Kultur Neuer Hugo Ball Almanach erschienen: Er erhellt die Kehrtwenden eines Anarchisten

Illustration aus dem Ball-Almanach von Matthias Strugalla.  Foto: macI
Illustration aus dem Ball-Almanach von Matthias Strugalla.

Für die Verfechter eines widerspruchsfreien Weltbilds ist das Werk des aus Pirmasens stammenden Avantgardisten und Dada-Erfinders Hugo Ball (1886-1927) nach wie vor eine Provokation. Kaum ein Schriftsteller aus der turbulenten Ära des Expressionismus hat so viele intellektuelle Kehrtwenden vollzogen wie der rätselhafte Lautdichter und Mystiker Ball. Einige davon beleuchtet jetzt der neue Hugo Ball Almanach.

Gestartet war Hugo Ball als eigensinniger Theatermacher, um sich dann im Schnelldurchgang vom Kriegsbegeisterten in einen leidenschaftlichen Anarchisten und Kriegsgegner zu verwandeln. Danach gründete er in Zürich mit dem Cabaret Voltaire die Heimstätte des Dadaismus und fand schließlich zu einem spirituell inspirierten Katholizismus und zur Einkehr in die Mystik.

Die aktuelle Ausgabe des Hugo Ball-Almanachs (Neue Folge No. 10), der im Auftrag der Stadt Pirmasens in gewohnter Akribie von Eckhard Faul zusammengestellt worden ist, beleuchtet nun einige besonders furiose Positionswechsel im Leben des intellektuellen Verwandlungskünstlers Ball.

So präsentiert etwa Ernst Teubner, der Gründer und langjährige Leiter der Pirmasenser Hugo-Ball-Sammlung, zwölf bislang unbekannte Briefe Balls, die in der dreibändigen Briefausgabe aus dem Jahre 2003 noch nicht enthalten waren. Zwei dieser Briefe vervollständigen das Bild des christlich inspirierten Anarchisten, als der sich Ball vor allem in den Jahren 1916 und 1917 verstand, als er an einem Buch über den russischen Anarchisten Michail Bakunin arbeitete.

Bakunin, der seine Hauptwerke auf russisch und französisch schrieb, sei ein Teil der deutschen Literatur, schrieb Ball im August 1917 an den Verleger Erich Reiss. Denn Bakunin habe seine entscheidenden Impulse in Dresden empfangen und sei seitdem „nicht mehr von den Deutschen losgekommen“.

Gegen Ende seines Lebens, als die Zornesgesten seiner frühen Jahre erschöpft waren, zeigte sich in einem Brief an seinen späten Vertrauten, den Wallfahrtspriester Pater Beda Ludwig, ein ganz anderer Hugo Ball. „Mitunter ist mir“, so schreibt er im März 1926, „als möchte ich spät noch ins Kloster gehen und den Gehorsam gegen den Lehrer der Kindheit erfüllen.“ Und dass dieser Weg vom radikalen Anarchisten zum frommen Mönch durchaus seine Logik besitzt, zeigt der Schweizer Performer Reto Friedmann in seinem Beitrag zum engen Verhältnis von Anarchismus und Katholizismus.

Die Idee einer „brüderlichen Durchdringung Europas im Sinne des Urchristentums“ hatte Ball ja schon früh umgetrieben. Friedmann zeigt nun, dass Ball seine Utopie einer „Konspiration in Christo“ mit Bakunins Konzept eines freien, staatskritischen Sozialismus verband. Das kühne Ziel: „eine in der Tendenz anarchistische Gesellschaft auf der Grundlage des nach einem christlichen Ideal asketisch lebenden Menschen.“

Dass Ball keineswegs nur das Ideal eines christlichen Anarchismus predigte, sondern in einer Gemengelage unterschiedlichster geistiger Strömungen immer wieder neue Bekenntnisse formulierte, dokumentieren eindrucksvoll die Aufsätze von Hans-Joachim Hahn und Marion Geiger. Nachdem Ball der Dada-Rituale in Zürich überdrüssig geworden war, träumte er im Tessin von einem Leben in stiller Abgeschiedenheit.

Marion Geiger kann nachweisen, dass dort sein Verhältnis zu den Lebensreformern, Rohköstlern und frühen Hippies auf dem Monte Vèrita bei Ascona durchaus ambivalent war. Auf der einen Seite machte er sich über die „wallenden Matratzenbärte“ der „Naturmenschen“ lustig, um kurz darauf stolz seine eigenen Rituale des Nacktbadens zu verkünden. Das an Widersprüchen reiche Lebensbild des Avantgardisten Hugo Ball ergänzen und konterkarieren im Almanach die zwölf Zeichnungen des Pirmasenser Künstlers Matthias Strugalla. Eine Zeichnung zeigt Ball im Schamanenkostüm, wie er ohnmächtig den martialischen Auftritt eines als Schattenriss bedrohlich präsenten Polizisten (oder Terroristen?) über sich ergehen lässt. Der Dadaist als passives Opfer politischer Gewalt – eine bedrückende Pointe.

Lesezeichen

Hugo Ball Almanach. Neue Folge 10. Hrsg. v. der Hugo-Ball-Gesellschaft und der Stadt Pirmasens. Redaktion: Eckhard Faul. Edition Text + Kritik, München, 208 Seiten, 22 Euro.

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