FILM Das Energiebündel Jerry Lee Lewis

Jerry Lee Lewis bei einem seiner legendären Auftritte im Film von Ethan Coen.
Jerry Lee Lewis bei einem seiner legendären Auftritte im Film von Ethan Coen.

Normalerweise dreht der vierfache Oscar-Preisträger Ethan Coen (64) Spielfilme zusammen mit seinem Bruder Joel, nun hat er erstmals allein einen Dokumentarfilm über einen seiner Lieblingsmusiker gedreht: Jerry Lee Lewis (86).

Mit Lewis verbindet man zwei Hits: „Whole Lotta Shakin’“ und „Great Balls of Fire“. Er ist der wilde Mann, der auf die Klaviertasten einhackt und dabei laut und rhythmisch singt, sich permanent bewegt und nicht zu stoppen ist. Dass Lewis als das unglaubliche Energiebündel rüberkommt, liegt nicht zuletzt daran, dass Coen etwas tut, was viele Musikdokumentaristen (aus Kostengründen) nicht tun: Nicht nur ein paar Sekunden des Songs zu zeigen, sondern die komplette Nummer. Und er legt seine Doku nicht chronologisch an, sondern mixt Altes und Neuem, die 50er mit den 80er Jahren, Auftritte und Interviews. Coen befragt nicht, wie sonst üblich, Mitmusiker und Produzenten zur Zusammenarbeit. In den Interviewschnipsel kommt im Prinzip nur Lewis selbst Wort (und seine erste Ex-Frau Myra).

Archivmaterial zu Lewis gibt es genug, das Meiste aus dem Fernsehen. So ist „Jerry Lee Lewis: Trouble in Mind“ eine ziemlich wilde Hommage an den Rock’n’Roller, der sich alles selbst beibrachte. Er war sechs, als der Vater ihm eine Klavier schenkte und Lewis zu spielen begann. Mit 20 Jahren kam er nach Memphis, wo er sofort die Platten- und Musikchefs in Bann zog. Er war Mitte 20, als er zur Empörung Amerikas seine 13-jährige Cousine Myra heiratete und seine Karriere sofort den Bach runterging. Er bekam keine Fernsehauftritte mehr, keine großen Konzertsäle und tingelte durch die Clubs. „Meine Gage fiel von 10.000 Dollar auf 200 Dollar pro Abend“, erzählt er. Und dass es ihn noch nie gekümmert habe, was die Leute sagen – mit Blick auf die Heirat mit einer Minderjährigen. Nach dem tiefen Fall kam nicht etwa Erkenntnis, Lewis machte einfach mehr weiter Musik, nicht nur Rock’n’Roll, sondern auch Country – denn da kommt er ursprünglich her.

So lässt Coen auch seinen Film beginnen, was gleich zeigt, dass er sich nicht mit einer oberflächlichen Biografie begnügt. Er zeigt, den Jerry Lee Lewis, den man nicht kennt: In einer Fernsehshow singt er gefühlvolle Bluesballade, in anderen Gospels. Neben Klavier (stehend, den Klavierhocker wegkickend und tanzend) spielt er auch Gitarre, was nicht jeder weiß. Er ist ein Stehaufmännchen, das irgendwann zu trinken begann, aber vor allem eins will und braucht: Musik. Das macht Coen unmissverständlich klar.

Nach einem Schlaganfall 2019 konnte Lewis nicht mehr Klavier spielen, und musste es erst wieder mühsam lernen - das schaffte er, wie die Studiosession von 2020 mit T Bone Burnett und anderen Musikern zeigt, wo Lewis den Gospel „Amazing Grace“ mit immer noch kraftvoller Stimme singt. Die auch für Nicht-Fans sehenswerte 74-Minuten-Doku, die als Sondervorführung in Cannes gezeigt wurde hat Coen zusammen mit Mick Jagger produziert. Das sagt schon alles.

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