Kultur Die Schönheit des Gabelstaplers

Zarte Bande: Sandra Hüller und Franz Rogowski im Liebesfilm „In den Gängen“.
Zarte Bande: Sandra Hüller und Franz Rogowski im Liebesfilm »In den Gängen«.

Ein versöhnlicher Berlinale-Abschluss: Nach einigen unterdurchschnittlichen Wettbewerbsfilmen hat Thomas Stuber mit „In den Gängen“ einen starken Schlusspunkt gesetzt. Seine Adaption einer Kurzgeschichte des Leipzigers Clemens Meyer ist ein herzenswarmes Porträt von Großmarktmitarbeitern im ostdeutschen Niemandsland – und ein entzückender Liebesfilm.

Die Gänge des Großmarkts sind noch verlassen, das Licht ist diffus, dann heben die feierlichen Klänge von Johan Strauß’ berühmten „Donauwalzer“ an, und ein Gabelstapler fährt ins Bild, bald quert ein zweiter: Sie tanzen scheinbar zwischen den hohen Regalen entlang. Mit dieser wunderbaren Szene beginnt Thomas Stubers „In den Gängen“, der auf der gleichnamigen 25-Seiten-Erzählung von Clemens Meyer aus dem Band „Die Nacht der Lichter“ basiert. Um eine Feier der Arbeit als sinnstiftend geht es in dem sanften, ja beinahe zärtlichen Film, um eine Würdigung des kleinen Glücks einfachen Lebens und um Haltung. Stuber porträtiert feinfühlig drei Warenlogistiker eines Großmarkts: Bruno (Peter Kurth), schon im Vorgängerbetrieb „VEB Fernverkehr“ dabei und zuständig fürs Befüllen der Getränkeregale, leitet Neuling Christian (Franz Rogowski) an, einen sehr wortkargen jungen Mann, der ein wenig geduckt und sichtbar vereinsamt durchs Leben geht. Bis er Marion von der Süßwaren-Abteilung (Sandra Hüller) begegnet und sich ganz leise in sie verliebt. Doch dann erfährt er, dass die scheinbar so fröhliche Frau verheiratet und ihr Mann (Clemens Meyer) „nicht gut zu ihr“ ist. Regisseur Thomas Stuber hat schon mit Peter Kurth und ebenfalls nach Clemens Meyer „Herbert“ gedreht, das wunderbar sensible Porträt eines schwer kranken Ex-Boxers. Für „In den Gängen“ schafft der an der Filmakademie Baden-Württemberg ausgebildete Leipziger wieder eine ganz eigene Atmosphäre. Er nimmt sich die Zeit, dem Zuschauer diese Großmarktwelt behutsam nahezubringen. „Willkommen in der Nacht“, begrüßt der Marktleiter sein Personal allabendlich und legt eine Bach-CD ein, am Morgen gibt es einen Handschlag zum Abschied. Christian und Marion nähern sich am altersschwachen Kaffeeautomaten vor einer Palmen-Fototapete an oder in „Sibirien“, der Tiefkühlabteilung: Durchaus romantisiert ist Stubers Porträt einer Gemeinschaft, in der Werte wie Freundschaft und Zusammenhalt zählen, auch wenn man einander bisweilen foppt und keine große Reden schwingt. Miteinander zu arbeiten und diese Arbeit auch mit Sorgfalt und Freude auszuführen, verbindet bereits genug. Und Christian, mit dessen Darstellung sich Franz Rogowski wie schon in „Transit“ für einen Schauspielbären empfiehlt, ist lernwillig und kein Faulpelz. Er möchte eine dunklere Vergangenheit überwinden, wird aus seinem oft wehmütigem Blick klar. Auch die Tätowierungen, die ihm aus dem Ärmel und in den Nacken kriechen, markieren ihn als Outlaw. Doch wenn er mit dem Gestus eines Cowboys, der in die Stadt reitet, um seine Maid zu befreien, den Arbeitskittel anzieht, den Kragen aufstellt, die Ärmel weit nach vorne zieht und das Teppichmesser entschlossener als einen Colt in die Tasche steckt, dann ist er ein neuer Mensch. Einmal kommen seine alten Freunde drohend vorbei, wollen ihn zurückholen, doch Christian hat Halt gefunden. Vor allem dank Marion. Ganz zarte Bande scheinen sich zu entwickeln, doch dann ist sie plötzlich krank geschrieben. Christian forscht nach, will sie womöglich aus ihrer Ehe erretten. Doch ist „In den Gängen“ kein Märchen, sondern trotz aller poetischen Überhöhung durchaus in der Realität verwurzelt, wo sich nicht alles immer zum Guten wendet. Der Film ist eine Liebeserklärung an die Menschen, die gut 30 Jahre nach der sogenannten Wende noch weitermachen vor Ort, sich durchaus auch gut eingerichtet haben in einem Arbeitsalltag, der scheinbar wenig aufregend ist, aber doch Struktur gibt. Manche Figuren stecken auch ein wenig fest, sind Überbleibsel einer vergangenen Welt. Nach Ibiza möchte Staplerfahrer Klaus zum Beispiel gar nicht. Und einer seiner Kollegen klagt, in einer für Clemens Meyer typischen Verehrung der Arbeiterklasse: „Mein Sohn ist verrückt geworden, der will studieren.“ „In den Gängen“ ist zugleich kein bierernster, stoischer oder verkünstelter Film. Thomas Stuber feiert auch die Komik des Settings, ohne seine Figuren auszustellen – es gibt also viel zu lachen. Und wer genau hinhört, merkt: Wenn ein Gabelstaplerarm wieder eingefahren wird, klingt das wie das Rauschen von Wellen. Und so kann auch ein altmodischer Großmarkt zum Meer werden und die Staplerfahrer(innen) zu ihrem eigenen Kapitän auf den Wogen des Lebens.

x