Kulturelles Erbe Berliner Humboldt-Forum nun vollständig geöffnet

Sollen miteinander in Beziehung treten: die 1897 von Briten geraubten Benin-Bronzen auf einem stilisierten Altar im Humboldt-For
Sollen miteinander in Beziehung treten: die 1897 von Briten geraubten Benin-Bronzen auf einem stilisierten Altar im Humboldt-Forum und moderne Kunst aus Benin City in Nigeria von Victor Ehikhamenor (im Hintergrund).

20.000 Stücke aus aller Welt sind nun eingezogen: Ab heute ist das Berliner Humboldt-Forum vollständig geöffnet, die 8000 Quadratmeter der Ostflügel mit den zuvor noch unvollständigen Sammlungen aus Afrika, Asien und Amerika sind fürs Publikum bereit. Das Hauptaugenmerk wird sich aber zunächst auf zwei Räume richten: Sie sind den Benin-Bronzen aus Nigeria gewidmet.

Eine begehbare buddhistische Höhle, Mode aus Namibia, das Leben der Naga in Indien oder der Kwinti in Surinam, Omaha-Frauen, die vom ersten indigenen Ethnologen Nordamerikas erzählen, ein von Dürer inspiriertes „Goldhaus“, Amazonas-Geister aus Rindenbast, ein iranischer Derwischmantel, uralte Steinstelen aus dem heutigen Guatemala, aber auch bewusste „Leerstellen“: So viele Geschichten lassen sich nun entdecken, dass es mehrere Tage brauchen würde, allen gerecht zu werden.

Neu zu sehen: Die „Höhle der ringtragenden Tauben“ (China) im Ausstellungsbereich „Religiöse Architektur der nördlichen Seidenst
Neu zu sehen: Die »Höhle der ringtragenden Tauben« (China) im Ausstellungsbereich »Religiöse Architektur der nördlichen Seidenstraße« des Museums für Asiatische Kunst im Humboldt- Forum.

Eine Mammutaufgabe

Vielstimmig geht es zu, visuell bewusst uneinheitlich, etwas verkopft, dann wieder alle Sinne ansprechend: Aus dem Humboldt-Forum mehr als ein aufgehübschtes Völkerkundemuseum zu machen, ist eine Mammutaufgabe. Und wer als Besucher nur wenig Muße hat, mag angesichts von Begriffen wie „Schaumagazin“ und doch allerlei Vitrinen die Bemühungen nicht auf Anhieb erfassen. Doch wirken die neuen Flächen spürbar lebendiger und kooperativer als etwa die bereits 2021 eröffnete Ozeanienabteilung: Viele der neuen Ausstellungsmodule sind sichtlich gemeinsam mit Vertretern der Herkunftsgemeinschaften entstanden und sprühen vor Ideen.

Flickenmantel eines Derwischs (Iran) im Ausstellungsbereich „Aspekte des Islam“ des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum.
Flickenmantel eines Derwischs (Iran) im Ausstellungsbereich »Aspekte des Islam« des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum.

Die Museumsmacher stellen sich der Verantwortung, die koloniale Vergangenheit und die Sammlungsgeschichte des zuvor in Dahlem vor sich hin staubenden Ethnologischen Museums aufzuarbeiten. „Impulse geben für ein gerechteres und friedlicheres Miteinander“, nennt dies Hartmut Dorgerloh, der Generalintendant des Humboldt-Forums, während Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gar eine „Lerngemeinschaft zur Weltverbesserung“ beschwört.

Leerstellen ausstellen

Manches dauert da noch, darum ist der erste neue Afrika-Raum recht karg. „Leerstellen ausstellen“, heißt es hier: Bei den Stücken aus Tansania – rund 10.000 gibt es – sei noch offen, „ob das Einverständnis für ihre Präsentation“ bestehe. Und so ist der „Stuhl einer Würdenträgerin“ aus Buruku nur als weißer Umriss auf einer Glasfläche präsent, ein Ohrpflock eines Herrschers aus Marangu und eine Statue gibt es als 3D-Druck. Dazu wird hinterfragt, wie damalige Sammler wohl an die Stücke kamen. Nach und nach sollen sich die Leerstellen füllen, wobei nicht nur Berliner Kuratoren und Vertreter Tansanias beteiligt sind, sondern auch das Publikum.

Auch die Namibia-Abteilung zeigt keine Originale aus Dahlem. Man habe sich dagegen entschieden, es sei nicht zeitgemäß, sagt Co-Kuratorin Ndapewoshali Ndahafa Ashipala vom namibischen Museumsverbund und zeige lieber aktuelle, von den Kunstschätzen inspirierte Mode. 23 der 1400 Berliner Objekte aus Namibia sind inzwischen zurück in Namibia.

Eine Botschaften des Prinzen

Die neue Benin-Präsentation wiederum beginnt mit Videobotschaften. „Je mehr wir unsere Vergangenheit verstehen, desto besser können wir unsere Zukunft gestalten“, sagt Prinz Aghatise Erediauwa. An einem Bildschirm können sich Besucher durch die 512 Objekte aus dem im heutigen Nigeria gelegenen Königreich klicken. Seit 25. August gehören sie alle offiziell Nigeria. 168 Stücke hat das Humboldt-Forum aber für zunächst zehn Jahre als Leihgaben bekommen und darf sie zeigen. Die übrigen verbleiben im Depot, bis klar ist, welche Objekte wo in Nigeria ausgestellt werden sollen. Zwei Museen seien im Bau, ein drittes, königliches ist angedacht, berichtet Abba Isa Tijani, Generaldirektor der nationalen Kommission für Museen und Denkmäler Nigerias. Zwischen den Zeilen ist herauszulesen, dass da intern noch viel Diplomatie nötig ist. Die Zusammenarbeit mit dem Humboldt-Forum aber lobt er im Gespräch am Rande der Eröffnung über den grünen Klee.

In der Abteilung „Das Königreich Berlin“ zu sehen: Gedenkkopf eines Königs (Nigeria) im Ethnologischen Museum im Humboldt Forum.
In der Abteilung »Das Königreich Berlin« zu sehen: Gedenkkopf eines Königs (Nigeria) im Ethnologischen Museum im Humboldt Forum.

Auf einem stilisierten Altar stehen nun sechs Benin-Bronzen: königliche Gedenkköpfe, einst im Palast des amtierenden Oba (König) platziert als Erinnerung an die Vorgänger, dazu sind Reliefplatten zu sehen. Die ersten Bronzen, die in Wahrheit Messinggüsse sind, kamen im Königreich Benin im 13. Jahrhundert auf. Beim britischen Angriff 1897 wurden die meisten geraubt und in alle Welt verkauft. „Sie sind der Schlüssel zu unserer Identität“, sagt Tijani. Größere deutsche Bestände gibt es auch in Hamburg, Köln und Stuttgart, hier soll bis Jahresende jeweils eine Vereinbarung wie mit Berlin folgen: Alle Stücke gehören dann formal Nigeria, viele bleiben aber vor Ort. „Wir wollen kein Vakuum erzeugen, die Stücke sollen weiter hier ausgestellt werden“, sagt Tijani. Verträge mit anderen Häusern wie den Mannheimer Reiß-Engelhorn-Museen, wo 29 Benin-Objekte identifiziert wurden, würden folgen.

Die Thronhocker

Die Berliner Benin-Räume zeigen auch koloniale Fotos, ebenso einzelne Schaustücke, deren stilisierte Karteikarten teils allerdings mit Zeilen wie „gesammelt 1897 in Nigeria von Sir Ralph Moor“ doch eher unsensibel klingen, schließlich war Moor später Hochkommissar des britischen „Protektorats Süd-Nigeria“: So beschrieben sind die beiden Thronhocker, die 1938 der damals amtierende Oba Akenzua II. bereits zurück gefordert hatte. Er bekam Kopien. Nun sollen die Originale bald nach Nigeria gehen.

Noch sollen sie in Berlin aber durchaus auch mahnend in Beziehung treten zu aktueller Kunst aus Benin City: einem noch hell leuchtenden Relief von Phil Omodamwen etwa, das eine koloniale Fotografie umdeutet. Eine Textilinstallation mit Plastik-Rosenkränzen von Victor Ehikhamenor spielt darauf an, dass der Oba auch heute noch oberster Priester ist. Und die Künstlerin Taiye Idahor setzt sich mit weiblichem nigerianischen Kopfschmuck auseinander. Ein wenig nüchtern wirkt das Ganze dennoch, die Betrachter müssen sich einlassen wollen. Die sich anschließende Präsentation des Amazonasgebiets im Stil eines riesigen Rundhauses wirkt da anregender. Die indigenen kolumbianischen Co-Kuratorinnen haben offenbar andere Vorlieben als das nigerianisch-deutsche Team. Aber das ist eine der vielen anderen Geschichten.

Das Museum

Humboldt-Forum, Schloßplatz 1, U-Bahn: Museumsinsel; www.humboldtforum.org

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