Kultur Menschenlabor im Fernen Osten

Szene mit Nina Siewert und Marco Massafra.
Szene mit Nina Siewert und Marco Massafra.

Im Theater hat man länger nichts von Nis-Momme Stockmann gehört, dessen Karriere 2009 mit der Verleihung des Autorenpreises beim Heidelberger Stückemarkt startete. Im Stuttgart gab es jetzt die Uraufführung eine neuen Stückes, mit dem Stockmann nicht nur einen dramatischen Familienausflug nach Japan beschreibt, sondern auch über die Sollbruchstellen einer deutschen Gesellschaft nachdenkt, in der soziale Schichten und kulturelle Milieus sich immer fremder gegenüber stehen.

Vor der Uraufführung gab es aufgrund „künstlerischer Differenzen“ einen Regiewechsel. Als Regisseurin verantwortlich war am Ende Tina Lanik, die ansonsten vor allem am Münchner Residenztheater inszeniert. Und die hatte sehr wenig Zeit. Umso überraschender ist es, dass sie „Das Imperium des Schönen“ trotzdem als exaktes Argumentationsdrama auf einer leeren Bühne mit Stühlen positionieren konnte. Da sitzen die Schauspielerinnen und Schauspieler. Ihre Texte hat Nis-Momme Stockmann unterfüttert mit verspielten Einschüben bis hin zu einer schier tänzerischen Umsetzung emotional stressiger Situationen. Zu solchen kann es durchaus kommen, wenn eine Frau wie Maja unterwegs ist und auf einen Typen wie Falk trifft. Sie ist Bäckereifachverkäuferin und studiert nebenbei Philosophie. Er ist Philosophieprofessor, vor allem aber der ältere Bruder von Majas neuem Lebenspartner Matze. Falk ist reich, Maja ist arm. Falk ist ein rhetorischer Manipulator und Matze das Fähnchen im Windschatten des Bruders. Jetzt sitzen in einem Tokio-Apartment in der Falle und liefern sich Redeschlachten, während Falks Frau Adriana sich ihren Teil denkt und zu beschwichtigen versucht. Und die Söhne Ignaz und Ismael? Die sind kleine Wikipedia-Monster, die die ostasiatische Bildungstour ins Innere japanischer Tempel und Schreine mit Kurzreferaten begleiten. Das ist alles in allem so aufreibend, dass Nina Siewert und Marco Massafra einen Stressblues an die Rückwand der Bühne schlängeln, wenn sie zeigen wollen, dass es in unglücklichen Menschenkonstellationen kein glückliches Bewusstsein geben kann. Maja und Matze können sich aber noch so winden und ein intime Blase des Vertrauens bilden wollen, dem Zwangsregiment des dominanten Bruders entkommen sie erst, wenn der die entscheidende rote Linie überschreitet und die neue Lebensgefährtin des kleinen Bruders ohrfeigt. Erst dann bezieht Matze Stellung. Ganz anders positioniert Marco Massafra den Falk. Da ist jede Geste ein Wille hin zu einer Welt nach der Vorstellung des Philosophieprofessors. Dumm nur, dass da jetzt Maja ist, aus der Nina Siewert eine selbstbewusste Frau macht, die den familiären Kampfhirsch mit den eigenen Mitteln stellt. Zu hören ist in Stuttgart auch der Sound eines Autors, der nicht den postmodernen Ironiker gibt, sondern sich mit einem ausgefeilten Konversationsdrama zurück meldet. „Das Imperium des Schönen“ ist der dialogischen Schreibkunst einer Yasmina Reza näher als den philosophischen Textebenen einer Elfriede Jelinek. Und die Stuttgarter Uraufführung ist die ziemlich bemerkenswerte Inszenierung eines Stückes, dem auch andere Theater sich zuwenden sollten. Termine Weitere Vorstellungen heute sowie am 3. und 4. März.

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