Kultur Kunst kommt von Korrespondenz

Das Freigelände des Mainzer Landesmuseums als Friedhof der beseelten Dinge: „Dein Schweigen“ heißt diese Arbeit von Madeleine Di
Das Freigelände des Mainzer Landesmuseums als Friedhof der beseelten Dinge: »Dein Schweigen« heißt diese Arbeit von Madeleine Dietz.

„Korrespondenzen“ heißt die über das ganze Haus verteilte Ausstellung, die das Landesmuseum Mainz der Bildhauerin Madeleine Dietz für die nächsten sechs Monate eingerichtet hat. Der Untertitel verheißt Skulpturen, Installationen und Malerei. Klingt dröge – und wird dieser wunderbar genau konzipierten Schau nicht gerecht.

Diesmal müssen wir durchs ganze Haus. Treppauf, treppab wieder einmal alles ansehen, die Antike, das Mittelalter, Renaissance, Jugendstil und Moderne. Dann das Finale im der Grafischen Sammlung. Eine Schnitzeljagd ohne Wegweiser, es ist wohl genauso gemeint. Am besten man beginnt unten in der Cafeteria. Dort lenkt ein großes Tor den Blick auf den Innenhof. Ein ein fast in die Erde versunkener Rundbogen links, eine schräg gekippte Arbeit rechts, die warum auch immer „Zwischen“ heißt, auf der Erde zwischen raschelndem Laub zwei Stahlplatten, „Meine Stimme/Mein Gehen“ steht auf einer, „Dein Schweigen/Dein Ruhen“ auf der anderen. Das Freigelände als Friedhof der beseelten Dinge. Wenn man so will fast auch eine Handlungsanweisung für den Weg durchs Haus, in dem es immer um zwei Dinge geht. Einmal um die individuellen Arbeiten aus der Werkstatt von Madeleine Dietz und ihr Verhalten zur Situation in den Sammlungsräumen, zum andern um das Verhältnis des Ausstellungsbesucher zu beiden. Die Frage, ob die Eingriffe funktionierten, erledigt sich schnell, die Interventionen funktionieren auf Augenhöhe. Am Ende ist man sich sicher, dass die Arbeiten von Madeleine Dietz am rechten Ort sind. Selbst für den Ungeübten sieht alles aus, als müsste es genau so und nicht anders sein. Wie immer: Stahl und getrocknete Erde, in immer neuen plastischen Konstellationen. Erde als von Textprojektionen durchzogenes „Bild“ an der Wand, Erde als Füllung von maquettengroßen Schreinen oder versteckt im Innern von ausladenden Installationen aus stählernen Kuben, Platten und Gittern. Erde als Natur, der Stahl ein Produkt von Kultur und Zivilisation, manchmal sieht das wie festgebacken für die Ewigkeit aus, eine Täuschung. In den mit „Entfestung“ überschriebenen Skulpturen scheint die Konstellation so kippelig, dass man den Zusammensturz der Arbeit als Möglichkeit in Rechnung stellen möchte. Man kann das als minimalistisch beschreiben, muss aber nicht, denn während die Glasperlenspiele des Minimalismus ohne Inhalte auskommen, geht es hier sehr wohl um Inhalte, wenn auch keine erzählerischen. Es geht um das, was die Skulptur zur Skulptur macht, um Material und Raum, um Volumen, Masse und Leere, Struktur und Rhythmus und wie die Kunst den Raum definiert und besetzt. Madeleine Dietz hat viel für Kirchen und das kirchliche Umfeld gearbeitet, das hat die Wahrnehmung der formalen Präzision ihrer Arbeiten wenn nicht gar verhindert, so doch in den Hintergrund treten lassen. Eine Archäologin der Gegenwart sei sie, steht im Katalog, der leider nur ein weiterer Katalog ist, denn keine Arbeit ist dort in situ, also an ihrem Mainzer Standort abgebildet. Man sieht also nicht das kleine, mit Erde gefüllt Kreuz zwischen den beiden Renaissance-Madonnen, nicht das von einem Lichtrahmen gesäumte Quadrat zwischen quadratischen Platten in einer an einen Begräbnisort erinnernden Stahlkiste gegenüber der berühmten Mainzer „Großen Adlerfibel“, ahnt wohl, dass die Reihe der „Entfestungen“ sehr viel damit zu tun hat, dass Behausungen unsicher werden und Heimat ein Begriff ist, den jeder mit anderen Inhalten zu füllen ist, wenn er überhaupt gefüllt werden kann. Vor Bernd Heisigs bunt vor sich hin plärrendem Triptychon „Festung“ wirkt so eine Arbeit durch den reinen Zufall ihrer schweigenden Gegenwart in dieser Nachbarschaft dann doch wie ein optischer Donnerschlag. Und es stimmt ja auch, Madeleine Dietz bewegt sich mit schon traumwandlerischer Sicherheit durch Grenzbereiche, die auch in der Kunst eher gemieden werden. Ihre Objekte, Plastiken, Installationen und Videos wissen, dass alles vergänglich ist. Dass das, was oben war irgendwann einmal unten sein wird, der Stahl nur temporären Halt gibt und die Erde in allen ihren materialen Zuständen immer das bleibt was sie, das Material aus dem alles kommt und in das alles geht. Und dass daran nichts Schlimmes ist. Die in den Vitrinen der Grafischen Sammlung wie in gläsernen Reliquienschreinen eingeschlossenen „Malereien“ (die Künstlerin spricht korrekter von „Bildhauerzeichnungen“) fixieren das Vergehen bestimmter historischer Stätten im Nahen Osten mit der Vieldeutigkeit von Palimpsesten. Kein Blick fällt auf das schwarz übermalte und zum Teil wieder freigelegte Darunter, dessen matt goldener Schimmer nur eine Sinnestäuschung ist. Nicht sehen und doch glauben. Womit der Ausstellungsbesucher am Ende seines Rundganges dann doch wieder bei der Religion gelandet wäre. Die Ausstellung Madeleine Dietz: „Korrespondenzen Skulpturen, Installationen, Malerei“ im Landesmuseum in Mainz; bis Ende April 2019.

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