Kultur Im Glashaus der Geschichte

Camilla Nylund als Gräfin in der großartigen Schlussszene der Oper.
Camilla Nylund als Gräfin in der großartigen Schlussszene der Oper.

Die Oper Frankfurt startet mit „Capriccio“ von Richard Strauss in das neue Jahr. Brigitte Fassbaender hat das „Konversationsstück für Musik“ in Szene gesetzt, Generalmusikdirektor Sebastian Weigle sorgt am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters für einen ebenso transparenten, durchhörbaren, wie vor allem in der Schlussszene süffig-emphatischen Strauss-Klang.

Eskapismus als Weltabschied. Ein Opern-Schlusswort im Rokoko-Gewand. Draußen geht die Welt unter, und Richard Strauss macht sich Gedanken über die Zukunft der Gattung Oper, lässt seine Personen über die Frage streiten, welcher Kunstform der Vorzug einzuräumen sei, der Musik oder der Dichtung. Dazu einige erotische Verwicklungen, allesamt recht harmlos, nie Anstoß erregend. Schließlich bewegen wir uns in einem feinen Adelssalon des 18. Jahrhunderts. „Capriccio“ ist die letzte Oper von Richard Strauss. Komponiert mit 78 Jahren. Uraufgeführt mitten im Zweiten Weltkrieg. Und sie ignoriert die hässliche, grauenvolle Realität und flüchtet sich in eine Welt des schönen Scheins, reflektiert über die Zukunft des Musiktheaters. Mehr Weltflucht und Realitätsverlust geht eigentlich gar nicht. Zumal auch die Musik sich jeder Modernität verweigert. Man kennt das von Richard Strauss. Der wird auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch so komponieren, als hätte es die Moderne, die zweite Wiener Schule nie gegeben. Als seien Arnold Schönberg und Alban Berg nur flüchtige, vorübergehende Erscheinungen gewesen. Warum soll man ein solches Stück überhaupt auf der Bühne zeigen? Und vor allem: Wie soll man es zeigen? Die erste Frage lässt sich sehr einfach beantworten: Weil die Oper „Capriccio“ großartige, tief berührende Musik ist. Fast alles, was das Musiktheater des Komponisten ausmacht, wird hier nochmals zusammengefasst. In einer Art Resümee zitiert Strauss nicht nur eigene Werke wie „Ariadne auf Naxos“ oder „Die Liebe der Danae“, sondern auch Wagners „Tristan“. Er imitiert den Stil der französischen Oper ebenso wie er seinem Hausgott Mozart huldigt. Das Stück beginnt in dem aus „Ariadne“ oder „Rosenkavalier“ bekannten Parlandoton, und es endet in einer groß angelegten Schlussszene der Gräfin. Spätestens hier kommt es zu Gänsehautwirkungen. Man kann sich dem Melos dieser Musik nicht mehr entziehen, ihre Sogwirkung ist unwiderstehlich. Es ist eine Feier der Schönheit, die um ihre eigene Vergänglichkeit weiß, Musik, zum Niederknien schön, und dennoch voller Wehmut und Melancholie. Sebastian Weigle kostet am Pult des Frankfurter Opernorchesters jede Linie, jede Phrase, jeden einzelnen Akkord bis zur Neige aus. Er zelebriert diesen Schönheitstaumel wie einen Endlosrausch. Die fantastische Camilla Nylund in der Rolle der Gräfin hat diese Szene in einem Rokoko-Kostüm begonnen. Sie fällt damit aus der Zeit, in welcher die Regie von Brigitte Fassbaender in der Ausstattung von Johannes Leiacker die Oper spielen lässt: Wir sind in einem Schloss bei Paris in den 1940er Jahren. Frankreich ist von Hitler-Deutschland besetzt. Immer wieder blickt die Außenwelt in den Salon, den Leiacker als gewaltiges Glashaus gebaut hat, das im Finale nochmals vergrößert wird. Plakate propagieren die Freiheit Frankreichs, die Angestellten schmuggeln in Instrumentenkoffern Waffen in das Schloss, und der Theaterdirektor La Roche (darstellerisch großartig, mit ganz kleinen stimmlichen Unsauberkeiten: Alfred Reiter) illustriert seinen großen Monolog über den Wert der Kunst mit einer Diashow. Auf den Schwarz-Weiß-Fotos sind die zerstörten Städte Dresden und Berlin ebenso zu sehen wie marschierende Wehrmachtssoldaten. Und nicht nur in der Ansprache des Theatermannes, den man auch als Alter Ego des Komponisten verstehen darf, kann man feststellen, dass Strauss auf einer Ebene der Doppeldeutigkeit die Entstehungszeit der Oper durchaus anspricht: „Die Masken zwar sind gefallen, doch Fratzen seht ihr statt Menschenantlitze“, stellt La Roche fest. Man interpretiert bestimmt nicht zu viel in das Stück hinein, wenn man feststellt, dass hiermit auch das NS-Regime gemeint ist. Die Gräfin aber zieht ihr anachronistisches Kostüm aus. Sie streift es ab, wie eine Haut. Sie bricht aus dem Gefängnis ihrer Existenz aus und schließt sich den Widerstandskämpfern von der Résistance an. Wer im Glashaus sitzt, muss zu den Waffen greifen, um die Welt um sich herum zu verändern. Mit Musik alleine ist es da nicht getan. Wie Camilla Nylund diese Szene sängerisch bewältigt, ist schlichtweg phänomenal. Ihre Stimme bleibt auch in der Höhe warm eingefärbt, wirkt nie spitz oder schrill. Neben ihr begeistern vor allem noch Daniel Schmutzhard als Olivier und AJ Glueckert als Flamand. Am Ende erwachen wir aus einer Art Traum. Das Theater auf dem Theater hat die Wirklichkeit erreicht. Das Glashaus der Kunst um ihrer selbst willen ist aufgebrochen. Und Strauss’ „Capriccio“ längst rehabilitiert. Termine 18., 20., 24., 26. und 28. Januar sowie am 1., 10. und 18. Februar.

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