Kultur „Endlich ein Werkkatalog!“

Dieses Selbstbildnis auf der Terrasse von Neukastel (1918/19, Ausschnitt) gehört heute zur Slevogt Sammlung des Saarlandmuseums.
Dieses Selbstbildnis auf der Terrasse von Neukastel (1918/19, Ausschnitt) gehört heute zur Slevogt Sammlung des Saarlandmuseums. Der Maler durfte damals aus der französisch besetzten Pfalz nicht nach Berlin reisen.

Max Slevogt ist der Lieblingsmaler der Pfälzer. Anlässlich seines 150. Geburtstags am 8. Oktober hat unsere Redakteurin Dagmar Gilcher mit dem Mainzer Slevogt-Experten Gregor Wedekind gesprochen.

Es gibt heute Feuilletons, die Max Slevogt nicht unbedingt in der ersten Reihe großer deutscher Künstler sehen. Julius Meier-Graefe, einer der einflussreichsten Kunstkritiker zu Slevogts Lebzeiten hielt ihn für einen bedeutenden Grafiker und eher mittelmäßigen Maler. Wo steht Max Slevogt für Sie?

Max Slevogt war ein sehr bedeutender Künstler des deutschen Kaiserreichs und der frühen Weimarer Republik. Man muss mit einer einseitig linearen Erzählung der Kunstgeschichte der Moderne endlich brechen. Dem Verdikt Meier-Graefes kann man die Urteile vieler anderer, nicht minder wichtiger Akteure der damaligen Szene entgegenhalten. Auch Hugo von Tschudi (Anm. d. R.: 1896 bis 1908 Direktor der Berliner Nationalgalerie, gestorben 1911) und Alfred Lichtwark, der Direktor der Hamburger Kunsthalle, hatten Hochachtung für ihn. Vor allem aber war er ein Haupt- und Lieblingskünstler von Bruno und Paul Cassirer. Der große Erfolg kam durch die Galerie von Paul genauso wie durch den Verlag von Bruno Cassirer. Für mich ist aber auch bedeutend, dass ein so herausragender Kunsthistoriker wie Max Friedländer, damals Leiter des Berliner Kupferstichkabinetts, mehrere Texte mit großer Sympathie und Wertschätzung über ihn verfasst hat. Slevogt war eine Künstlerpersönlichkeit mit sehr vielfältigen Gaben und Möglichkeiten, und gerade in dieser Vielfalt seiner künstlerischen Äußerungsformen liegt seine Stärke. Er war ja nicht nur Maler und Zeichner, er hat zahlreiche Buchillustrationen geschaffen, Wandbilder entworfen, Bühnenausstattungen und manches mehr. In der Pfalz gilt Slevogt als der Pfälzer Künstler schlechthin. Sie als Kunsthistoriker verorten ihn eher in Berlin? Ja, Slevogt ist ein Berliner Künstler, so würde ich das schon sagen. Er ist natürlich in München ausgebildet worden, man könnte ihn also auch als späten Vertreter der Münchner Schule des 19. Jahrhunderts einordnen. Aber das Entscheidende ist, dass er sich davon frei gemacht hat, und das kommt in seiner Berliner Zeit zum Tragen. In Berlin hat Slevogt auch seinen Hauptwohnsitz gehabt, seine Kinder gingen dort zur Schule, in Berlin war er Professor an der Kunsthochschule, und er spielt in Berlin in den damaligen Intellektuellen- und Künstlerkreisen über zwei Jahrzehnte eine ganz zentrale Rolle. Er war extrem gut vernetzt. Die Tatsache, dass er seinen Berliner Freunden immer von seinem schönen Landgut in der Pfalz erzählte, wo er sich seit 1914 gerne im Sommer aufhielt, diese Aufenthalte immer mehr ausdehnte und dass er die Pfalz ohne Zweifel sehr liebte, stellt nicht in Abrede, dass für Slevogts künstlerische Laufbahn und auch für sein Selbstverständnis als Künstler dieses Berliner Standbein das Entscheidende war. Ohne die Berliner Kunstszene, die dortigen Ausstellungsmöglichkeiten, die Kunstkritik, ohne diese Resonanzmöglichkeiten wäre Slevogt nicht der geworden, der er wurde. Insofern ist er natürlich ein Berliner und kein Pfälzer Künstler. Nun gibt es aber in Mainz und nicht in Berlin seit 2014 ein Max-Slevogt-Forschungszentrum. Was ist seine Aufgabe, und wie kam es dazu? Es handelt sich um eine Kooperation des Landesmuseums Mainz, dem Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft hier an der Johannes Gutenberg Universität – mit meiner Person verbunden – und der Pfälzischen Landesbibliothek in Speyer, wo der 2011 vom Land erworbene schriftliche Nachlass aufbewahrt wird. 2014 kam dann noch der grafische und zeichnerische Nachlass an das Landesmuseum Mainz, auch mit finanzieller Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, und damit liegt der gesamte Nachlass vollständig in öffentlicher Hand. Um dieses Material, das über Jahrzehnte im privaten Besitz der Familie war, zu verknüpfen, zu erforschen und zugänglich zu machen, schien es uns sinnvoll, die Anstrengungen zu bündeln. Dazu gehört natürlich auch die Vermittlung in Form von Ausstellungen, Publikationen und anderen Aktivitäten. Man hat nun aber nicht den Eindruck, dass die Slevogt-Forschung in der Vergangenheit geschlafen hätte. Es gibt da Namen wie Hans-Jürgen Imiela, Berthold Roland, Sigrun Paas. Wie ist der aktuelle Stand? Wohin soll es gehen? Es gibt ja wohl noch keinen Werkkatalog? Das ist tatsächlich das Dringendste und Wichtigste überhaupt. Es ist unser Ziel, diesen Œuvrekatalog zu erstellen. Das allerdings ist eine Mammutaufgabe, die man heutzutage, und erst recht bei einem so umfangreichen Werk wie dem von Slevogt, gar nicht mehr alleine bewältigen kann. Bekannt sind ja diese Fälle, wo einzelne Forscher sich einen Œuvre-Katalog vornehmen und ihn am Ende ihres Lebens immer noch nicht vollendet haben. Manchmal sind dahinter auch schlimme Schicksale verborgen, weil diese Leute oft außerhalb der Institutionen arbeiten, ihr ganzes Geld in dieses Lebenswerk stecken und darüber regelrecht verarmen. Man muss da sehr aufpassen. Wenn wir einen Werkkatalog machen, muss er institutionell eingebettet sein, am Landesmuseum und an der Universität. Dazu muss man aber auch die entsprechenden Stellen-Kapazitäten schaffen. Und das über einen längeren Zeitraum. Selbst wenn man eine extrem zügige Planung auflegt, muss man da mindestens mit sieben bis zehn Jahren rechnen. Klar ist auch, dass das nicht von einer Person alleine geleistet werden kann, es muss eine Zusammenarbeit von mehreren Forschern sein. Weil man sowohl die grafischen Arbeit als auch die Gemälde, die Wandmalereien und dergleichen in einzelnen Bänden bearbeiten muss. Dazu müssen auch die Briefe und andere schriftlichen Quellen intensiv ausgewertet werden. Weil das Material so unterschiedlich ist, braucht es für jedes Gebiet Spezialisten. Und der Stand der Forschung? Für die derzeitige Forschung ist ein Generationswechsel kennzeichnend. Der dominierende Slevogt-Forscher der Nachkriegszeit, Hans-Jürgen Imiela, ist 2005 gestorben. Er hat über 40 Jahre zu Slevogt publiziert, darunter 1968 die große Monographie, die bis heute das wichtigste Buch zu Slevogt geblieben ist. Seit 1968 ist natürlich viel passiert. Die Forschung ist seither eher in kleinen Schritten, in Form von Aufsätzen, gefolgt, oder aber in Form von Ausstellungskatalogen, abermals mit einzelnen, eher punktuellen Textbeiträgen. Aber eine Synthese, eine neue Zusammenschau, die eine neue kunsthistorische Bewertung und eine kulturhistorische Einordnung seines Schaffens beinhaltet, ist heute ein echtes Desiderat. Wir müssen also wieder neu ansetzen, mit neuen Methoden, neuen Fragen. Und zu Slevogts 150. Geburtstag gibt es drei große Ausstellungen, in Mainz, Saarbrücken und Hannover. Wobei Hannover und Mainz sich jeweils mit dem größten Slevogt-Bestand rühmen. Wieso eigentlich Hannover? In Hannover gab es einen wichtigen Sammler, Konrad Wrede, der seine Werke dann dem Museum vermacht hat. Auch Saarbrücken hat, neben dem Archiv der Sammlung Kohl-Weigand einen großen Bestand an Gemälden und Grafik. Alle drei Häuser sind sicherlich die Slevogt-Hochburgen. Man muss aber auch Dresden erwähnen. Dort wurde die vielleicht wichtigste Werkgruppe, die Ägyptenbilder, bereits direkt nach der Entstehung angekauft. Es gibt aber noch andere Museen, Bremen, Mannheim, die Nationalgalerie Berlin und die Staatsgalerie Stuttgart haben jeweils einen „D’Andrade“. Nicht zu vergessen Kaiserslautern, wo es schon im Frühjahr eine wunderbare Ausstellung gab. Die Pfalzgalerie ist ebenfalls ein Slevogt-Museum erster Güte mit tollen Beständen. Das Mainzer Landesmuseum ist aber durch den Ankauf des Familiennachlasses und den Anstrengungen des Landes Rheinland-Pfalz sicherlich so etwas wie das Stammhaus Slevogts geworden. Nun gibt es ja auch die Villa Ludwigshöhe mit der Max-Slevogt-Galerie. Die Villa Ludwigshöhe ist ein sehr schöner Ort, aber ein wenig abseits gelegen und als Museum kein einfaches Haus, schon aus Gründen der Logistik – als Dépendance des Landesmuseums. Es fehlen die räumlichen und technischen Möglichkeiten, vor allem neben den eigentlichen Ausstellungssälen. Das sollte man im Fall einer Jubiläums-Ausstellung nicht unterschätzen. Mainz liegt in diesem Fall sicher auch verkehrstechnisch günstiger und kann mehr Besucher zu Slevogt ziehen. Das bedeutet ja nicht, dass Slevogt dort in Zukunft nicht präsent ist. Falls die Ludwigshöhe mal als reines Slevogtmuseum gedacht gewesen sein sollte, wäre das eine fehlerhafte Konzeption. Monographische Museen funktionieren in der Regel nicht und hangeln sich dann mit allerlei Hilfskonstruktionen und schlechten Kompromissen durchs Leben. Und dann ist da ja noch das Hofgut Neukastel. Ist das aus der Perspektive des Slevogt-Forschers nicht wesentlich interessanter? Zur Zeit ist es ja leider nur eingeschränkt zugänglich, aber es wird irgendwann die Sanierung durch den neuen Eigentümer hinter sich haben, und dann wird es zumindest teilweise für die Öffentlichkeit zugänglich. Das ist so meines Wissens mit dem Land vereinbart. Es soll ein kleines Slevogt-Museum geben, im sogenannten Bibliotheks-Anbau mit dem Musikzimmer, mit einem seiner Hauptwerke, der Ausmalung dieser Räume mit Motiven aus der Weltliteratur und der Oper. Dort kann man sich dann wieder ein Bild von Slevogt machen, wie das in Ausstellungen gar nicht möglich ist. Könnte ein Besuch in Neukastel nicht nur ein touristischer Höhepunkt sein, sondern auch Studierenden das Thema Slevogt nahebringen? Ich würde behaupten: Jeden, den ich überreden kann, mit mir dorthin zu gehen, den kann ich für Slevogt begeistern. Das ist tatsächlich ein Gesamtkunstwerk: die landschaftlich außergewöhnlich reizvolle Lage, der spektakuläre Blick über das Rheintal, das ganze Anwesen in seiner Verschachteltheit mit seinen Terrassen und Höfen und gleichzeitig seiner Exponiertheit mit seinem Turm hoch am Hang über dem Dorf Leinsweiler; mit der Ausstattung, die es hat, den steinernen Figuren auf der Terrasse und im Garten, der wunderbaren Spindeltreppe und noch vieles mehr. Ein wirklicher Schatz, ein zauberhafter Ort. Der bietet ganz viel echten Slevogt, was bei vielen anderen Künstlerhäusern nicht der Fall ist, wo originale Werke fehlen und versucht wird, Ambiente nachträglich künstlich herzustellen. Das muss man dort nicht, wirklich ein absoluter Glücksfall: eines der bedeutendsten Künstlerhäuser des 20. Jahrhunderts. Man muss jetzt hoffen, dass die Sanierung es wieder der Öffentlichkeit zugänglich macht und eine qualitätvolle Nutzung auf Dauer sichert. Dann hat man wirklich einen „Slevogt-Hotspot“ in der Pfalz, der nicht nur für Touristen, sondern auch für Kunst, Kultur und Wissenschaft von großer Anziehungskraft ist.

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