Kultur Feier des Lebens in der Hölle

Das Sprachrohr des Diktators: Bartolomeo Stasch in der Rolle des Lautsprechers.
Das Sprachrohr des Diktators: Bartolomeo Stasch in der Rolle des Lautsprechers.

Ein Opernabend wie kein anderer. An einem unwirtlichen, abweisenden Ort, einer kalten, kahlen Lagerhalle am Ludwigshafener Rheinufer. Auf der Bühne das eigentlich Unfassbare, Unvorstellbare: eine Oper, entstanden in Hitlers perversem Vorzeigelager Theresienstadt. Hier sollte der „Kaiser von Atlantis“ auch uraufgeführt werden. Doch nach der Generalprobe wurde die Oper verboten. Das Manuskript konnte gerettet werden, der Komponist wie sein Librettist Peter Kien starben im Vernichtungslager Auschwitz.

Diese Augen! Man kann dem Blick kaum standhalten, ohne vor Scham im Boden zu versinken. Vor der Begegnung mit Ullmanns Oper steht die unmittelbare Konfrontation mit dem Grauen, auch mit der Schuld. Überlebensgroße Porträts von alten Menschen hängen in einem Vorraum der Ludwigshafener Rhenus-Lagerhalle am Luitpolthafen. Der Mannheimer Fotograf Luigi Toscano hat die Porträts aufgenommen. Er ist für sein Projekt „Wider das Vergessen“ um die ganze Welt gereist, um Holocaust-Überlebende im Bild festzuhalten. Nun wirken die Fotos wie eine bildmächtige Ouvertüre für die Ullmann-Oper, die nebenan gezeigt wird. Musik, die aus der Hölle kommt und die dennoch an den Himmel glaubt. Die Augen der Porträtierten erzählen auch etwas von den grausamen Bedingungen, unter denen die Oper entstanden ist. Es geht im „Kaiser von Atlantis“ um Kunst, die sich der schrecklichen Wirklichkeit, in der sie entsteht, entgegenstellt, geht um den letzten Rest Menschenwürde, den man sich in der Lagerhölle bewahren kann. Es geht aber auch um die Haltung der Verweigerung. Um die Todes-Verweigerung. Und um die Feier des Lebens, auch wenn die Apokalypse längst Realität geworden scheint. Dass diese Oper in Ludwigshafen und im Januar dann auch in Kaiserslautern zu sehen ist, dass dieses Projekt Wirklichkeit wurde, ist ein großer Glücksfall – und das Ergebnis einer Zusammenarbeit zahlreicher Institutionen und einzelner Persönlichkeiten. Initiiert von der Ludwigshafener Initiative Stolpersteine fanden sich das Pfalztheater in Kaiserslautern und die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz zusammen. Die Ludwigshafener Hafenbetriebe sind ebenso Partner wie die Lukom, Ludwigshafener Schüler haben nicht nur ein sehr anspruchsvolles Programmheft gestaltet, sondern auch an Kostümen und Bühne mitgearbeitet. Ein Projekt, das dann auch eigentlich nur einer auf die Bühne bringen konnte: Hansgünther Heyme, ehemaliger Pfalzbauintendant und so etwas wie der Theater-Übervater der Region. Heyme erzählt die Handlung ebenso schnörkellos wie direkt, in selbst entworfenen Kostümen, die zwischen KZ-Kleidung, Nazi-Uniformen und Uniformen aus den napoleonischen Kriegen wechseln können. Die zusammen mit Gerd Friedrich entwickelte Bühne wird dominiert von einem riesigen Hakenkreuz auf rotem Hintergrund und passt sich in die kalte und abweisende Umgebung der Lagerhalle ein. Von Beginn an wird dieser Unort, an dem die Vorstellung stattfindet, mitinszeniert. Mehr als das. Heyme bezieht auch das Publikum mit ein, lässt die Sänger, die ohnehin ganz nahe an den Zuschauern dran sind, auf diese zugehen, sie anfassen. Und so kann es passieren, dass einem der Tod einen Zettel in die Hand gibt. Auf dem finden sich Wortlaute von Todesurteilen des NS-Volksgerichtshofes. Heymes Inszenierung versucht erst gar nicht, das grausame Geschehen aus seiner Entstehungszeit zu befreien und sozusagen in einer zweiten, opernhaften Ästhetik aufzuheben. Er erzählt die Geschichte, die es zu erzählen gilt. Vom Grauen, von der Unmenschlichkeit, vom nationalsozialistischen Massenmord. Allerdings ist sein Kaiser Overall von Beginn an ein Getriebener, Gehetzter, irgendwo auch Traumatisierter. Ein Wahnsinniger, der schließlich bereit ist, das Opfer zu bringen, das die Menschheit erlöst, indem es den Tod wieder in das Leben zurückholt. Am Ende haben alle ihre Uniformen abgelegt und stehen in gestreifter KZ-Kleidung vor der Bühne aufgereiht. Sie singen den Schlusschoral der Oper auf die Melodie des Luther-Chorals „Eine feste Burg ist unser Gott“. „Komm Tod, du unser werter Gast, in unseres Herzens Kammer“, heißt es da. Und es ist dies nicht der einzige tief bewegende, ja geradezu aufwühlende Moment eines ganz und gar ungewöhnlichen Opernabends, der nicht nur lange in Erinnerung bleiben wird, sondern zugleich deutlich gemacht hat, was in Ludwigshafen möglich ist, wenn viele Menschen von einer Sache überzeugt sind, an sie glauben, und alles dafür tun, dass sie umgesetzt werden kann. Viktor Ullmanns Musik klingt wie ein Kompendium der Moderne. Er lehnt sich an die Spätromantik – ganz konkret an Gustav Mahler und dessen „Lied von der Erde“ – ebenso an, wie er mit den Mitteln der zweiten Wiener Schule arbeitet. Schon die ersten Takte wirken wie ein Wachruf in den scharfen Dissonanzen eines Tritonus-Motivs. Daneben werden aber auch Jazz- und Blues-Elemente in eine Partitur eingebaut, die ein solistisch besetztes Kammerorchester verlangt. Die Deutsche Staatsphilharmonie agiert unter der Leitung von Uwe Sandner, Generalmusikdirektor des Pfalztheaters, gleichermaßen hochkonzentriert und sehr sensibel. Aus dem Opernstudio des Kaiserslauterer Theaters stammen auch die meisten Solisten des Abends, und sie sind die absolute Überraschung dieser Produktion, können durch die Bank alle überzeugen. Das beginnt mit Ke An als Kaiser Overall und Bartolomeo Stasch als Sprecher, setzt sich mit Kihoon Han als Tod und Tae Hwan Yun als Harlekin und Soldat fort und gipfelt bei den beiden großartigen Frauenstimmen von Suenghee Kho (Bubikopf) und Rosario Chavez (Der Trommler). Termine Die Vorstellungen in Ludwigshafen sind alle ausverkauft. Im Pfalztheater ist das Stück aber noch am 26. Januar, 2., 6., 22. Februar sowie am 6. März zu sehen.

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