Festival „Rock am Ring“: Das große Comeback

Besucherrekord bei „Rock am Ring“. Corona spielte für die meisten keine Rolle mehr.
Besucherrekord bei »Rock am Ring«. Corona spielte für die meisten keine Rolle mehr.

Es war wie vor Corona, nein, schöner: Rund 90.000 Besucher und über 70 Bands haben übers Wochenende bei „Rock am Ring“ gefeiert. Friedlicher als vor der Pandemie – und gewiss auch dankbarer.

Schwer zu sagen, wer glücklicher war – die Rockstars, ihre Fans oder all die Menschen, die in der Veranstaltungsbranche tätig sind und zwei äußerst harte Jahre hinter sich haben. Sie alle haben dafür gesorgt, dass „Rock am Ring“ am Nürburgring zu einer großen Party wurde. Laut Polizei wurde friedlicher gefeiert als vor Corona: Die Anzahl der Straftaten – vor allem Körperverletzungen und Diebstähle – sei weitaus geringer gewesen, hieß es. Die Bands wurden indes nicht müde zu betonen, wie froh und dankbar sie waren, endlich wieder auftreten zu können. Und die Fans wurden es nicht leid, als Antwort lautstark zu jubeln.

Endlich wieder Festival!
Endlich wieder Festival!

Das Wetter spielte größtenteils mit. Bis Samstagnacht galt: Sonnenbrand statt Regencape. Erst am Sonntag schüttete es zeitweise wie aus Kübeln. Aber keine große Sache, Regen gehört ja fast schon dazu beim Festival in der Eifel, das erstmals von neuen Veranstaltern ausgerichtet wurde.

Kein bisschen müde

Pyroshow, Konfetti und eine Stimme wie vor 20 Jahren: Die Headliner Green Day haben am Freitagabend die Menschen vor der Hauptbühne mitgerissen. Sänger Billie Joe Armstrong holte sich zwei Fans auf die Bühne, wobei vor allem eine junge Frau mit der E-Gitarre glänzte, die Armstrong ihr kurz zuvor in die Hand gedrückt hatte.

Holte Fans auf die Bühne: Billie Joe Armstrong von Green Day.
Holte Fans auf die Bühne: Billie Joe Armstrong von Green Day.

Zeitgleich mit Green Day spielte der deutsche Rapper Marteria. Man musste sich fast zweiteilen, um beide zu sehen – das Los bei einem Festival mit drei Bühnen. Der Rostocker wusste genau, wie er das Publikum zum Abfeiern animieren konnte und ließ sich im wahrsten Sinne des Wortes von ihm auf Händen tragen. Zur Feier des Tages gab’s auf der Bühne einen Zungenkuss mit Hosen-Sänger Campino. Eine Menge Menschen zogen danach zu Scooter. Dort hieß es zu Technobeats ganz tiefgründig: „F*** 2020“ als eine Art umgekehrte Hommage an das Corona-Jahr.

Gewohnt selbstironisch gab sich Alligatoah.
Gewohnt selbstironisch gab sich Alligatoah.

Gewohnt selbstironisch gab sich Alligatoah („Du bist schön“). Seine fleißigen Bühnenhelfer bauten dem Rapper und Sänger praktisch unter dem Hintern die eigene kleine Bühne auf der Hauptbühne ab, nahmen ihm das Keyboard weg und schoben ihn nach dem „Trauerfeier Lied“ passenderweise in einer Kiste weg.

Ein waschechter Rockrüpel

Weit härter ging es bei Bullet for my Valentine und Korn zu. Ebenso bei Airbourne – nicht nur musikalisch betrachtet. Sänger Joel O'Keeffe ließ sich auf Schultern mitsamt E-Gitarre durch die Menge tragen und zerdepperte sich eine Bierdose auf dem Kopf. Ein Rockrüpel durch und durch.

Ein Rockrüpel durch und durch: Airbourne-Sänger Joel O'Keeffe ließ sich gehen.
Ein Rockrüpel durch und durch: Airbourne-Sänger Joel O'Keeffe ließ sich gehen.

Mehr düster als ausgelassen präsentierten sich Muse, Headliner am Samstag. Mit futuristischen Gesichtsmasken ließen die Engländer ihre Gitarren schreien und die Elektrobeats hämmern. Im Hintergrund brannte das Bandlogo lichterloh. Prädikat: absolut gelungen.

Ebenso gelungen war die Show von Volbeat, Headliner am Sonntag. Sänger Michael Poulsen war nicht anzumerken, dass er eine Kehlkopfoperation hinter sich und praktisch vorübergehend seine Stimme verloren hatte. Kraftvoll wie eh und je gab er „Still Counting“ oder „Shotgun Blues“ zum Besten.

Weniger Glück mit der Stimme hatte Beatsteaks-Sänger Arnim Teutoburg-Weiß. Ausgerechnet zu „Rock am Ring“ und dem Schwesterfestival „Rock im Park“ in Nürnberg hatte es ihn am Hals erwischt, wie er selbst sagte. Das machte sich vor allen in den höheren Stimmlagen bemerkbar. Seine Bandkollegen unterstützten ihn. Nichtsdestotrotz lieferte er eine gute Show ab und versetzte so manchen im Publikum zurück in Jugend- oder Studienzeiten.

Muse waren Headliner am Samstagabend und starteten mit futuristischen Masken und einem brennenden Band-Logo im Hintergrund.
Muse waren Headliner am Samstagabend und starteten mit futuristischen Masken und einem brennenden Band-Logo im Hintergrund.

Gäbe es einen Preis für das schönste Bühnenbild, Casper würde ihn bekommen. Der Rap-Rocker mit der Reibeisenstimme performte in einem Meer aus Blumen. Zwischen den Liedern hielt er immer wieder inne, zu bewegt, um weiterzumachen. „Rock am Ring, das bedeutet mir die Welt“, sagte er nach einem großen Dankeschön an die Fans und alle, die auch hinter der Bühne zum Gelingen des Festivals beigetragen hatten.

Botschaften gegen den Krieg

Casper war einer von vielen, der die große Bühne für eine Botschaft nutzte: Die Worte „Nie mehr Krieg“ waren auf den Leinwänden neben der Bühne zu sehen. Jemand aus dem Publikum hob dazu eine Friedensfahne in Regenbogenfarben in die Höhe.

Gleich zum Start am Freitagnachmittag gab es eine große Überraschung, als Die Toten Hosen als Gaststars gemeinsam mit den Donots erst „Hier kommt Alex“ und dann „Schrei nach Liebe“ von Die Ärzte sangen. Richtig – die Hosen sangen ein Ärzte-Lied. Angesichts der seit Jahrzehnten anhaltenden Gerüchte, die beiden Bands könnten sich nicht ausstehen, war das ein deutliches Zeichen. Ein Zeichen natürlich auch gegen Rechts, handelt das Lied doch von einem Neonazi. „Nazis raus“, skandierten die Zuschauer auch bei den Broilers am Freitag nach dem Song „Alice und Sarah“ über die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel und ihre Frau.

Das Festival in der Eifel war ausverkauft.
Das Festival in der Eifel war ausverkauft.

Weil es Singer-Songwriter Drangsal an Diversität auf dem Festival fehlte und es nach seinen Worten auch in seiner Band nur „Nudelauflauf“ gebe, überließ er nach seinem Song „Mädchen sind die schöneren Jungs“ Mia Morgan für ein Lied – „Schönere Frauen“ – die Orbit Stage. Fast wäre die Show des Südpfälzers und seiner Band ins Wasser gefallen. Er und ein Bandmitglied waren bis wenige Tage vor dem Festival Corona-positiv. Am Sonntag musste zu allem Übel der Gitarrist ins Krankenhaus, weil er am Abend zuvor beim Casper-Auftritt Pyrotechnik ins Auge bekommen hatte. Bis eine halbe Stunde vor Beginn sei nicht klar gewesen, ob Drangsal überhaupt auftreten kann, wie Sänger Max Gruber beim Konzert erzählte. Der Gitarrist spielte sozusagen einäugig, mit Pflaster auf dem linken Auge.

Die Broilers setzten auch politisch Zeichen.
Die Broilers setzten auch politisch Zeichen.

Billy Talent zeigten derweil ihre Solidarität mit der Ukraine – mit einem Bühnenbild, das in Blau und Gelb erstrahlte. Die Kanadier schafften es, nach drei anstrengenden Festivaltagen als letzter Act die Menge noch einmal so richtig mitzureißen. Vergessen waren die schmerzenden Füße und müden Glieder bei Liedern wie „Fallen Leaves“ oder „Red Flag“.

Wäre beinahe geplatzt: der Auftritt von Drangsal am Nürburgring.
Wäre beinahe geplatzt: der Auftritt von Drangsal am Nürburgring.
Solidarisch mit der Ukraine: Benjamin Kowalewicz von Billy Talent.
Solidarisch mit der Ukraine: Benjamin Kowalewicz von Billy Talent.
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