Kultur Anfang mit einer magischen Fliege

Hitparaden gelten als Trendbarometer. Doch musikalischen Erfolg zu messen, ist in Zeiten von Streaming-Diensten und Download-Portalen komplizierter geworden. Heute wird die offizielle Bestenliste 40 Jahre alt.

Die historisch erste Nr. 1 war ein Lied ohne Text. „Magic Fly“ von der französischen Band Space, der später auch Daft Punk huldigten, lief in Discos rauf und runter. Am 29. August 1977, vor 40 Jahren, stürmte das Stück an die Spitze der ersten Offiziellen Deutschen Charts. Schon vor 1977 gab es Hitparaden, in der Zeitschrift „Automatenmarkt“, später in der Fachpublikation „Musikmarkt“, erzählt Mathias Giloth, Chef der Firma GfK Entertainment in Baden-Baden. Sie produziert seit vier Jahrzehnten die Offiziellen Deutschen Charts. „Der 29. August 1977 markiert einen Meilenstein, denn ab da wurden die Charts im Auftrag des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft – heute Bundesverband Musikindustrie erstellt“, sagt er. Seither hat sich das Kaufverhalten von Musikliebhabern geändert, auch durch den digitalen Wandel. Heute werden die Charts aus den Umsätzen von 2800 Händlern errechnet, zusätzlich fließen Internetverkäufe ein oder Downloadzahlen. Auch die Nutzung von Streaming-Diensten wird einbezogen. „Viele denken, man braucht nur auf einen Knopf zu drücken. Dabei ist die Methodik sehr komplex“, sagt Giloth. 90 Prozent des Musikmarkts seien mit dem Verfahren abgedeckt. An der wöchentlichen Bestenliste kamen früher weder Fans noch Künstler vorbei. TV-Shows wie „Hitparade“ oder „Formel Eins“ heizten die Leidenschaft der Fans von ABBA, Michael Jackson oder Boney M. weiter an. „Man hat den Sendungen entgegengefiebert, weil man sehen wollte, auf welchem Platz der eigene Liebling steht“, erzählt Sebastian Zabel, Chef der deutschen Ausgabe des Musikmagazins „Rolling Stone“. Heute haben die Charts als kollektives Ereignis an Bedeutung verloren: „Die jüngere Generation hat einen viel schnelleren Umschlag beim Austausch von Musik – da bilden sich andere, informelle Charts“, sagt Zabel. Trotzdem seien die Listen auch heute noch Trendmesser. „Man kann gewisse Grundlinien erkennen. So ist erstaunlich, dass zum Beispiel neben Helene Fischer oft düsterer Rock vertreten ist. Auch der Siegeszug von elektronischem Pop ist mit den Charts klar zu belegen“, meint der deutsche „Rolling Stone“-Chef. Hitlisten bieten Orientierung. Musiker können sehen, wie sie im Vergleich zu Kollegen dastehen. Und die Platzierungen beeinflussen, was im Radio gespielt wird und welche Werke im Handel prominent angeboten werden. „Die Rekorde der Charts sind fast allesamt in deutscher Hand“, zählt Giloth auf. Kein Album habe sich so lange in der Liste gehalten wie Andrea Bergs „Best Of“ (349 Wochen), und kein Künstler habe so viele Nummer-1-Alben herausgegeben wie Peter Maffay (17 Stück). Und Helene Fischer? „Sie landete drei Mal hintereinander das erfolgreichste Album des Jahres“, sagt der GfK-Chef. „Das ist unerreicht.“ Und wie sieht die Zukunft aus? Der Handel in den Geschäften werde zumindest in den kommenden Jahren weiter eine wichtige Rolle spielen, sagt der 45-Jährige. Größter Wachstumstreiber sei aber das Streaming, das allein 2016 um rund 73 Prozent gewachsen sei. Was aus Giloths Sicht gleich bleiben wird: Manche Erfolge lassen sich vorhersagen, andere nicht. „Letztlich entscheidet der Konsument, was ihm gefällt“, meint Giloth. „Das ist das Spannende.“

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