Konkrete Kunst Große Überblicksausstellung in der Pfalzgalerie Kaiserslautern

Prominente Diagonalstreifen: Günter Fruhtrunks Acrylbild „Weißer Hiatus“ von 1974, unübersehbar die Nähe zu seinem berühmten Tüt
Prominente Diagonalstreifen: Günter Fruhtrunks Acrylbild »Weißer Hiatus« von 1974, unübersehbar die Nähe zu seinem berühmten Tütendesign.

Es ist eine Mammutschau. Rund 130 Arbeiten stark ist die neue Ausstellung „KONKRET Kunst“ in der Pfalzgalerie Kaiserslautern. Sie nimmt das gesamte Museumserdgeschoss und weite Teile des zweiten Obergeschosses ein. Und sie beantwortet ein für alle Mal die wichtige Frage nach der Aldi-Tüte.

Ist das Kunst, oder kann man damit einkaufen gehen? Die meisten Zeitgenossen kennen noch die Plastiktüten des Kult-Discounters mit ihrem blau-weißen Diagonalmuster. Die wenigsten dürften allerdings wissen, dass ein bekannter Künstler das Design Anfang der 1970er Jahre schuf und sie damit ihre Einkäufe quasi in moderne Kunst einpackten. Für den Münchner Kunstprofessor Günter Fruhtrunk war der Auftrag ein Brotjob, für den er mit einer Spende von immerhin 400 Mark in die Kaffeekasse seiner Universität Abbitte leistete. Aldi-Nord half die Aktion ein Stück weit heraus aus dem Schmuddel-Image jener Jahre.

Wie auch immer ist die Kunst Fruhtrunks, die stilistisch in weiten Teilen jener Tütengestaltung ähnelt und die die Ausstellung im Obergeschoss eröffnet, ein typisches Beispiel der Konkreten Kunst. Jener Richtung, die nicht mehr sein wollte, nicht mehr darstellen wollte, als reine Farbe und reine Form. Jede Abbildung – und sei sie noch so abstrakt –, war verpönt. Eine Entgegenständlichung in Reinform also. Oder wie es einer der Väter des Stils, Theo van Doesburg, 1930 in seinem Manifest ausdrückte: „Das Kunstwerk darf nichts von den formalen Gegebenheiten der Natur, der Sinne und der Gefühle enthalten. Wir wollen Lyrismus, Dramatik, Symbolik usf. ausschalten. Das Bild muß (!) ausschließlich aus plastischen Elementen konstruiert werden, d.h. aus Flächen und Farben. Ein Bildelement hat keine andere Bedeutung als sich selbst. Wir sehen die Zeit der reinen Malerei voraus. Denn nichts ist konkreter, wirklicher, als eine Linie, eine Farbe, eine Oberfläche.“

Ein echtes Erlebnis

In ihrer rund 100-jährigen Geschichte hat sich die Kunstrichtung, die wie kaum eine zweite die moderne Kunstgeschichte, aber auch das Design und die Architektur beeinflusste, nicht nur beharrlich bis in unsere Tage gehalten. Sie hat darüber hinaus und trotz ihrer relativ engen Grunddefinition erstaunlich viele Ausprägungen erfahren – nicht nur hinsichtlich persönlicher Stile, sondern auch ganzer Künstlergruppen wie der ZERO-Bewegung. Diese Fülle der Konkreten Kunst bildet die von Kurator Sören Fischer mit vielen Bezügen klug gehängte sowie mit erklärenden Texten versehene Schau nachvollziehbar ab. Was an dieser Stelle nüchtern klingt, erweitert sich beim Museumsbesuch zum echten Erlebnis.

Die thematisch konzipierte Ausstellung lässt den Betrachter in jedem der vielen Räume in eine andere Facette der Kunstrichtung eintauchen. Etwa in der Abteilung, die der Farbe Weiß gewidmet ist. Kühle Eleganz strahlen hier Arbeiten von Raimund Girke (Lamellenbild), Hartmut Böhm (Streifenrelief) oder das Linienbild des Saarpfälzer Altmeisters Leo Erb aus, der im Januar 100 Jahre alt geworden wäre.

Brutale Täuschungen

In einem der Nachbarräume geht es um optische Täuschungen, kurz: die Op-Art genannte Variante Konkreter Kunst. Adolf Luther und seine Experimente mit Spiegeln und Linsen, ein chromglänzendes Relief von Heinz Mack oder die Wellenbewegungen der feingliedrigen Quadratreliefs von Hartmut Böhm führen hier das Auge in die Irre. Wie überhaupt der Betrachterstandpunkt bei Konkreter Kunst beständig gewechselt werden will, um die verschiedenen Perspektiven und Lichteinflüsse wahrnehmen zu können.

An anderer Stelle geht es um einen mehr oder weniger brutalen Umgang mit dem Material. Etwa wo Bernard Aubertin eine Aluplatte mit abgefackelten Streichhölzern malträtiert oder Otto Piene mit Brandspuren auf Papier arbeitet. Eine der geschlitzten Leinwände des Italieners Lucio Fontana darf an dieser Stelle natürlich nicht fehlen. Sie ist eines der vier Werke aus dem Bestand der Pfalzgalerie, die mit den übrigen Exponaten in Bezug gesetzt werden. Diese wiederum stammen ausnahmslos aus der Sammlung des saarländisches Unternehmers Dieter Scheid und seiner Frau Ulrike.

Farbstark: Ölbild von Frank Badur, ohne Titel.
Farbstark: Ölbild von Frank Badur, ohne Titel.

Einen überaus reichen Fundus bedeutet Scheids 1800 Objekte starke Privatsammlung für die Kaiserslauterer Kuratoren. Sie reicht dabei von A wie Albers bis Z wie Zangs und bildet ein Who’s who der internationalen Konkreten Kunst ab. Bereits 2017 konnten die Pfalzgaleristen mit den saarländischen Leihgaben unter dem Titel „Less is more“ eine Ausstellung des kompletten druckgrafischen Werks des Berliner Künstlers Frank Badur gestalten.

In der aktuellen Schau ist Badur, einer der erklärten Favoriten des Sammlers, mit starken Ölbildern und einer Bodenplastik vertreten. Und auch jene Künstlerin, die für Scheid so etwas wie eine Initialzündung bedeutete, ist in der Ausstellung präsent – als einzige sogar mit einem eigenen Raum: die Französin Aurélie Nemours. Die Begegnung mit ihren Arbeiten anno 1979 habe ihn zu der Entscheidung gebracht, ausschließlich Konkrete Kunst zu sammeln, blickt Scheid auf die Anfänge einer über 40 Jahre währenden Leidenschaft zurück.

„Angle Droit Majeur“: Arbeit der Grande Dame der französischen Konkretion, Aurelie Nemours.
»Angle Droit Majeur«: Arbeit der Grande Dame der französischen Konkretion, Aurelie Nemours.

Dass seine Sammlung inzwischen museales Gewicht besitzt, ist der Lohn der Begeisterung für ein Kunstkonzept, das heute noch so frisch und fesselnd ist wie vor 100 Jahren.

Ausstellung

„KONKRET Kunst“ bis 3. September im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern; mittwochs bis sonntags 10 bis 17 Uhr, dienstags 11 bis 20 Uhr; Katalog 26 Euro; Eröffnung am 24. März, 19 Uhr; weitere Infos auch zum Begleitprogramm unter www.mpk.de.

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