Kultur „Eines der allergefährlichsten Bücher“

Er galt den Mächtigen als das Böse schlechthin: Niccolò Machiavelli.
Er galt den Mächtigen als das Böse schlechthin: Niccolò Machiavelli.

Niccolò Machiavellis Sohn Piero beteuerte, sein Vater habe, bevor er am 22. Juni 1527 starb, die Beichte abgelegt. Die Bemerkung, die den Toten als gläubigen Christen erscheinen lässt, ist nicht überflüssig, denn der Begriff „Machiavellismus“ steht für eine Politik ohne Moral und ohne Skrupel.

In England wurde Machiavellis Vorname zu „Old Nick“ verniedlicht und zu einem Synonym des Teufels. Nicht alle Politiker wollten das schwarze Bild, das Machiavelli von ihnen malte, so unaufgehellt lassen. Friedrich II. etwa fühlte sich berufen, einen „Anti-Machiavel“ zu schreiben und diffamierte Machiavellis Buch „Der Fürst“ als „eines der allergefährlichsten Bücher, die jemals in der Welt verbreitet wurden“. Wie der Ludwigshafener Philosoph Ernst Bloch, zwar kein „Machiavellist“, aber doch einer, der jedenfalls dem Ideologiekritiker Machiavelli darin beipflichtet, dass Politiker und Machthaber ihre niederen Motive gern hinter hohen edlen Absichten verbergen, süffisant bemerkt: „Weshalb nun gerade wirkliche Machiavellisten wie Friedrich II. von Preußen es sehr nötig hatten, ein Buch Anti-Machiavell zu schreiben“. Wer den am 3. Mai 1469 in Florenz geborenen Machiavelli von einem moralischen Standpunkt aus zu widerlegen sucht, verfängt sich unweigerlich in den Fallstricken der Realpolitik, in der Anspruch und Wirklichkeit, Rede und Tat nicht selten weit auseinanderklaffen. Zu Machiavellis Lebzeiten, in dem in viele Fürstentümer zersplitterten Italien der Renaissance, war dieser Widerspruch so eklatant, dass er kaum noch zu übertünchen war. Das Reich Gottes auf Erden, das das Christentum versprochen hatte, war ausgeblieben. Die Regierenden, von den Kirchenvätern Augustinus und Thomas von Aquin darauf verpflichtet, Frieden zu schaffen und das Glück ihrer Untertanen anzustreben, führten Krieg auf Krieg. Im Vatikan hatte mit Alexander VI. ein Papst die Nachfolge Petri angetreten, für den – wie für nicht wenige seiner Vorgänger – nicht nur Nächstenliebe ein Fremdwort war, sondern der selbst vor Meuchelmord und Gift nicht zurückschreckte, wenn er den Besitz reicher Kardinäle an sich bringen wollte. Machiavellis Schriften sind die Reaktion auf eine gescheiterte Utopie, die Utopie des Christentums. Darüber hinaus sind sie eine Absage an jegliche Utopie überhaupt. „Viele haben sich Republiken und Fürstentümer ausgemalt, von deren Existenz man nie etwas gesehen noch vernommen hat“, schreibt er. „Denn zwischen dem Leben, wie es ist und wie es sein sollte, ist ein so gewaltiger Unterschied, dass, wer das, was man tut, aufgibt, für das, was man tun sollte, eher seinen Untergang als seine Erhaltung bewirkt; ein Mensch, der immer nur das Gute tun wollte, muss zugrunde gehen unter so vielen, die nicht gut sind.“ Wer sich an die christliche Moral halten würde, so seine Beobachtung, würde im Lebenskampf untergehen. Die Absicht seiner politischen Schriften, die erst nach seinem Tod gedruckt wurden, ist es nun, Ratschläge zu erteilen, wie ein kräftiger Staat aufzubauen wäre. In den „Discorsi“ sucht er nach der bestmöglichen Republik oder Demokratie, in „Der Fürst“ nach der bestmöglichen Monarchie. Beide Schriften gelten als grundlegend für eine moderne oder auch wissenschaftliche Politik. Machiavellis Politikwissenschaft ist auf denselben Säulen errichtet, auf denen auch die aufkommenden Naturwissenschaften seiner Zeit basieren. Wahrheitsinstanz ist die Erfahrung. Der leidenschaftliche Politiker war viele Jahre in seiner Heimatstadt, der Republik Florenz, in führenden Funktionen tätig. Er wurde als Diplomat an den französischen Hof und zum deutschen Kaiser entsandt und lernte etliche Mächtige seiner Zeit persönlich kennen. Von ihnen hat Cesare Borgia, der Sohn des Papstes Alexander und Condottiere des Kirchenstaates, einen besonders starken Eindruck auf ihn gemacht. Rationalität, eine weitere Grundüberzeugung seiner Zeit, schlägt sich so in seiner Wissenschaft nieder, dass er nach Regeln oder Gesetzen für den Machterwerb und Machterhalt sucht. Um seine besonderen Beobachtungen im politischen Leben in den Rang der Allgemeinheit zu erheben, untermauert er sie mit den Erkenntnissen antiker Schriftsteller, insbesondere mit denen des römischen Geschichtsschreibers Livius. Dabei geht er von einer über die Zeiten hinweg gleichbleibenden Menschennatur aus. „Von den Menschen lässt sich nur Schlechtes erwarten, wenn sie nicht zum Guten gezwungen sind“, heißt es wenig schmeichelhaft über die Krone der Schöpfung. Die Menschen seien nur auf ihren Vorteil, auf Gewinn und Einfluss, Ruhm und Reichtum bedacht, dabei heuchlerisch und betrügerisch. Das Anstößige an Machiavellis Wissenschaft ist nun, dass er dem Fürsten empfiehlt, in diesem bösen Spiel nach Kräften mitzuspielen. Er solle, rät er, Fuchs und Löwe zugleich sein: Löwe, um die Wölfe abzuschrecken, Fuchs als ein Meister der Heuchelei und Verstellung. „Machiavelli wollte die Moral nicht außer Kraft setzen“, bemerkt dazu der Philosoph Kurt Flasch, „aber er verachtete das moralisierende Schwadronieren.“ Flasch glaubt, dass eine andere Politik als die von Machiavelli für notwendig erachtete wohl denkbar wäre, doch dazu, meint er, wäre eine „Überwindung des real existierenden Machiavellismus“ nötig. Rationalität oder Vernunft behält jedoch nicht das letzte Wort in Machiavellis erfahrungsgesättigter politischer Wissenschaft. Den Faktor der Unberechenbarkeit in dem Spiel nennt er fortuna, Glück oder Zufall. Fortuna agiert wie eine Naturgewalt und macht den einen heute groß, den anderen morgen klein. Dieses übermächtige Geschick lässt sich nur notdürftig eindämmen und einigermaßen beherrschen durch virtù, eine starke Lebensenergie, wie er sie im alten republikanischen Rom am Werke sah und im Italien seiner Gegenwart vermisste. „Der Fürst“ schließt nämlich mit dem leidenschaftlichen Appell, ein starker Herrscher möge kommen, Italien von den Barbaren befreien – womit insbesondere die Franzosen und Spanier, aber wohl auch die Deutschen gemeint sind – und die alte antike Größe wiederherstellen. Die italienischen Fürsten, die Republiken Florenz und Venedig, der Papst dachten freilich nicht daran, diesem Wunsch nachzukommen, führten weiter Kriege untereinander und riefen ausländische Mächte als Verbündete ins Land. Machiavellis Traum sollte sich erst etwa 350 Jahre später mit der Einigung Italiens durch Garibaldi erfüllen, endgültig aber wohl erst im 20. Jahrhundert mit dem faschistischen Diktator Mussolini. Aber inwiefern Machiavelli erst den Absolutismus und schließlich den totalen Staat vorbereitet hat, das ist eine eigene Geschichte. Schließen wir lieber mit den Worten, die ihm der englische Dichter und Dramatiker Christopher Marlowe in den Mund gelegt hat: „Es ist meine Auffassung, dass es keine Sünde gibt, es sei denn die Ignoranz.“

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