Elsass/Porträt Bernard Klein nimmt Abschied vom Hügel der Erinnerung

15.850 tote Soldaten ruhen auf dem Gräberfeld neben der Begegnungsstätte.27 Jahre hat der überzeugte Europäer Bernard Klein von
15.850 tote Soldaten ruhen auf dem Gräberfeld neben der Begegnungsstätte.27 Jahre hat der überzeugte Europäer Bernard Klein von seinem Schreibtisch Begegnungen für den Frieden organisiert. Jetzt warten andere Aufbauarbeiten auf ihn.

Nach 27 Jahren verlässt Bernard Klein das Centre International Schweitzer in Niederbronn. Er schaut über die Hügel der Nordvogesen und sagt gelassen: „Alles hat seine Zeit.“

Wie viele ähnliche Einrichtungen hat die Internationale Begegnungsstätte Albert Schweitzer zweieinhalb pandemiebedingt harte Jahre hinter sich, und das Team wird derzeit von der Hoffnung getragen, dass die Zeiten nun wieder besser werden könnten. Normalerweise ist hier fast immer Leben, in diesen Tagen aber wirkt das Innenhof zwischen Alt- und Neubau wie leer gefegt.

Wurden auf dem „Eyler-Hügel“ über dem Ostrand des nordelsässischen Kurstädtchens Niederbronn-les-Bains im Vor-Pandemie-Jahr 2019 etwa 5300 Teilnehmer aus Schulklassen, Jugendgruppen oder der Erwachsenenweiterbildung, darunter viele Lehrer und Lehrerinnen, vor allem aus Deutschland und Frankreich gezählt, brach diese Zahl im Jahr darauf drastisch bis schließlich nahe Null ein. Und gerade jetzt, da wieder Hoffnung keimt, geht der Chef in Rente: Bernard Klein verabschiedet sich in diesen Wochen nach 27 Jahren Leitertätigkeit vom Centre International Albert Schweitzer und damit auch der benachbarten Kriegsgräberstätte.

Jugendbegegnung über den Gräbern

Deren Ursprünge reichen bis zum Winter 1944/45 zurück, als sowohl Deutsche wie die vorrückenden US-Truppen hier ihre Toten bestatteten, bis die Amerikaner ihre Gefallenen nach St. Avold umbetteten. In ihrer jetzigen Größe wurde die Kriegsgräberstätte 1966 eröffnet, 15.850 Kriegstote, vor allem Wehrmachtsangehörige, haben mittlerweile hier ihre letzte Ruhestätte gefunden – in einem bedrückend großen, in 46 Blöcke unterteilten Gräberfeld, überragt von einem Hochkreuz und dem Rundbau des „Ehrenmals“.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der wie für die allermeisten deutschen Soldatenfriedhöfe im Ausland auch den bei Niederbronn betreut, eröffnete 1995 die Jugendbegegnungsstätte mit verschiedenen Bildungsangeboten: die französische von heute insgesamt vieren in Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Klein, der Geschichte und Personalmanagement studiert hat, war von Anfang an dabei.

Die ganz persönliche Grenzgeschichte

Als Sohn einer lothringischen Mutter und eines deutschen Vaters wurde er im saarländischen Saarlouis geboren. Dieser persönliche Hintergrund mag entscheidend zum Interesse an grenzüberschreitender Arbeit und einer festen pro-europäischen Grundüberzeugung beigetragen haben. Die Bildungsarbeit ist dabei das eine, das Aufklären von Schicksalen und die Hilfestellung für nachforschende Angehörige das andere: „Wir haben immer noch Anfragen.“

Bernard Klein hat die gesamte Entwicklung der europäisch verankerten Einrichtung maßgeblich begleitet. Mit 40 Betten war man gestartet. Nach mehreren Erweiterungsschritten kann man mit dem 2019 eröffneten Neubau nun 100 Betten und moderne Tagungs-, Seminar- und Gruppenräume anbieten. Wenn Klein jetzt mit 62 Jahren ausscheidet, kann er der Corona-Pandemie wenigstens in einem Punkt Positives abgewinnen. Er halte sich nicht für unentbehrlich, aber das habe ihm einen gleitenden Übergang doch sehr erleichtert. Ein Neuer oder eine Neue stehe noch nicht fest, nur eines sei sicher: „Ich werde nicht mein eigener Nachfolger.“

Muss ihm, der fast täglich diese vielen Grabkreuze vor Augen hatte, nicht die gegenwärtige Situation in der Ukraine besonders nahe gehen? Er hat dazu eine ziemlich rationale Einstellung: „Ich bin überrascht, dass die Leute überrascht sind. Es war doch immer was. Über Armenien vor zwei Jahren hat man kaum Vergleichbares gelesen. Was ist mit Syrien, und waren die Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien vielleicht noch schlimmer?“ Neu sei diesmal allerdings, dass es einen Angreifer und einen Angegriffenen gibt, mithin einen Bösen und einen Guten.

Sorgen um Europa

Und Europa? „Natürlich wird weiterhin versucht, die deutsch-französische Zusammenarbeit zu beschwören. Aber geopolitisch besteht weiterhin eine starke Differenz. Wir sehen zwei Nationalstaaten, die trotz gemeinsamer Projekte und Interessen historisch begründete unterschiedliche Strategien haben.“ Und überhaupt stehe die europäische Integration eher still.

Bernhard Klein wohnt mit seiner Frau Stéphanie im kleinen Lohr nahe La Petite-Pierre in einem aus dem Jahr 1806 stammenden Haus, der Sohn und die ältere Tochter sind längst ausgezogen, die jüngere studiert noch. Dieses Haus hat auch mit seinem arbeitsintensiven Hobby zu tun. „Ich renoviere Häuser“, lautet die verblüffende Auskunft über sein zweites Standbein. Wohlgemerkt: richtig alte Häuser. Fünf besitzt er inzwischen. Zunächst habe seine Frau bei allen „nein“ gesagt. Wie etwa bei dem im Stadtkern von Bouxwiller. Aber alle sind nun zum Teil selbst saniert und vermietet.

Ein neues Leben

Das Glanzstück soll aber die vor fünf Jahren erworbene „Moulin du Saareck“ bei Oberstinzel werden. Die Mühle wurde 1367 erstmals urkundlich erwähnt und gehörte zum einstigen Besitz der adligen Schlossbesitzer Custine. Der Familie entstammte auch jener Revolutionsgeneral „Moustache“, der zunächst als Vorkämpfer der Revolution gefeiert wurde, Mainz, Speyer und Worms „befreite“ und die Festung Mannheim wegen der neutralen Haltung des Kurfürsten unbehelligt ließ. Zuletzt misstrauten die Republikaner dem Aristokraten doch. Anschuldigungen Marats und das Drängen Robespierres brachten ihn und auch seinen Sohn schließlich unter die Guillotine.

Das Gästehaus im Mühlengebäude funktioniere bereits, sagt Bernard Klein, jetzt soll in einem Nebengebäude ein kleiner Saal entstehen. Es klingt nach einem ausgefüllten „Ruhestand“. Fast wie aus einem anderen Leben.

15.850 tote Soldaten ruhen auf dem Gräberfeld neben der Begegnungsstätte.27 Jahre hat der überzeugte Europäer Bernard Klein von
15.850 tote Soldaten ruhen auf dem Gräberfeld neben der Begegnungsstätte.27 Jahre hat der überzeugte Europäer Bernard Klein von seinem Schreibtisch Begegnungen für den Frieden organisiert. Jetzt warten andere Aufbauarbeiten auf ihn.
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