Buch aktuell Mario Vargas Llosa widmet seinen letzten Roman der Kraft der Musik
Dann soll endgültig Schluss sein, so der 88-jährige Schriftsteller, der auf ein gewaltiges Werk zurückblicken kann. Vargas Llosa hat mehr als 70 Ehrendoktorhüte bekommen, unzählige Literaturpreise erhalten und war in seiner Heimat Peru sogar einmal zur Präsidentenwahl angetreten. Für seine „Kartographie von Machtstrukturen und seine scharf gezeichneten Bilder individuellen Widerstands“, hatte er 2010 den Literaturnobelpreis zugesprochen bekommen. Der Schriftsteller, der in Madrid lebt, ist ein Mann der absoluten Superlative. Jede Buchneuvorstellung wird in der spanischsprachigen Welt zelebriert. Und jetzt ist wirklich Schluss? Man mag es nicht glauben.
Vargas Llosa kehrt in „Die große Versuchung“ zu seinen literarischen Wurzeln zurück. Der Roman spielt in den unruhigen 1990ern, als die Untergrundkämpfer des Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) Peru terrorisierten. Es schließt sich damit (zumindest geografisch) ein Kreis, denn in seinem ersten bedeutenden Werk, dem Roman „Die Stadt der Hunde“ (1963), hatte er seine Erfahrungen in der Kadettenanstalt von Lima verarbeitet.
Im Mittelpunkt des neues Romans steht der leidlich erfolgreiche Musikjournalist Toño Azpilcueta, der sich selbst für einen „proletarischen Intellektuellen“ hält. Nicht übermäßig begabt, aber ein Mann mit großer Leidenschaft – vor allem, wenn es um peruanische Volksmusik geht.
Irgendwann begegnet er dem unbekannten Gitarristen Lalo Molfino, den er für ein noch unentdecktes Genie hält. Er sucht ihn auf, weil er über ihn und seine Musik, vor allem über seine Interpretation des peruanischen Walzers, schreiben will. Diese Musik ist in allen gesellschaftlichen Schichten Perus ausgesprochen beliebt. Die Begegnung mit Lalo verändert Toños Leben abrupt, ihn spielen zu hören, macht ihn süchtig. Und Toño setzt nun alles daran, den Lebensweg des einzelgängerischen, leicht kauzigen Molfino „in Form“ zu bringen.
Mario Vargas Llosa arbeitet mit wechselnden Erzählstimmen. Mal verfolgen wir Toño, dann lernen wir Passagen aus dessen Buch über Molfino kennen, und schließlich begegnen wir auch dem begnadeten Essayisten Mario Vargas Llosa, der uns den Vals, den peruanischen Walzer, aber auch die Sängerin und Dichterin Chabuca Grande (deren Werk zum „Kulturerbe“ erklärt wurde) näher bringt.
Toño (und mit ihm ziemlich sicher auch Vargas Llosa) träumt von der friedensstiftenden Wirkung der Musik. „Die Musik hatte die Seelen der Anwesenden so fest in ihren Bann gezogen, dass jeder soziale, ethnische, intellektuelle oder politische Unterschied in den Hintergrund trat. Der Innenhof des Hauses war wie elektrisiert von einer Welle des Miteinanders, es herrschte das Wohlwollen, die Liebe“, heißt es im Buch einmal. Es ist ein Roman über die Verführungskraft der Musik und die grenzenlose Leidenschaft für die Kunst – en passant auch noch eine erzählerische Kulturgeschichte der peruanischen Musik. Melancholisch und desillusioniert indes klingt Vargas Llosas Romanstimme.
„Ich glaube, die beste Art, die Übel unserer Zeit zu bekämpfen, besteht darin, Bücher zu verbreiten und die Menschen von einer besseren Welt träumen zu lassen, von einer anderen Welt, in der es weniger Gründe gibt, um unzufrieden zu sein“, hatte Vargas Llosa im September 2020 in Berlin erklärt.
Liebe und Kunst, Leidenschaft, die Politik und Peru: Mario Vargas Llosa hat noch einmal seine großen Sujets zusammengeführt – nicht mehr mit der bekannten und gerühmten bunten, farbenprächtigen Sprache, sondern augenscheinlich geschrieben mit einer Träne im Augenwinkel.
Lesezeichen
Mario Vargas Llosa: „Die große Versuchung“; aus dem Spanischen von Thomas Brovot; Suhrkamp; 304 Seiten; 26 Euro.