Medien Alles Lüge? Wie sich Falschnachrichten aufspüren lassen

Stimmt das wirklich? Gerade per WhatsApp-Botschaften verbreiten sich heutzutage Neuigkeiten, die nicht unbedingt stimmen. Den Ur
Stimmt das wirklich? Gerade per WhatsApp-Botschaften verbreiten sich heutzutage Neuigkeiten, die nicht unbedingt stimmen. Den Urheber ausfindig zu machen, hilft dabei, mögliche Fakes zu enttarnen.

Fake News, Desinformation und Verschwörungsmythen beeinflussen die öffentliche Meinung und manipulieren Nutzer. Falschinformationen werden dabei vermehrt über Messenger wie WhatsApp oder Telegram verbreitet. Wie erkennt man Lügen im Netz? Welche Absichten stecken hinter gezielten Falschmeldungen? Ein Überblick.

Wer im Netz aktiv ist, trifft nahezu zwangsläufig auch auf problematische Inhalte: Falschmeldungen, Verschwörungserzählungen, vorgetäuschte Graswurzelbewegungen mittels Social Bots. Auch gibt es gekaufte Likes, gefälschte Social-Media-Konten oder organisiertes Trolling (das Verfassen bewusst provozierender Texte), ebenso visuelle Memes à la „Wir sind der Virus“ oder nicht gekennzeichnete Werbung. Gezielt gestreute Falschmeldungen sind zwar kein originäres Phänomen des Internetzeitalters, aber in der digitalen Welt allgegenwärtig und leichter zu platzieren. Darüber hinaus wird es angesichts der Flut von Nachrichten, die kursieren, immer schwieriger, zu erkennen: Welche Informationen sind wahr, welche falsch?

Laut Schätzungen surfen weltweit rund 4,5 Milliarden Personen auf über 1,8 Milliarden Webseiten. Jeden Tag sollen im Schnitt allein 100 Milliarden WhatsApp-Nachrichten verschickt werden. „Nie in der Geschichte der Menschheit hatten wir die Möglichkeit, so viele Informationen zu bekommen. Leider sind viele Informationen nicht korrekt“, warnt Marc Jan Eumann, Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz. „Desinformation hat ein Ziel: Sie will mich als Menschen manipulieren. Sie will die Gesellschaft, in der ich lebe, manipulieren. Und sie will vor allem unsere Demokratie gefährden. Deswegen müssen wir alle wachsam sein und Desinformation bekämpfen, indem wir genau hinschauen.“

Das Wissen über soziale Medien, ihre Funktionsweisen und Prinzipien, ist heute essenziell, ebenso die Unterscheidung von Journalismus und interessengesteuerter Meinungsmache. „Journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote können vielfältige Erscheinungsformen haben. So können zum Beispiel Internet-Zeitungen, Newsletter, YouTube-Kanäle, Blogs und Vlogs, Podcasts und auch Social-Media-Profile damit gemeint sein“, zählt Eumann auf. „Das Merkmal journalistisch-redaktionell meint die journalistische Arbeitsweise: Informationen zu recherchieren, auszuwählen, zusammenzustellen und in Zusammenhänge einzuordnen. Dabei muss die Redaktion unabhängig von den Interessen derjenigen arbeiten, um die es inhaltlich geht.“

Pflicht zur Sorgfalt

Der Paragraf 19 des Medienstaatsvertrages (MStV) sieht vor, dass Anbieter Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit gebotener Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit prüfen und dass bei der Wiedergabe von Meinungsumfragen ausdrücklich angegeben wird, ob diese repräsentativ sind. „Bürger müssen sich auf Quellen verlassen können. Dies gilt umso mehr im Internet bei Angeboten, die wie klassische Angebote daherkommen und so Vertrauen wecken“, betont Eumann. „Unser Auftrag ist es, den Prozess der freien Meinungsbildung zu schützen.“

Hartnäckige Gerüchte

Welch gravierende Folgen Fehlinformationen haben können, erfuhr die japanische Medizinjournalistin Riko Muranaka. In Japan litten in etwa doppelt so viele junge Frauen an Gebärmutterhalskrebs als in den USA, woraufhin die japanische Regierung 2013 ein nationales Impfprogramm gegen den Auslöser, Humane Papillomviren, startete. Direkt danach tauchten im Internet Videoclips auf, die Mädchen mit Gehstörungen und Verrenkungen zeigten – angebliche Nebenwirkungen der Impfung. Innerhalb weniger Monate brach ein funktionierendes Vorsorgesystem ein. Obwohl Muranaka die Videos als Fälschungen entlarvte, wurde das Impfprogramm nicht wieder aufgenommen. Das Fatale: Sind Fehlinformationen erst einmal in der virtuellen Welt, sind sie kaum mehr zu widerlegen. Verschwörungserzählungen sind meist in sich unschlüssig und stehen im Widerspruch zu belegten Daten oder sogar Naturgesetzen – aber sie bieten simple Erklärungen für komplexe Zusammenhänge an und vermitteln so ein Gefühl von Sicherheit. In Krisenzeiten – wie der Covid-19-Pandemie – für viele ein Segen.

Poldis Mutter?

Das Recherchezentrum „Correctiv“ analysierte 2020 mehr als 1800 Hinweise von Lesern zu möglicher Desinformation über das Coronavirus. Das Ergebnis: WhatsApp gilt in Deutschland als Hauptkanal, über den Falschnachrichten, oft als Videos, verbreitet werden. Der Austausch findet hauptsächlich zwischen Freunden, Bekannten und in der Familie statt, also unter Menschen, denen man tendenziell besonders vertraut oder glaubt. So wurde im März 2020 die Sprachnachricht von „Elisabeth, die Mama von Poldi“ in Deutschland über WhatsApp verbreitet. Angeblich sollte die Uniklinik in Wien herausgefunden haben, dass Ibuprofen die Gefahr erhöhe, schwer an Covid-19 zu erkranken. Trotz aller Dementis der Forscher verunsicherte diese Nachricht viele Menschen und wurde, auch nach der Richtigstellung, weiterhin geglaubt.

Auf den Urheber achten

„Manchmal unterscheiden sich Fake News auf den ersten Blick kaum von echten Nachrichten, das ist ja das perfide“, beobachtet Malte Werner von Netzwerk Recherche, einem Verein mit Sitz in Berlin, der die Fahne des Qualitätsjournalismus hochhält. „Wichtig ist, sich anzusehen, welcher Account die Meldung verbreitet beziehungsweise wer der Urheber der Nachricht ist. Verweist ein Posting auf eine Meldung aus klassischen Medien oder von Behörden, kann man – zumindest hierzulande – ziemlich sicher sein, dass es sich nicht um Fake News handelt.“

Heikel kann es mitunter bei Botschaften werden, die Influencer verbreiten. Sie können sich das Phänomen der Vertrautheit zunutze machen. „Mit den Influencern ist eine neue Gruppe von Medienproduzenten auf den Plan getreten. Deren Geschäftsmodell besteht in dem Versprechen von Authentizität und persönlicher Nähe und dem Vorleben eines begehrten Lebensstils“, beobachtet Eumann. „Einige Influencer sind daher besonders anfällig für die Übernahme von Werbe- und PR-Botschaften ohne Kennzeichnung.“ Die Medienanstalt setze hier auf Dialog, damit solche Regelverstöße vermieden werden können. Dazu zählt der im Juni aktualisierte Leitfaden „Werbekennzeichnung bei Online-Medien“ der Medienanstalten, der Hilfestellungen zu den rechtlichen Kennzeichnungspflichten bei Werbung in Angeboten wie Instagram, TikTok oder Twitch sowie Blogs und Podcasts enthält. Aktuell versucht die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) mit einer Studie herauszufinden, wie werbliche Botschaften gestaltet sein müssen, damit das Schutzbedürfnis von Kindern gewahrt bleibt.

Auf Zusammenhänge achten

„Das Netz ist nur so gut wie wir, die wir es benutzen“, glaubt wiederum der Social-Media-Experte Felix Beilharz. In seinem Buch „#Fake“ beschreibt er unterschiedliche Formen von Fake News. So gibt es frei erfundene Aussagen wie die 2017 kursierende Nachricht, in Burgern einer Fastfood-Kette sei Menschenfleisch gefunden worden. „Das ist einfach Blödsinn und entbehrt jeglicher Grundlage“, warnt Beilharz. „Dann gibt es aber auch Fake News, die einen wahren Kern haben, in ihrer Gesamtheit aber nicht stimmen.“ Problematisch findet er es etwa, wenn Bilder in einen falschen Kontext gesetzt werden: „So wurde 2020 ein Bild von glühwein-trinkenden Politikern verbreitet mit der Behauptung, dass ,die da oben’ es sich gut gehen lassen, während ,wir’ in den Lockdown müssen“, erinnert sich Beilharz. Das Bild ist echt – stammt allerdings aus dem Jahr 2019.

Seit 20 Jahren als Online- und Social-Media-Berater tätig, kennt Beilharz digitale Manipulations-Tricks: Postings zu Armin Laschet und Annalena Baerbock mit angeblichen Zitaten der Kanzlerkandidaten, die diese jedoch nie getätigt haben. Oder verzerrte Fotos von Ansammlungen Demonstrierender, die die Menge je nach Absicht größer oder kleiner aussehen lassen als sie es waren.

Und wer steckt dahinter? Für das Erstellen von Desinformationen gibt es zahlreiche Gründe. „Zum einen kann es sich um ökonomische Interessen handeln, entweder um Produkte zu verkaufen oder um Aufmerksamkeit auf eigene Internetseiten zu lenken und diese dann durch Werbung zu monetarisieren“, sagt Politikwissenschaftler Andreas Jungherr von der Universität Bamberg und verweist auf die vielen gut gemachten Fake-Shops.

„Oder aber es kann sich um das Streuen von Zweifeln an Maßnahmen oder Autoritäten handeln, die man von vornherein ablehnt. Hier geht es dann nicht um die Überzeugungskraft einer einzelnen Information, sondern um die Stützung eines dahinter liegenden Weltbildes. Desinformation ist somit nicht Element der Überzeugung, sondern Ausdruck einer Identität.“

Viele gezielte Falschmeldungen stammen, so Werner von Netzwerk Recherche, aus regelrechten Fake-News-Fabriken, zum Beispiel aus dem Balkan oder aus Russland. „Diese Leute denken sich Geschichten aus, die die Menschen interessieren könnten – etwa eine neue Verrücktheit von Ex-US-Präsident Trump. Mit jedem Klick auf ihre Geschichte verdienen sie durch Werbung Geld“, verrät Werner. Im Falle Russlands dürfe man auch annehmen, dass es bei dem Tun „um die Desensibilisierung der westlichen Mächte, etwa durch gezielte Eingriffe in den Wahlkampf, geht.“

Die Faktenchecker

Wie erkennt man Fehlinformationen? Beilharz hat eine einfache Faustregel: „Wenn etwas zu gut erscheint, um wahr zu sein, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einfach nicht wahr. Ganz wichtig ist auch, sich seiner eigenen, kognitiven Verzerrungen bewusst zu werden. Gerade wenn eine Aussage perfekt zum eigenen Weltbild passt, ist die Gefahr groß, auf einen Fake hereinzufallen.“

Wenn man bei einer Nachricht misstrauisch ist, empfiehlt Eumann, auf Faktencheck-Seiten wie „Correctiv“ oder „#Faktenfuchs“ nachzusehen. Wenn Fake News im Netz kursieren, gibt es möglicherweise schon Gegendarstellungen von diesen Services. „Das Wichtigste ist immer der eigene Kompass, der gesunde Menschenverstand, und eine Kombination aus Lernen, neugierig sein und Medienkompetenz“, glaubt er. Das Positive: „Jeder kann mit den Möglichkeiten des Internets die wichtigsten Merkmale einer Information prüfen: Ist die Herkunft einer Information unklar, der Inhalt nicht mit Fakten und deren Quellen belegt, sind die Bilder aus einem anderen Zusammenhang kopiert und das Ganze bei näherem Hinschauen möglicherweise veraltet, dann ist Misstrauen angebracht.“ Das gilt auch für die anstehende Bundestagswahl.

„Manipulative Inhalte, Fake News und Desinformationen sind auch in Wahlkämpfen in Deutschland und Europa ein Problem. Dabei sind naturgemäß die Absender von Desinformation oft schwer zu identifizieren“, weiß Eumann, von 2010 bis 2017 Staatssekretär für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen. „In den Medienanstalten beobachten wir diese Entwicklung. Unabhängig davon lassen wir erforschen, wie die Parteien Social Media im Bundestagswahlkampf einsetzen.“

 

Zum Weiterlesen

Felix Beilharz: „#Fake. Wie du gefährliche Lügen, Abzocke und Gefahren im Internet erkennst, durchschaust und meidest“; NovaMd; 353 Seiten; 20 Euro.

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