Buchmesse Die große Bühne für Gemeinsinn: Zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse

Der pakistanische Autor Mohsin Hamid, der zum Buchmesse-Auftkat vor der Presse sprach, hat ein Rezept gegen Pessimismus.
Der pakistanische Autor Mohsin Hamid, der zum Buchmesse-Auftkat vor der Presse sprach, hat ein Rezept gegen Pessimismus.

4000 Aussteller aus 95 Ländern und rund 2000 Veranstaltungen „in Präsenz“: Also alles wie früher auf der Frankfurter Buchmesse? Natürlich nicht, schließlich leben wir in Kriegs- und Krisenzeiten. Ein bisschen Optimismus aber bringt immerhin der Eröffnungsredner aus Pakistan mit.

„Ich will Ihnen nicht die Laune verderben“, sagt die Mainzer Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, beim Auftakt-Pressegespräch. Die Botschaft aber: Der Umsatz liegt 2 Prozent unter dem Vor-Pandemiejahr 2019, bei Buchläden vor Ort beträgt das Minus gar 8,7 Prozent. Und nun die Energiekrise, alles wird teurer. „Ich kenne Buchhandlungen, die nicht wissen, wie sie über den Winter kommen sollen.“ Und so ruft sie nach Hilfe, erinnert an die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verlagsförderung, die zügig umgesetzt werden müsste, spricht von Entlastungspaketen und Mehrwertsteuerreduzierung.

Die verrückte Welt

Diese könne man für Bücher doch ganz streichen, wirft Juergen Boos ein. Selbst der optimistische, warmherzige Buchmessenchef wirkt angeschlagen. Er beschwört zwar die Freude, das „Familientreffen“ wieder mit echten Begegnungen und direkten Gesprächen feiern zu können, sagt aber auch: „Die Welt ist verrückt geworden.“

Der Umsatz mit Büchern geht zurück, gerade beim Verkauf in Buchhandlungen.
Der Umsatz mit Büchern geht zurück, gerade beim Verkauf in Buchhandlungen.

Krieg in der Ukraine, Unterdrückung weiblicher Freiheitsbestrebungen in Iran, die Taliban in Afghanistan. All diesen Entwicklungen wolle sich die Messe stellen, verspricht Boos. Für ukrainische Literatur gibt es einen 100 Quadratmeter großen Gemeinschaftsstand mit eigener Bühne. Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels geht am Sonntag an den ukrainischen Autor und Musiker Serhij Zhadan, der auch ein Konzert geben soll. Die ukrainische Performancekünstlerin Maria Kulikovska tritt am Messe-Mittwoch auf. Und Präsident Selenskyj wird am Donnerstag zugeschaltet, seine Frau am Samstag. Bei „Brigitte live“, so viel „First Lady“-Klischee gibt es offenbar weiterhin. Dabei hat doch gerade eine non-binäre Person den Deutschen Buchpreis gewonnen, was Schmidt-Friderichs dazu bringt, sich am Rande der Eröffnungspressekonferenz bei ihrem Börsenverein-Team über die Social-Media-Reaktionen zu informieren. Die Tendenz: kein „Shitstorm“, deutliche Schimpfworte seitens der AfD. Was auch heißt: Aufmerksamkeit.

Buchmesse-Direktor Juergen Boos will gesellschaftspolitische Debatten abbilden.
Buchmesse-Direktor Juergen Boos will gesellschaftspolitische Debatten abbilden.

Aufmerksamkeit ist ohnehin das große Stichwort zum Messeauftakt. Nicht nur die Ukraine bekommt ein Podium, auch die russische Opposition, betont Schmidt-Friderichs. So ist Irina Scherbakowa von der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Initiative Memorial eingeladen. „Afghanistan aktuell“ und „Iran – wo lang?“ heißen Diskussionsrunden, aber auch „Grundrecht Kunstfreiheit“ oder „Solidarität oder Spaltung. Was bestimmt den Krisen-Winter?“

Um Solidarität ist es in diesen Zeiten nicht gerade gut bestellt, weiß auch der pakistanische Autor Mohsin Hamid, der die Eröffnungsrede vor Journalisten halten darf – und die Zuhörer zum Nachdenken bringt. 51 Jahre alt ist Hamid, hat seine ersten neun Jahre in Kalifornien verbracht, die Jugend in Pakistan, das Studium in den USA, zog dann nach London und lebt nun wieder in Lahore. Und trotz seiner Erfahrungen in einer Diktatur oder nach dem Angriff auf die Twin Towers sei er optimistisch geblieben. Schließlich habe er an die Kräfte der Demokratie, an die Wissenschaft geglaubt. Doch seit 2021 fühle er sich verwirrt, seit der Mensch angesichts von Covid weiter vereinzele, sich zurückziehe, auf Abspaltung und Abgrenzung beharre statt auf Gemeinschaft.

Rettung aber sei doch möglich. Ein Anfang lasse sich beim Lesen machen, sagt Hamid, der zuletzt in seinem Roman „The Last White Man“ darüber schrieb, wie weiße Menschen nach und nach ihre Hautfarbe verlieren – und schwarz werden.

Aktives Lesen

Ein Autor schreibe zwar ein Buch, aber nur zur Hälfte, meint Hamid. Vollendet werde es erst durch die Leser und ihre Kreativität und Vorstellungskraft. Lesen sei damit ein Akt der Kooperation. Und das Lesen könne gerade in der heutigen dunklen Zeit willkommene Funken auslösen, die uns daran erinnern, „dass wir alle in einer Gemeinschaft leben wollen“. Ein schönes Bild.

Kein Wunder auch, dass Hamid auf die Frage, ob Technologie beim Lesen helfe oder hindere, ein klares Bekenntnis zum gedruckten Buch abgibt: Lesen sei „eine Art Meditation“. Es fordere die gesamte Aufmerksamkeit. Lasse zu sich selbst kommen und in neue Welten eintauchen. Ein Fan der neuen TikTok-Messebühne wird Hamid also wohl eher nicht. Aber die Messe ist natürlich nicht nur eine Kulturveranstaltung, die sich gesellschaftspolitisch mit einer „liberal-demokratischen Haltung“ (Boos) positionieren möchte, sondern in erster Linie Geschäft. Es geht ums Verkaufen neuer Produkte und Erschließen neuer Märkte. Und so gehören zu den Prominenten, die in Frankfurt auftreten neben Literaten wie Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah, Bestsellerautoren wie Donna Leon oder Sachbuch-Größen wie Historiker Ian Kershaw weiter analoge Stars wie Philip Lahm, aber auch Social-Media-Akteure wie Biyon Kattilahtu.

Termin

Buchmesse Frankfurt, Publikumstage Freitag bis Sonntag, www.buchmesse.de

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