Kultur Alles albern

Entfesselt: Thomas Niehaus (vorne) und Paul Schröder als Telegonos und Telemachos.
Entfesselt: Thomas Niehaus (vorne) und Paul Schröder als Telegonos und Telemachos.

Wann ist ein Theaterabend gelungen? Was macht eine gute Inszenierung aus? Jedes Kritisieren und Bewerten hat mit Vorlieben, Vorwissen und Erfahrungen zu tun, auch mit der eigenen Stimmung. Die, wenn man so will, höchste Instanz der Theaterwelt ist das „Berliner Theatertreffen“, 56 Jahre alt ist es. Eine Jury aus Theaterkritikern lädt nach viel Sichtungsarbeit jedes Jahr zehn Inszenierungen zu dem Festival ein. Nicht die zehn besten, sondern „zehn bemerkenswerte“. Im vergangenen Jahr war „Die Odyssee“ dabei, die Antú Romero Nunes am Hamburger Thalia Theater inszeniert hat. Das Publikum war begeistert – besser gesagt: der Teil des Publikums, der bis zum Ende der Vorstellung geblieben ist. Mit ein bisschen Recherche vorab hätten die Ludwigshafener, die exakt genauso gespalten reagiert haben, wissen können, was auf sie zukommt. Wer nicht nur den Namen des Stückes gelesen hat, „Die Odyssee“, sondern auch den Untertitel, hatte mindestens geahnt, dass das ein ganz schön schräger Abend wird: „Eine Irrfahrt nach Homer.“ Und dann musste man auch bereit sein, den Zauber auf sich wirken zu lassen, ohne nach einem tieferen Sinn zu suchen. Was viel verlangt war, zugegeben. Eine Bühne, zwei Brüder, zwei Stunden, keine (Atem-)Pause. Die Brüder sind Telegonos (Thomas Niehaus) und Telemachos (Paul Schröder). Es sind die Söhne des Kriegshelden Odysseus, sie treffen sich zum ersten Mal bei der Beisetzung ihres Vaters. An seinem Sarg, in dem sich in Wahrheit nur ein weißer Luftballon befindet – der später erschossen werden wird – lernen die beiden einander kennen, erfahren und erinnern sich gemeinsam seiner Heldentaten. Der Mann, dessen Bildnis im Hintergrund an der Wand hängt, ist Kirk Douglas. In einem Hollywood-Film von 1954 hat der hier ziemlich skeptisch dreinblickende Schauspieler einst den Odysseus gespielt. Homers Geschichte selbst ist zu Ende erzählt, man kann sie nicht (mehr) inszenieren, sagt uns dieses Bild. An die Stelle des Kriegshelden ist eine Ikone der Popkultur getreten. Um erst gar keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass er außer dieser Botschaft nicht viel zu sagen hat, lässt der Regisseur Romero Nunes die Brüder die kompletten zwei Stunden ein ebenso abgedrehtes wie anstrengendes Fantasieskandinavisch sprechen, von dem nur Fetzen zu verstehen sind: Tuba, Papa und so. Und dann beginnt der ganz große Klamauk. Die Brüder ergehen sich hemmungslos in Tubatrockenübungen, überbieten sich im Reiswaffelaushusten, im Seifenblasenpusten, im Butterbrottütenknallenlassen, sie wälzen sich über den Boden wie Sumo-Ringer, sauen entfesselt mit Kunstblut herum, und am Ende gibt es ein großes Kettensägenmassaker im Publikum. Der brüderliche (nicht symbolische, sondern tatsächliche) Schwanzvergleich geschieht mit dem Rücken zu den Zuschauern und ohne Sieger. Ein Running Gag ist das ständige Desinfizieren der Hände. Gaga ist das alles, megagaga. Natürlich gibt es auch ein paar Anspielungen auf Homer. Die Zaubertricks zum Beispiel, die gezeigt werden. Schließlich ist Telegonos der Sohn der Zauberin Kirke. Aber eine Geschichte wird damit nicht erzählt, Zitate aus der griechischen Mythologie stehen völlig gleichberechtigt neben Anspielungen auf die Kino- und Popkultur. Der Soundtrack von „Spiel mir das Lied vom Tod“ wird gespielt und der Song „Maschin“ von der österreichischen Band Bilderbuch. Der tiefere Sinn? Nicht vorhanden. Es ging dem Regisseur offenkundig ganz einfach um die Lust am Spiel, und die beiden wirklich grandiosen Schauspieler spielten mit. Wenn man einmal akzeptiert hatte, dass das alles einfach albern war, dann konnte man an diesem Abend seinen Spaß haben. Dann war es eben kindisch, na und? Denn der Mensch ist nicht nur ein intellektuelles Wesen, sondern auch ein homo ludens, der Spielende, der sich an Seifenblasen und verschluckten Bällen erfreuen kann. Aber, und das darf man auch nicht verschweigen, der Eindruck des Abends war so oder so ganz schnell verflogen. Eine Inszenierung, die den Betrachter aufwühlt, noch lange beschäftigt, verstört, zum Nachdenken bringt? Das war diese „Odyssee“ nicht. Und das Ludwigshafener Publikum? Darf sich auf den nächsten Klassiker freuen, der ordentlich durch den Wolf gedreht worden ist. Am 31. Mai und 1. Juni gastiert das Theater Basel mit Ulrich Rasches Inszenierung von Georg Büchners „Woyzeck“. Mit der Arbeit war der Regisseur ebenfalls im vergangenen Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen …

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