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Mit einem Programm, das Seltenheitswert hatte, ließ das MDR (Mitteldeutscher Rundfunk) Sinfonieorchester aus Leipzig unter seinem Chefdirigenten Kristjan Järvi die Mannheimer „Pro-Arte“-Konzertsaison ausklingen. Man hörte Ausgefallenes von Rachmaninow – mit einem brillanten Klaviersolo von Denis Kozhukhin – und Tschajkowskij. Und außerdem Beethovens fünfte Sinfonie, die gerade wegen ihrer Bekanntheit ein Außenseiterdasein im Konzertbetrieb führt.

Es kam zur Begegnung mit einem erstklassigen Orchester, einem Dirigenten von sehr bemerkenswertem Format und einem glänzenden jungen Pianisten. Die MDR Sinfoniker imponierten durch ein sehr hohes Maß an Orchesterdisziplin, überaus gepflegtes Zusammenspiel und optimale Klangqualität. An der Spitze dieser Elitetruppe schaltete und waltete Kristjan Järvi in der Manier des Pultstrategen in großem Stil. Der jüngste Spross einer estnischen Musikerdynastie – Vater Neeme und Bruder Paavo sind ebenfalls international renommierte Dirigenten – befehligte seine Elitetruppe mit großer Übersicht, höchst energisch, mit aufwändiger, spektakulärer Dirigiergestik, stellenweise ausgesprochen sportlich, einige Sprünge waren schon rekordverdächtig. Denis Kozhukhin schließlich ist ein überragender Pianist, der Rachmaninows Tastenakrobatik mit selbstverständlicher Bravour servierte. Andererseits präsentierte der russische Virtuose das wenig beachtete, im Vergleich zu den vorangegangenen zweiten und dritten weit weniger effektvolle vierte Klavierkonzert seines Schöpfers äußerst kultiviert und differenziert. Für sein Einfühlungsvermögen und seine hoch entwickelte Anschlagskultur sprachen die Lyrismen des Mittelsatzes und besonders seine beiden erlesenen Zugaben: ein Bach-Prélude, von Giovanni Sgambati bearbeitet, und Glucks „Reigen seliger Geister“ aus „Orfeo“, von Aleksandr Siloti arrangiert. Zurück zum Dirigenten, dem Orchester – und zu Tschajkowskij. Dessen Suite aus der Schauspielmusik „Schneeflöckchen“ ist nicht seine wertvollste Komposition. Am inspiriertesten wirkten die expressiven Melodien des dritten Satzes („Melodrama“), bei denen Järvi und dem Orchester delikateste Pianissimo-Wirkungen gelangen. Denen standen die triumphalistischen Töne, die Kraftmeierei des Schlusssatzes („Tanz der Gaukler“) entgegen, die Järvi und das Orchester extrem wirkungsbewusst nachvollzogen. Dem Affen wurde großzügig Zucker gereicht. Gemischte Gefühle dann bei Beethoven. Derzeit wird viel darüber geklagt, dass heute vor allem schnell und laut gespielt und die Musik dem Virtuosenglanz geopfert werde. Die Wiedergabe der fünften Sinfonie schien diese Ansicht zu bestätigen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Kristjan Järvis fulminantes Dirigiertalent und die spielerische Qualität des MDR Sinfonieorchesters stehen außer Frage. Auch ließen sich Spannung und Intensität ihrer Aufführung nicht abzusprechen, und Differenzierung und Detailfeinheiten verloren sie ebenfalls nicht aus dem Auge. Die Sinfonie wurde aber im Eiltempo heruntergehaspelt; die Musik sprach nicht, sang nicht, funktionierte lediglich. Einiges (Sechzehntelpassagen der Viola und Celli im zweiten Satz!) klang mechanisch und etüdenhaft. Anderes wiederum ging unter im Blechbläsersturm. Auf jeden Fall stehen deutlich mehr Noten in der Partitur der fünften Sinfonie als diesmal hörbar wurden. Wesentlich überzeugender wirkte dann die Zugabe: die Cavatina aus Beethovens Streichquartett op. 130.

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