Literatur Postmodern: Peter Henischs verspielter „Jahrhundertroman“

Gehört bei Henisch zum „Romanpersonal“: Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.
Gehört bei Henisch zum »Romanpersonal«: Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.

Einen Jahrhundertroman im Sinne kanonprägender Groß-Epik à la „Buddenbrooks“ oder „Der Mann ohne Eigenschaften“ hat Peter Henisch nie geschrieben, und er hat so etwas wohl auch nicht vorgehabt. Dafür spricht der Geist seiner vielen, bezaubernden Romane, die mit einem gewissen Understatement daherkommen, weshalb dem Autor auch nicht der ihm eigentlich gebührende Ruhm zuteilwurde, zumindest nicht in Deutschland, in seinem Heimatland Österreich ist der 1944 geborene Wiener weltberühmt.

Von „Die kleine Figur meines Vaters“ über „Pepi Prohaska Prophet“ bis zu „Suchbild mit Katze“ zeichnet diese Bücher eine Melange aus Melancholie und Humor, Leichtigkeit und Weltklugheit, Verspieltheit und Renitenz aus. Sie prägt auch den neuen Roman, der thematisch ein wenig an Henischs vielleicht schönstes Buch anknüpft, „Vom Wunsch, Indianer zu werden“, in dem es zu einer kühn erfundenen Begegnung zwischen Karl May und Franz Kafka an Bord eines Amerika-Dampfers kommt.

Es ist nicht Henisch, der nun vorgibt, einen „Jahrhundertroman“ vorzulegen, sondern sein Protagonist, der alte Herr Roch, Buchhändler und Bibliothekar im Ruhestand, der nach einem überstandenen Schlaganfall eben dieses liegengebliebene Projekt noch einmal aufgreift, „an der Schwelle zu einem Jahrhundert, in dem Literatur oder zumindest Literatur wie die in seinem Jahrhundert geschriebene, vielleicht, ja wahrscheinlich, in Vergessenheit … und so fort.“

Die Literaturstudentin als Quasi-Sekretärin und Nachfolgerin

In seinem Wiener Stammcafé kommt er ins Gespräch mit der jungen Kellnerin Lisa, einer Literaturstudentin, die er als Quasi-Sekretärin anstellt. Sie soll das Manuskript abtippen, und als sich herausstellt, dass sie Rochs Handschrift nicht entziffern kann und ihr im Übrigen der Text in größte Unordnung geraten ist, diktiert er ihr sein Werk, muss aber zunächst versuchen, dessen Mosaiksteine zu ordnen bzw. zu rekonstruieren. Henischs postmodern anmutender Trick besteht darin, dass er der Leserschaft einen Text präsentiert, der über weite Strecke die Wiedergabe eines fragmentarischen Entwurfes ist (und als Fingerzeig auch noch Roland Barthes' „Vorbereitung des Romans“ zitiert ...). Das schützt den Autor nicht nur vor allerlei kritischen Einwänden, es gibt seinem ohne diese ostentative Unfertigkeit etwas schwergängigen Buch die nötige Leichtigkeit und Selbstironie.

Denn natürlich dürfte das Porträt des alternden Büchermenschen Roch ein Stück weit auch ein Selbstporträt sein: Wenn Roch sich sagt: „Ich habe geschrieben, also war ich“, dann mag das auch für Henisch gelten, dessen Roman etwas Vermächtnishaftes eignet. Roch schreibt ein Buch, das „seinem Wesen nach das Wesen des Jahrhunderts widerspiegeln sollte“, und zwar anhand der Geschichten österreichischer Autorinnen und Autoren. In kleinen, für das jeweilige Leben und dessen zeitlichen Hintergrund repräsentativen Episoden kommen sie alle vor: von Robert Musil und Joseph Roth über Doderer und Kafka bis zu Mayröcker und Jelinek. Thomas Bernhard flüchtet vor der Uraufführung seines Skandalstücks „Heldenplatz“, H.C. Artmann vor dem Image, das er selbst erzeugt hat. Der junge Peter Handke geht ins Kino, und Christine Nöstlinger bekommt einen Heiratsantrag von Hemingway. Fakten und Fiktionen überlappen sich, und ob Roch sein literaturgeschichtliches Personal verehrt oder verachtet (Doderer!), eines ist das Mantra dieses Buchs über Bücher – die Hingabe an die Literatur und deren „Möglichkeitssinn“, die Roch an seine junge Helferin weitergeben will.

Sie steht für eine neue Generation, der viele der von Henisch in Erinnerung gerufenen Namen nichts mehr sagen und von der man nicht weiß, ob sie mit einem solchen Alterswerk etwas anfangen kann. Am Ende geht es dann noch darum, Lisas Freundin Semira vor der Abschiebung aus Österreich zu retten, und das ist eine Ebene, die wenig zum eigentlichen Thema passen will. Roch wird, was zu vermuten war, seinen Roman nicht vollenden. Doch wer weiß, vielleicht setzt ja Lisa, die ohnehin erste eigene Schreibversuche unternimmt, das Projekt eines Tages auf ihre Weise fort. Wir setzen voraus, dass sie Peter Henisch dann nicht übergehen wird.

Lesezeichen

Peter Henisch: „Der Jahrhundertroman“; Roman; Residenz Verlag, Salzburg/Wien; 289 Seiten, 24 Euro.

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