Iran aktiv. Zusammen mit persischer Miliz und Wüstenstämmen wurde der Kampf gegen Russen und Engländer aufgenommen. Die hatten Persien in „Interessenzonen“ aufgeteilt und rückten vom Norden und vom Golf her vor, um eine feste Landverbindung zu gewinnen, über die dann der westliche Nachschub für Russland rollen sollte. Das sollte Klein versuchen zu verhindern. Als nach dem türkischen Sieg bei Kut-al-Amara 1915 ein ganzes britisches Korps in Gefangenschaft geriet, hatte er mit seinen Leuten einen wichtigen Anteil daran. Den verwegensten Coup des Kommandos allerdings landete der Archäologe Hans Lührs, der mit einer kleinen Gruppe eine britische Öl-Pipeline zerstörte. In Worms haben die Proben zu „Glut. Siegfried von Arabien“ begonnen. Nach der Premiere wird man wissen, wie ernst gemeint es mit dem Hinweis auf wahre Begebenheiten war. Vor allem wird sich dann das Rätsel um den großen Eisenbahnwaggon lösen, der auf der Bühne vor dem Dom installiert werden soll. Denn mit einer Eisenbahn hatte Fritz Klein nicht viel zu tun. Mit dem von Agatha Christie sattsam als mondän-kriminalistisches Grusel-Interieur in Anspruch genommenen „Orient-Express“ ist er nie gefahren. Der war ein französisch dominiertes Unternehmen, das die berühmte Linie Paris-Konstantinopel bei Kriegsbeginn einstellte. Als die Kriegslage später einen deutschen Balkan-Express Berlin-Wien-Konstantinopel zuließ – ab dem 14. Januar 1916 – war Klein längst im Einsatz. Bleibt noch die Bagdad-Bahn. Die aber war eine deutsch-türkische Unternehmung, fuhr nur auf türkischem Gebiet und war so für die Expedition Klein mitnichten Feindesland. Gründe zur Tarnung entfielen. Dennoch ist die Truppe auch nicht auf dieser Strecke durch die Wüste gereist. Ging nämlich nicht. Im Ersten Weltkrieg war die Bagdad-Bahn noch zweiteilig. Die lange Wüstenstrecke war überhaupt noch nicht gebaut, sondern klaffte als Lücke zwischen Dscherablus und Samarra bis weit nach Kriegsende. Termine Premiere der diesjährigen Wormser Nibelungenfestspiele ist am 4. August. Das Stück „Glut“ von Albert Ostermaier ist dann bis zum 20. August jeden Abend zu sehen. Regie führt Nuran David Calis. Karten unter www.nibelungenfestspiele.de oder telefonisch unter 01805-33 71 71.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x