zeitgenössische Kunst Schokokugeln gegen Überwältigungsarchitektur: die Landeskunstschau „Flux4art“ in Bendorf

Satyr aus Margarine: Werk von Sonja Alhäuser.
Satyr aus Margarine: Werk von Sonja Alhäuser.

Die dreiteilige Landeskunstausstellung „Flux4art“ ist in der Sayner Hütte in Bendorf gestartet. Mit großen Namen, Werken aus Margarine, Gemälden auf Teppichen, Sprechblasen für Feuerlöscher, Licht. Gezeigt werden sie in einem Industriedenkmal von europäischem Rang. Das ist ein Glücksfall und ein Handicap zugleich. Warum?

Vor der Sayner Hütte in Bendorf parkt ein Kleinwagen. Beiläufig. Ein Peugeot. Auf dem Dach, per Spanngurt fixiert, ein mehr als Medizinball-großer Globus aus Keramik. Sieht aus, als habe jemand eine ganze Welt dabei. So wie andere ihre Habseligkeiten. Assoziationen, unvermeidlich. An Migration. Südosteuropa. Spaßvögel. Übermut. Kunst. Kurzum: Die automobile Alltagsintervention der jungen Grünstadter Künstlerin Tugba Simsek ist Teil der Landeskunstschau, die in dem ehemaligen Hüttenwerk im Kreis Mayen-Koblenz den Status der hiesigen Profi-Szene rekapituliert.

Flux4art nennt sich das vom Berufsverband Bildender Künstler/innen Rheinland-Pfalz organisierte und vom Land mit 200.000 Euro budgetierte Format. Es sieht vor, dass 60 Künstler/innen ausstellen, zeitlich versetzt, verteilt auf drei unterschiedliche Orte, heißt: Immer andere Werke sind andernorts zu sehen. 40 Aussteller/innen bestimmt eine Jury, 20 ein/e Kurator/in. Die jeweilige Ortsspezifik gehört dabei zu der Biennale unbedingt dazu, die Kunst- mit Struktur- und Tourismusförderung mischt. Die Krux ist, dass die allermeisten die Landeskunstschau so wohl nur zum Teil sehen dürften.

Essbare Kunst: In der Gießhalle riecht es jetzt nach Schokolade

In der ersten „Flux4art“-Ausgabe 2018, insgesamt besucht von 4000 Menschen, war unter anderem die Festung Germersheim eine der Bühnen – was inszenatorisch ziemlich schief ging. Dieses Mal ist das Forum Alte Post in Pirmasens dabei. Die Casa Tony M. in Wittlich. Und als erstes eben die 1769 von Kurfürst Wenzeslaus von Sachsen gegründete Hütte, gegen deren Präsenz sich die Kunst seit vergangener Woche redlich müht.

Kuratorin ist die Pfälzerin Christina Körner aus Rheinzabern, eine Kunsthistorikerin mit eigenem PR-Büro. Die Gießhalle, in der sie ihre Überblicksschau gezirkelt hat, ist wirklich spektakulär. Basilika-artig, ein Industriedenkmal von europäischem Rang. Ein halbes Fußballfeld groß fast, riesig hoch, das gesamte Tragwerk gusseisern, gehalten von Säulen mit dorischen Kapitellen, der vordere Abschluss eine Glaswand. Wer hiergegen anstinken will, muss schon so gut riechen wie Sonja Alhäusers Werk, das die ortsansässige Kriegsproduktion ironisiert: Kanonenkugel-große Bälle aus Schokolade, die aussehen wie Blow-ups von Ferrero-Rocher-Pralinés. Oder muss so kokett und Konditorinnen-meisterlich sein wie ihre beiden barocken Figuren aus Ziehmargarine und Kokosfett, die, in beleuchtete Kühlvitrinen gezwängt, gestikulieren. „Lehnendes Hallo“ ist die eine Skulptur betitelt. Sie gebiert nackige Putten, die sie sodann beklettern. Der behufte Satyr daneben ranzt schon gelblich. Sonja Alhäuser, eine ehemalige Villa-Massimo-Stipendiatin aus Sieg, 1969 geboren, gehört in Rheinland-Pfalz ohne Zweifel zum Kunst-Establishment.

Große Namen stellen aus, etwa Madeleine Dietz aus Landau

Wie die Landauerin Madeleine Dietz, documenta-6-Teilnehmer Erwin Wortelkamp (Hasselbach), dessen Objekte mit ihrer Scheinnaturnähe spielen, wie seine ausgehöhlte Fake-Baumrinde aus Metall, die in der Gießhalle ausliegt. Oder das deutsch-kenianische Künstlerpaar Mwangihutter aus Ludwigshafen, dessen Werke – vor Corona jedenfalls – bei diversen Biennalen weltweit beinahe schon zum Inventar zählten.

15 Künstler/innen stellen in Bendorf aus. Nur 15. Auffallend wenig. Die Strategie der Schau aber, der Überwältigungsarchitektur neben dem Nachwuchs – wie die eingangs erwähnte Simsek oder die frisch gekürte Emy-Roeder-Förderpreisträgerin Theresa Lawrenz – ausgewählt große Namen entgegen zu setzen: Sie gelingt nicht immer gut.

Eine kommentierende Sprechblase

Mwangihutters Video etwa steht viel zu sehr abseits im Obergeschoss der Gießhalle, vom Publikum abgewandt. Es zeigt die Tochter des Paars, die sich, mit einer wachsenden Anzahl schwarzer und weißer Punkte übersät und begleitet vom Mantra-artigem Gesang der Mutter im Kreis und um Identitätsfragen dreht. Und die Metallplatten und Gitter, die Madeleine Dietz auf einer Schicht Erde zur fragilen Behausung von Ambivalenzen (Mutter Erde, Vater Stahl?) zusammengeschoben hat, wirken im Gießhallen-Großraum weniger suggestiv als gewohnt.

Es lohnt halt schon – und gerade hier –, wenn Künstler/innen mit ihren Werken auf die Ausstellungssituation reagieren. Oder ihre Arbeit extra herstellen, wie der 73-jährige Koblenzer Burghard Müller-Dannhausen sein auf die Wand gemaltes Zackenkonglomerat. Er will es als farblaute Sprechblase eines vorhandenen Feuerlöschers verstanden wissen. Ähnlich sensibel integriert Lukas Gartiser den Umraum in sein Werk. Er hat die Rollzeichnungen fragmentierter Passanten in Bewegung sinnfällig um zwei Säulen gewickelt.

Die Walze, das Walzen, das Gewalzte – alles ist Kunst

„Die Herausforderung, ein Bild anzupacken und die Entdeckerfreude beim Malen sind so groß, dass irgendwelche Bedenken und formale Kriterien in den Wind geschlagen werden“, formuliert der Wormser Julius Grünewald sein Credo. Jung und wild wirkt denn auch seine berittene Winnetou-Figur. Ganz aufgelöst vor Kampfeslust, den Speer in der Hand, den Arm gereckt, gemalt auf einen Salon-tauglichen Teppich, der haushoch zwischen zwei Säulen hängt. Ja, ein Teppich als Malgrund. Von Jáchym Fleig, einem Schüler des gebürtigen Speyerers Eberhard Bosslet, wuchert dazu ein unheimliches Nestgeschwür aus Bauschaum aus der Wand.

Und Katrin Nicklas, Jahrgang 1989 aus Mainz, hat eine wie eben gebraucht aussehende Druckwalze mit roten Rauten in die Gießhalle gerollt. Und so hängt dann auch eine lange, bedruckte Textilbahn mit dem Muster vom Himmel herab wie eine Frage. Was jetzt ist die Kunst? Die Walze? Das Walzen? Das Gewalzte? Wie der Name schon sagt: Bei der Flux4art ist alles im Fluss. Gegeizt wird nur mit Erklärungen, Text. Sogar Lichtkunst ist vertreten. Der in der Metropolregion lebende Ingo Wendt hat sie in einem Alkoven der Gießhalle installiert. Kunst, die leuchten soll. Gelingt das? Sagen wir es so: Bei der Vorbesichtigung blieb Wendts Werk ausgeschaltet. In Pirmasens, der nächsten Station, warten neue Versprechen.

Die Ausstellung

Baumrinde oder „Alteisen“? Arbeit von Erwin Wortelkamp
Baumrinde oder »Alteisen«? Arbeit von Erwin Wortelkamp
Malgrund Teppich: Gemälde mit Winnetoufigur von Julius Grünewald.
Malgrund Teppich: Gemälde mit Winnetoufigur von Julius Grünewald.
Produktionsmittel als Werk: die Walze hat Katrin Nicklas in die Gießhalle gerollt.
Produktionsmittel als Werk: die Walze hat Katrin Nicklas in die Gießhalle gerollt.
Auf dem Dach, eine ganze Welt: Den Peugeot hat die Grünstadter Künstlerin Tugba Simsek vor der Sayner Hütte geparkt.
Auf dem Dach, eine ganze Welt: Den Peugeot hat die Grünstadter Künstlerin Tugba Simsek vor der Sayner Hütte geparkt.
Entfestung: Die Landauerin Madeleine Dietz gehört zu den Stars der Landeskunstschau.
Entfestung: Die Landauerin Madeleine Dietz gehört zu den Stars der Landeskunstschau.
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