Nachruf Der Meister der Verhüllung: Zum Tod von Christo

Christo im Jahr 2015 mit einem Modell des verhüllten Berliner Reichstags.
Christo im Jahr 2015 mit einem Modell des verhüllten Berliner Reichstags.

Er ließ die Welt staunen und verblüffte mit Ideen, die neue Seherfahrungen ermöglichten: Der für seine spektakulären Installationen berühmte Künstler Christo ist tot. Er starb am Sonntag im Alter von 84 Jahren in seiner New Yorker Wohnung eines natürlichen Todes, wie seine Mitarbeiter mitteilten. Die Einkleidung des Reichstages in helle Gewebebahnen 1995 gehörte zu den spektakulärsten Werken von Christo und seiner Frau Jeanne-Claude.

Am 13. Juni wäre der aus Bulgarien stammende Christo Vladimirov Javacheff 85 Jahre alt geworden. Sein letztes großes Projekt, die Verhüllung des Triumphbogens in Paris, soll trotz seines Todes ab 18. September 2021 umgesetzt werden, kündigte Christos Büro an. „Christo hat sein Leben in vollen Zügen gelebt, das Unvorstellbare nicht nur gedacht, sondern es verwirklicht“, würdigten ihn seine Mitarbeiter. Noch zuvor läuft im Pariser Centre Pompidou eine schon länger geplante Hommage. Die wegen der Corona-Krise verschobene Ausstellung „Christo et Jeanne-Claude, Paris!“ soll am 1. Juli eröffnen.

Der Sohn eines Chemiefabrikanten war Ende der 1950er nach Paris gekommen. Dort entstanden erste Projekte und Ideen, bald zusammen mit seiner Frau Jeanne-Claude Denat de Guillebon, die 2009 starb. Mit der Französin bildete Christo eines der wohl bekanntesten Künstlerpaare der jüngeren Gegenwart. Ihre Verhüllungswerke brachen Sehgewohnheiten auf und versetzten die Betrachter in Verblüffung.

Christo über seine Projekte: „Total irrational“

1985 hatten beide die berühmte Pariser Brücke Pont Neuf mit sandfarbenem Stoff verhüllt. Weitere bekannte Projekte des Paares sind das „Big Air Package“ getaufte Luftpaket im Gasometer Oberhausen, die safranfarbenen Tore im New Yorker Central Park („The Gates“) oder die schwimmenden, mit Nylongewebe bezogenen Stege auf dem Iseosee in der Lombardei („Floating Piers“).

Als „total irrational und sinnlos“, hatte der bulgarisch-amerikanische Künstler einmal selbst seine Arbeiten beschrieben. „Wenn es jemand mag, ist es nur ein Bonus. Wir machen Dinge, die uns visuell gefallen.“ Der Weg sei dabei das Ziel: „Diese Projekte bringen uns an Orte, die so viel reicher sind als die Kunstwelt oder die Galerie oder das Museum. Wir können mit vielen verschiedenen Menschen arbeiten. Es ist ein Abenteuer und sehr aufregend und töricht.“ Stets wurden alle Materialien im Anschluss recycelt.

Bis zuletzt am Triumphbogen-Projekt gearbeitet

Die Schönheit der in abstrakte Objekte verwandelten Gebäude und Landschaften faszinierte indes Millionen. Zuletzt hatte der Künstler „ohne Pause“ in seinem New Yorker Studio auf die Verhüllung des Pariser Triumphbogens hingearbeitet, wie er noch Mitte April in einem Interview erzählte. Schon vor rund 60 Jahren hatte Christo die ersten Skizzen für das Projekt angefertigt.

Von Beginn an verwirklichten Christo und Jeanne-Claude Projekte auch in Deutschland. 1961 verhüllten sie Ölfässer im Kölner Hafen. Für die Documenta 1968 in Kassel entwarfen sie ein 85 Meter hohes Paket – nach ihren Angaben die größte aufblasbare Skulptur ohne Skelett oder Halterung. Im kollektiven Gedächtnis geblieben aber ist vor allem die Verhüllung des Berliner Reichstags. Mit Hilfe von 90 Profi-Kletterern und 120 Mitarbeitern hüllten sie das Berliner Wahrzeichen in rund 100.000 Quadratmeter dickgewebtem Kunststoff und umwickelten das Ganze mit rund 15 Kilometer blauem Seil. Für zwei Wochen ein Besuchermagnet.

Rita machte es möglich

Um eine Genehmigung hatten Christo und Jeanne-Claude seit Anfang der 1970er gekämpft – und diese schließlich per offizieller Bundestagsabstimmung, angesetzt von der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, bekommen. „Sie hat Jeanne-Claude und mich in ihr Haus nach Bonn eingeladen, um mit ihr zu reden“, erinnerte sich Christo einmal. Ohne sie hätte das Reichstags-Projekt wohl nicht stattgefunden.

Mit dem verhüllten Reichstag „hat Christo uns Deutschen ein Kunstwerk geschenkt, das unvergessen bleiben wird“, würdigte nun Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Verstorbenen. „Als Symbol für ein weltoffenes Deutschland hat es sich in unsere Herzen eingebrannt.“

Unvollendet: das Projekt „Mastaba“

Die Vergänglichkeit der temporären Großinstallationen erinnerte stets auch an die Flüchtigkeit des Lebens selbst. „Es ist irgendwie naiv und arrogant, zu glauben, dass dieses Ding für immer bleibt, für die Ewigkeit“, bemerkte Christo zur Zeit der Reichstagsverhüllung. Vieles hatte er noch verwirklichen wollen – wie etwa „Mastaba“, eine 150 Meter hohe Skulptur aus mehr als 400.000 Ölfässern in den Vereinigten Arabischen Emiraten, an der der Künstler seit 1977 arbeitete.

Leuchtende Kunststoffflächen, Bauwerke und Landstriche, wie zu überdimensionalen Geschenken oder Paketsendungen verpackt - faszinierende Bilder werden von Christos Arbeit in Erinnerung bleiben. Dass heute fast keine mehr davon zu sehen ist, dürfte ihre Pracht nur verstärkt haben. „All diese Projekte haben eine starke Dimension des Fehlens, der Zurückhaltung“, sagte Christo zur Reichstagsverhüllung. „Sie werden verschwinden, wie unsere Kindheit, unser Leben.“ Erst das mache die Erfahrung so intensiv. dpa/kna

„The Floating Piers“: Projekt auf dem italienischen Iseosee 2016.
»The Floating Piers«: Projekt auf dem italienischen Iseosee 2016.
Projekt „The Wall“ im Gasometer Oberhausen.
Projekt »The Wall« im Gasometer Oberhausen.
So wurde der Reichstag 1995 verhüllt.
So wurde der Reichstag 1995 verhüllt.
Jean-Claude und Christo im Jahr 2001.
Jean-Claude und Christo im Jahr 2001.
x