Kultur „Entartete“ Musik als Wiederentdeckung

Auf dem Weg in die Gosse: Jennifer Holloway als Grete.
Auf dem Weg in die Gosse: Jennifer Holloway als Grete.

Oper aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das heißt auf deutschen Bühnen vor allem Richard Strauss und Giacomo Puccini, vielleicht auch Alban Berg. Dabei gibt es da noch viel, viel mehr zu entdecken. Franz Schreker zum Beispiel, den die Nazis einst als „entartet“ geschmäht haben. Die Oper Frankfurt betreibt mit einer großartigen Aufführung von „Der ferne Klang“ so etwas wie Wiedergutmachung.

Es muss nicht immer Mozart, Verdi, Wagner, Strauss oder Puccini sein. Es geht auch anders. Aber der deutsche Opernbetrieb ist im Grunde die ständige Wiederkehr des Immergleichen in neuen Variationen. Maximal fünf bis zehn Prozent des überlieferten Bestands an Opernkompositionen wird auf unseren Bühnen gezeigt. Der Rest ist in Vergessenheit geraten und wartet auf seine Wiederentdeckung. Manchmal erfolgte dieses Vergessen völlig zu Recht, weil die Qualität der Werke nicht ausreichte. Manchmal leiden Kompositionen aber immer noch an den Ungerechtigkeiten, die man ihren Schöpfern angetan hat. Franz Schreker, 1878 geboren und 1934 gestorben, ist hierfür ein gutes Beispiel. An ihm zeigt sich wieder einmal die perverse Nachhaltigkeit der NS-Kulturpolitik. Schreker war jüdischer Abstammung, nicht zuletzt deshalb wurde seine Musik als „entartet“ geschmäht. 1933 musste er seinen Posten als Leiter der Berliner Musikhochschule aufgeben, 1934 verlor er auch seine Meisterklasse an der Akademie der Künste. Das bedeutete faktisch Berufsverbot, Schreker erlitt einen Schlaganfall, starb 1934 – und sein Werk geriet in Vergessenheit, woran auch vereinzelte Kurzzeit-Renaissancen nichts änderten. Bis heute im Grunde. Um so verdienstvoller ist es, wenn sich ein großes Opernhaus wie das in Frankfurt Schrekers erstem großen Bühnenerfolg zuwendet. Hier in Frankfurt wurde „Der ferne Klang“ 1912 auch uraufgeführt, und danach war nichts mehr, wie es war. Der Riesenerfolg machte aus dem aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Schreker einen der erfolgreichsten Komponisten seiner Zeit, seine Opern wurden häufiger gezeigt als die von Richard Strauss. Die Modernität Schrekers könnte man auch als Musik des Unterbewusstseins beschreiben. Er kannte seinen Freud, schuf Klangflächen, flirrend, flimmernd, die Seelenzustände ausdrücken. Das war so überraschend neu und anders, dass Richard Wagners Sohn Siegfried nach der Uraufführung des „Fernen Klangs“ erstaunt ausrief: „Das ist ja so, als ob mein Vater nie gelebt hätte.“ Beim Frankfurter Opernorchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Sebastian Weigle ist die Partitur in besten Händen. Das klingt gleichermaßen süffig spätromantisch wie es in manchen Momenten von einem scharfen, harten realistischen Klangbild geprägt ist. Im Mittelpunkt der Oper steht das Paar Grete und Fritz. Sie ist mit einem Vater als Alkoholiker bestraft, der sie im Spiel an einen seiner Saufkumpanen verliert. Fritz träumt von dem mysteriösen fernen Klang wie einst die Romantiker von der blauen Blume, ohne zu merken, dass er mit Grete sein Lebensglück, aber auch seine Muse bereits in Händen hält – und sie immer wieder loslässt. Wir sehen ein Künstlerdrama, in dem der Komponist Fritz mit einer Oper scheitert, mit welcher der reale Komponist Schreker so immensen Erfolg hatte. Und wir erleben ein Sozialdrama im Stile Gerhart Hauptmanns, in dem der unaufhaltsame Abstieg der Frau als Opfer beobachten müssen. Am Ende landet Grete, der Jennifer Holloway stimmlich wie darstellerisch Größe auch im Scheitern verleiht, als Straßendirne in der Gosse. Noch einmal findet sie zu Fritz zurück. Ian Koziara singt diesen mit strahlendem Tenor. Ein spätes Glück scheint möglich. Doch die Liebe ihres Lebens stirbt in ihren Armen, immer noch von jenem fernen Klang faselnd. Die bittere Desillusionierung gipfelt in einem niederschmetternden „Zu spät!“. Dabei zeigt die Regie von Damiana Michieletto auf der Bühne von Paolo Fantin und in Kostümen von Klaus Bruns, dass alles hätte auch ganz anders kommen können. Die Hauptfiguren werden vervielfacht, immer wieder sehen wir ihre greisenhaften Doppelgänger auf der Bühne, zum Teil in einer Art Altersheim-Umgebung. Ein gemeinsamer Lebensabend wäre möglich gewesen. Doch für Fritz und Grete ist er nur eine weitere vertane Chance. Termine 6., 13., 19., 26., 28. April.

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