Kultur Prima inter pares

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Kalender: Mit Margot Becke wird am 22. Februar 1966 erstmals eine Frau Rektorin einer westdeutschen Universität

Von einer gezielten Förderung von Frauen an der Universität hielt Margot Becke nichts: „Wenn einer gut ist, muss er gefördert werden, wenn einer nicht gut ist, soll er nicht gefördert werden“ machte die Naturwissenschaftlerin 2007 in einem SWR-Interview deutlich. Klare Worte von der ersten und bislang einzigen Rektorin in der über 600-jährigen Geschichte der Uni Heidelberg. Die Geschichte über ihren Weg an die Spitze der Ruprecht-Karls-Universität offenbart einiges über die Vorurteile, mit denen sich Wissenschaftlerinnen in der Vergangenheit konfrontiert sahen.

Als Margot Goehring wird sie am 10. Juni 1914 im ostpreußischen Allenstein geboren. Schon als Schülerin interessiert sie sich für die Naturwissenschaften, ab 1933 beginnt sie an der Universität Halle/Saale ein Chemiestudium. 1939 promoviert sie über „Die Kinetik der Dithionsäurespaltung“, ein weiblicher Prüfling ist jedoch gar nicht vorgesehen, daher wird sie im Protokoll als „Herr Margot Goehring“ betitelt. Kurz vor Kriegsende erhält sie eine Lehrerlaubnis am Chemischen Institut der Universität Halle.

Mit der Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen ändert sich jedoch alles: Die Amerikanische Militärregierung teilt ihr 1945 „höflich, aber bestimmt“ mit, dass ihre Talente anderswo gebraucht werden und die US-Armee den Befehl hat, sie in den Westen zu bringen. Dort macht sie ein Bekannter mit Karl Freudenberg bekannt, Direktor des Chemischen Instituts der Universität Heidelberg und Dekan der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät. An der ältesten Universität Deutschlands wird Becke 1947 zunächst wissenschaftliche Assistentin. Freudenberg will die junge Chemikerin unbedingt in Heidelberg halten und erwägt, ihr einen Lehrstuhl anzubieten. Becke verfüge in hohem Maße über die „üblicherweise nur männlichen Qualitäten selbstständig-kritischer Wissenschaftlichkeit“ schreibt er in einem Brief an den damaligen Präsident des Landesbezirks Baden in der Abteilung Kultus und Unterricht. Mehr als eine „außerordentliche Professur“, nach damaligem Sprachgebrauch eine Professur ohne eigene Mitarbeiter und zusätzliche Mittel, ist jedoch vorerst nicht drin.

Doch auch andere Universitäten werben um die talentierte Wissenschaftlerin und setzen die Uni Heidelberg so unter Druck, dass sie 1959 beim Kultusministerium Baden-Württemberg zunächst ein persönliches Ordinariat, 1963 dann eine ordentliche Professur für Becke erwirkt. Damit ist sie die erste Professorin an der Ruperto Carola. Die eigentliche Sensation folgt jedoch drei Jahre später: 42 von 43 Professoren der Universität wählen Becke für die Amtszeit 1966/1967 zur Rektorin. Sie selbst enthält sich bei der Abstimmung.

Die Deutschland sorgt die Wahl zur „Ersten unter Gleichen“ für Diskussionen: Kurzzeitig erwägt man, den Titel „Magnifizenz“ in „Magnifica“ zu ändern, entscheidet sich jedoch dagegen. Im Rheinpfalz-Artikel zum Ereignis wird sie zeitgemäß als „eine gescheite Frau und eine mütterliche Frau zugleich“ charakterisiert.

In ihre Amtszeit fallen der Besuch des persischen Schahs und der Tod Benno Ohnesorgs, der zu einer Radikalisierung der Studentenbewegung führt. „Bringt die Becke um die Ecke“ steht eines Tages an einer Mauer der Uni. Becke ist tief getroffen, schließlich hat sie sich als Leiterin der Stipendienkommission für das Honnefer-Modell eingesetzt, den Vorläufer des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, kurz BAföG.

Überhaupt seien ihr Aufmärsche und das „Gerede über Nichts in hochgeschwollenen Tönen“ zuwider, denn es erinnere sie an die SA-Parolen während ihrer eigenen Studentenzeit, gibt sie 2007 zu Protokoll.

Vom zerstörten Vertrauensverhältnis zwischen Studenten und Lehrenden enttäuscht, legt Becke 1969 ihre Professur in Heidelberg nieder und widmet sich fortan am Gmelin-Institut für Anorganische Chemie und Grenzgebiete in Frankfurt am Main der Herausgabe des gleichnamigen Handbuchs der Chemie. Ihrer „großen Liebe“ Heidelberg und der dortigen Universität bleibt sie jedoch bis zu ihrem Tod 2009 eng treu.

Der Kalender

Die RHEINPFALZ feiert in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag. In diesem Kalender erinnern wie Sie, liebe Leserinnen und Leser, jeden Tag an ein besonderes Ereignis oder eine ungewöhnliche Geschichte aus den vergangenen 75 Jahren.
Margot Becke in ihrer Zeit an der Universität Heidelberg.
Margot Becke in ihrer Zeit an der Universität Heidelberg.
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