Kultur Sex, Drugs und Schokolade

Echte Hip-Hop-Stars statt Hüpfburg: Mit dem Trio Deine Freunde hatten die Kinder ihre eigenes Programm auf großer Bühne.
Echte Hip-Hop-Stars statt Hüpfburg: Mit dem Trio Deine Freunde hatten die Kinder ihre eigenes Programm auf großer Bühne.

Sex, Drugs and Rock’n’Roll – das war gestern. Omas Schokoladenschublade, Ferien und Hausaufgaben: Das sind heute die Themen, bei denen so richtig die Post abgeht. So war es jedenfalls am Wochenende bei Jazz and Joy in Worms. Zum ersten Mal hatte Leiter David Maier für das dreitätige Festival eine Band extra für Kinder engagiert: Deine Freunde. Und das junge Volk hüpfte mit den Jungs auf der Bühne um die Wette. Mittendrin der Festivalchef mit seinem siebenjährigen Sohn.

Dass sich bei Konzerten Kinder vor den Bühnen tummeln, den Anblick ist man seit Hippiezeiten gewohnt. Die Eltern von heute lassen das auch geschehen, statten aber ihre Kinder mit Gehörschutz in Form von bunten Kopfhörern aus. Dass die Kurzen aber bei einem Festival nicht nur Hüpfburg und Spielmobil am Rande geboten kriegen, sondern ihre eigenen Hip-Hop-Stars auf großer Bühne, das ist ungewöhnlich. Deine Freunde geht zurück auf eine Initiative des Hamburger Sängers Florian Sump. Der war schon mal in den 1990ern als Schlagzeuger der Gruppe Echt („Du trägst keine Liebe in dir“) im Pop-Olymp. Heute arbeitet er als Erzieher in einer Hamburger Kindertagesstätte. Und eigentlich wollte er nur ein Lied für die Kinder aufnehmen: im Studio von Markus Pauli, dem Musikproduzenten und Live-DJ von Fettes Brot. Mit dabei auch Lukas Nimscheck, der später Moderator des „Tigerenten-Clubs“ wurde. Die Musik des Trios klingt erwachsen. Und die Texte handeln von den wirklich wichtigen Dingen des Lebens: „Oma gibt mir Schokolade. Sie hat da so `ne Schublade, Schublade voller Schokolade, voll so wie im Schlaraffenland.“ Damit rappt das Trio inzwischen in großen Hallen mit kleinen Leuten und am Sonntagnachmittag auf dem Wormser Marktplatz. Auch beim Sonderkonzert am Freitag ist es ein kleiner Kerl, der Sängerin Sarah Connor fast die Show stiehlt. „Ich möchte mit dir singen“, sagt der Neo selbstbewusst, als ihn die Sängerin, selbst vierfache Mutter, auf die Bühne holt. Sarah Connor stellt Lieder ihres deutschsprachigen Albums „Muttersprache“ vor, aber auch englische Songs. Vor allem ihren Hit „From Sarah With Love“ feiern die 3000 Zuhörer mit Handyleuchten. Noch stärker als zuvor setzt Jazz and Joy, das schon immer ein eher gesetztes Publikum jenseits der 50 angezogen hat, in diesem Jahr auf die Eingängigkeit der Musik. Anders als etwa Enjoy Jazz oder das Mannheimer Indiefestival Maifeld Derby hat man in Worms keine besondere Zielgruppe im Blick, sondern eher die breite Masse. Die Atmosphäre der fünf Bühnen rund um den Wormser Dom ist einladend. Da kommen viele, um Freunde zu treffen und ein Schwätzchen zu halten bei einem gepflegten Glas Wein. Die Musik soll die Stimmung beflügeln. Das Konzept geht in diesem Jahr wieder auf: 20.000 Karten werden die drei Tage über verkauft, obwohl deren Preise saftig aufgeschlagen haben um 25 Prozent. Doch das Konzept geht nur abends auf. Künstler, die ihre Auftritte früher am Tag haben, spielen ins Leere. In der Hitze bleiben die Plätze verwaist, die wenigen Zuhörer verziehen sich in den Schatten. Proppenvoll ist der Weckerlingplatz aber, als die niederländische Saxofonistin Candy Dulfer mit ihrer siebenköpfigen Formation das Festival am Freitag eröffnet und mit geschmeidigem Funk ohne Ecken und Kanten die Partylaune befeuert. Zwei große Hits hatte Candy Dulfer: „Lily Was Here“ von 1989 und „Sax-a-Go-Go“ von 1993, die von den Zuhörern denn auch in Erinnerung an die eigene Jugend besonders gefeiert werden. Bei vielen der 37 Konzerte am Wochenende ist Funk und Soul geboten: Bei der Schweizer Sängerin Stefanie Heinzmann genauso wie bei dem erst 18-jährigen französischen Gitarristen Tom Ibarra oder dem deutschen Gitarristen Torsten Goods, bei der jungen niederländischen Truppe Jungle by Night wie beim Münchener High-Fly Orchestra. Die Ephemerals aus London statten ihren Retrosoul mit fettem Bläserklang und treibendem Beat aus, lassen ihn auch mal psychedelisch verwehen oder rockig krachen. Und viel Groove legt auch der deutsche Posaunist Nils Wogram unter seinen warmen, emotional dichten Bläsersound. Konzentriert zugehört wird in Worms vor allem vor der Jazzbühne auf dem Platz der Partnerstadt. Hier bieten der norwegische Pianist Bugge Wesseltoft mit dem Münchner Schlagzeuger Christian Prommer den einen wirklichen Reibungspunkt des Festivals. Bei dem Duo ist Kreativität in Echtzeit zu erleben. Zwar liegt es im Wesen der Improvisation, dass sie nicht auf Notenblättern festgeschrieben ist. Doch wird auch sie von den Musikern meist in Proben erarbeitet. Nicht so bei Wesseltoft und Prommer: Mit ein paar Ankerthemen im Gepäck kommen sie zusammen und lassen sich vom Sog ihrer Sounds mitreißen. Jazz, Ambient und Funk: Was die beiden an akustischen und elektronischen Sounds in ihre Speicher geben – Wesseltoft zuweilen mit der Hingabe eines Duracell-Hasen –, lassen die Regler in vielfachen Variationen wieder raus. Das klingt mal nach Orgel und Bläsern, mal nach Hobbyfunker, R2D2 und dem Echo-Lot aus einem U-Boot. Immer wieder neu, immer wieder aufregend. Und gerade die Spannung zwischen der sturen Elektronik und dem flexiblen menschlichen Gefühl fürs Timing macht den besonderen Reiz aus.

Soul im Retrosound bieten die Ephemerals aus London mit Wolfgang Valbrun als Frontmann.
Soul im Retrosound bieten die Ephemerals aus London mit Wolfgang Valbrun als Frontmann.
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