Kino Interview: Regisseur Axel Ranisch im Gespräch zum Kinostart „Orphea in Love“

 Nele (Mirjam Mesak) liebt die Oper und den kleinkriminellen Streetdancer Kolya (Guido Badalamenti). Doch die aufkeimende Liebe
Nele (Mirjam Mesak) liebt die Oper und den kleinkriminellen Streetdancer Kolya (Guido Badalamenti). Doch die aufkeimende Liebe wird in »Orphea in Love« schon bald mit Neles dunkler Vergangenheit konfrontiert.

Sowohl in der Oper als auch am Filmset fühlt sich Regisseur Axel Ranisch wohl. In seinem neuen Kinofilm „Orphea in Love“ verknüpft er nun seine beiden Leidenschaften. Im Gespräch mit Katharina Dockhorn erzählt er, welche Herausforderungen es mit sich brachte, Klassik auf die Straße zu bringen.

Wie entstand die Idee eines opernhaften Kinomusicals?
Der Intendant der Bayerischen Staatsoper Serge Dorny fragte mich, ob ich Opernarien als Kurzfilme inszenieren könnte. Ich war sofort begeistert und sah einen langen Spielfilm vor mir. Ich sah die einmalige Chance, beide Lieben in meiner Brust zu vereinen und mit filmischen Mitteln auszudrücken, was Oper mir bedeutet und welchen Geist sie versprüht.

Wobei Sie der Arienidee treu blieben und ein Best of an Orfeo-Opernstoffen auswählten?
Dorny und ich wollten mit der ganzen Bandbreite der Musik verzaubern. Jeder wichtige Moment in meinem Leben ist mit klassischer Musik verbunden. Diese Erfahrung wurde zum wichtigsten Gestaltungsmittel. Die Gefühle im Leben meiner Hauptfigur Nele werden von Musikstücken von Monteverdi bis John Adams untermalt.

Welche Musik prägte Ihre Lebensstationen?
Angefangen hat es mit Beethovens Sinfonien und Tschaikowskis Balletten aus einer Kollektion von 20 Doppel-CDs, die mein Vater 1990 kaufte. Meine Kindheit verbinde ich vor allem mit Tschaikowski. Schicksalsmusik meiner ersten großen unglücklichen Liebe war Mahlers 2. Sinfonie. Rachmaninow wurde zum Soundtrack meiner Pubertät. Seine schwere Musik stand für mich für diesen Krieg gegen den eigenen Körper und diese unüberwindbaren, gigantischen Konflikte Heranwachsender. Rebelliert hab ich dann mit Schostakowitsch, Strawinski und Schönberg.

Das Leben von Regisseur Axel Ranisch ist von kl assischer Musik geprägt. In seinem Film „Orphea in Love“ wird sie zum wichtigen
Das Leben von Regisseur Axel Ranisch ist von kl assischer Musik geprägt. In seinem Film »Orphea in Love« wird sie zum wichtigen Gestaltungsmittel.

Wurden Sie durch diesen Musikgeschmack nicht zum Außenseiter?
Ich war übergewichtig, später stellte sich heraus, dass ich schwul bin. Ich war nie Mainstream und konnte super bei der Klassik bleiben.

Das hört sich humorvoll an, aber sicher gab es auch traurige Momente?
Ich hatte lange Angst, in die Schule zu gehen. Gleichaltrige können manchmal richtig gemein sein. Meine Eltern und die Musik haben mir durch diese Zeit geholfen. Eine Zeit lang machte meine Mutter mit mir jeden Morgen autogenes Training, damit ich meine Panik vor der Schule in den Griff bekam. Dazu hörten wir die langsamen Sätze der Klavierkonzerte von Ravel und Schostakowitsch. Heute schöpfe ich aus dieser Erfahrung. Rosa von Praunheim trichterte uns an der Filmhochschule ein, wir sollen Geschichten erzählen, von denen wir Ahnung haben. Meine Filme enthalten daher stets Autobiografisches, wozu auch diese intensive Verbindung zur Musik zählt.

Haben Sie früh erkannt, dass Humor ein Mittel sein kann, mit Verletzungen besser umzugehen?
Angriff ist die beste Verteidigung. Selbstironie wurde mein wichtigstes Werkzeug im Überlebenskampf. Aber meine ganze Familie kann gut gemeinsam lachen. Meine Omi starb vor einem halben Jahr und mein Vater vor eineinhalb Jahren. Wir saßen am nächsten Tag in seinem Hospizzimmer und haben uns Geschichten über ihn erzählt und viel gelacht. Die Mitarbeiter waren erfreut, dass da eine Familie das Andenken mit Humor bewahrt. Das zeichnet uns aus.

Ihr „Tatort: Babbeldasch“ für den SWR gilt als schlechtester Filme der Reihe. Nehmen Sie dies humorvoll als Auszeichnung?
Ja. Mit etwas Abstand gelang mir das. Ich bin damals wie heute stolz auf den Film, daher hat mich die harsche Kritik verletzt. Ich bin ja eh sensibel. Aber schon am nächsten Tag schrieb mir Rosa eine Mail: „Wie toll, ich gratuliere dir zur Titelseite in der ,Bild’“.

Ulrike Folkerts hielt damals zu Ihnen und wollte unbedingt einen zweiten „Tatort“ mit Ihnen drehen?
Ich hatte viel Rückhalt sowohl vom Team als auch vom SWR. Das war großartig.

Zurück zu „Orphea“. Welche Herausforderungen waren zu meistern, um die Klassik auf die Straße zu bringen?
Wir mussten diese große Musik adäquat im Bild umsetzen. Mein Kameramann Dennis Pauls wollte nicht wieder alles im Plattenbau drehen. Das wäre mein natürlicher Reflex gewesen. Er suchte bildgewaltige Motive, um die Musik zu stützen und gleichermaßen zu brechen. Repräsentative Orte ebenso wie verwunschene lost places. Orte, die unserem Tänzer und den Sängern eine Bühne bieten, wie es sie an der Oper nicht gibt und die der Musik eine Dimension verleihen, die weit über das Klassische hinausgeht.

Außerdem stand für mich fest, wir kosten die Musik voll aus, die das Bayerische Staatsorchester so grandios für uns eingespielt hatte. Ich werde den Teufel tun und eine Arie kürzen, um mich in Längen zwängen zu lassen. Diese Konzeption hat uns alle befreit. Wir hatten riesigen Spaß, den kreativen Freiraum zu füllen.

Wie haben Sie Ihre wunderbare Hauptdarstellerin Mirjam Mesak gefunden?
Sie war meine blinde Prinzessin in „Iolanta“ von Tschaikowski an der Bayerischen Staatsoper. Mirjam spielte atemberaubend, und ich wusste, dass sie auch als Schauspielerin einen ganzen Film tragen konnte. Und so wurde Orpheus zu Orphea, denn ich wollte den Film ja auf Grundlage des Orpheus-Stoffes machen. Wenn schon eine Liebeserklärung an das Musiktheater, dann mit dem ältesten Stoff des Genres.

Hatten Sie Heiko Pinkowski und Christina Große, die auch wunderbar tanzen kann, beim Schreiben im Hinterkopf?
Keine Filme ohne die beiden. Ich liebe sie. Christina entwickelte die Tanzszene mit dem Choreografen und den beiden Tänzern aus der Improvisation heraus. Nach zwei Probetagen mit dem übrigen Cast am Set saß dann die gesamte Szene, und wir konnten drehen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass das geklappt hat. Christina war nur einen Tag am Set. Wir hatten insgesamt nur 20 Drehtage. Es war alles auf Kante gestrickt, daher war ich froh, dass alle so gut vorbereitet waren.

Zur Person

Axel Ranisch wurde 1983 in Berlin-Lichtenberg geboren. 2004 bis 2011 studierte er Filmregie an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam Babelsberg. Während dieser Zeit entstanden einige Filme, an denen er als Regisseur, Autor, Schauspieler, Komponist oder Cutter beteiligt war. Obwohl viele seiner Filme an der Universität als kontrovers wahrgenommen wurden, erhielt er auf Filmfestivals regelmäßig Preise. Sein Debüt als Spielfilm-Regisseur feierte er 2011 mit dem Film „Dicke Mädchen“. Seitdem führt er auch immer wieder Regie für Fernsehserien und -filme sowie Opern in München, Stuttgart und Lyon. Sein Film „Orphea in Love“ vereint Film mit Operngesang und handelt von der estnischen Callcenter-Agentin und Sängerin Nele, die sich in den kleinkriminellen Straßentänzer Kolya verliebt. Sie ist Orpheus. Er ist Eurydike.deli

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