Kultur Albert Ostermaier: „Sie werden Putin erkennen und Erdogan“

„Es ist ein sehr politisches Stück geworden“, sagt Dramatiker Albert Ostermaier über seine dritte und letzte Arbeit für die Worm
»Es ist ein sehr politisches Stück geworden«, sagt Dramatiker Albert Ostermaier über seine dritte und letzte Arbeit für die Wormser Nibelungen-Festspiele.

Interview: „Glut“ von Albert Ostermaier ist im August bei den Nibelungen-Festspielen in Worms zu sehen. In dieser Woche haben die Proben begonnen. Am Rande sprach Birgit Möthrath mit dem Münchener Autor darüber, was eine Episode aus dem Ersten Weltkrieg mit den Konflikten im Nahen Osten und mit dem mittelalterlichen Epos um den Drachentöter zu tun hat.

Herr Ostermaier, „Unter Wüstensöhnen“ heißt die Studie von Veit Veltzke, in welcher der Historiker eine vergessene Episode deutscher Kolonialgeschichte aufgearbeitet hat. Was hat Sie daran so fasziniert, dass Sie sie in Ihr Stück „Glut“ eingebaut haben?

Ich habe mich schon immer fasziniert mit der Geschichte des Nahen Ostens auseinandergesetzt. Und dann kommt man nahezu automatisch zur Zeit des Ersten Weltkriegs 1914/1915, in der man wirklich wie unter einem Brennglas die ganzen Konflikte von heute sehen kann. Bei meiner Recherche bin ich auf dieses faszinierende und brillant geschriebene Buch gestoßen. Viele der Geschichten darin kannte ich schon. Und beim Lesen sind mir im Hintergrund die ganzen Nibelungenmotive angeklungen. Das ist ja genau die Zeit, in der der Nibelungenstoff, genauso wie Wagner, zu diesem populären Mythos wurde und auch in Verbindung gebracht wurde mit militärischen Aktionen. Da habe ich gedacht, es ist zwingend, diese Expedition und den Nibelungenstoff zusammenzubringen und daraus eine Geschichte zu machen. Die erste Fassung des Stücks, die – glaube ich – 300 Seiten lang war, blieb sehr nahe an den historischen Episoden und an dem, was ich über das Buch hinaus recherchiert hatte. Aber dann musste ich kondensieren, verdichten, konzentrieren. Da hat sich manches von den reinen Fakten emanzipiert – das muss ja auch so sein. Dann heben Sie mehr auf die Rezeptionsgeschichte ab und weniger auf die eigentlichen Themen der Nibelungen? Oder was hat die Geschichte eines Trupps deutscher Offiziere, die 1915 im Stil von Lawrence von Arabien einen Guerillakrieg gegen die Feinde des Kaiserreichs führten, mit dem mittelalterlichen Nibelungenstoff zu tun? Es ist schon beides. Ich beziehe mich auf die Rezeption des Nibelungenstoffs in der Zeit des Ersten Weltkriegs, der natürlich eine Rolle spielt, weil sich die Figuren in diesem Kontext bewegen. Aber das Stück ist auch sehr nah an den Konflikten der Nibelungen und an ihren Figuren. Es sind zwar Figuren von 1915, aber sie werden immer virulenter zu Figuren der Nibelungen. Der Mythos ergreift Besitz von ihnen. Deswegen wird man alles wiedererkennen, was entscheidend ist im mittelalterlichen Stoff. Intendant Nico Hofmann hat ja gesagt, man kann nicht jedes Jahr nur Hebbel auf die Bühne bringen. Aber ist die Kombination nicht ein wenig zu krude: Deutsche Spione um Hauptmann Klein reisen als Nibelungen mit der Bagdad-Bahn an den Persischen Golf ? Sie werden sehen und überrascht sein, dass es wirklich null aufgesetzt oder herbeigeholt wirkt, sondern, dass es absolut sinnfällig ist. Und es war ja wirklich so: Die Gruppe, die die britische Ölpipeline sprengen sollte, war tatsächlich als Theatertruppe verkleidet. Das ist historisch verbürgt. Abgesehen davon gibt es ja nicht wirklich einen Nibelungenzwang für die Wormser Festspiele. Da wurde ja auch schon „Jud Süß“ und was alles gespielt. Ich hätte alle Freiheit gehabt, aber ich habe mich entschieden, nahe am Nibelungenmythos zu bleiben. „Glut“ ist sogar sehr genau an den Nibelungen gearbeitet. Sie sagten, dass die Figuren denen der Nibelungen entsprechen. Hauptmann Klein ist wohl Hagens alter ego. Wo sehen sie Parallelen zwischen beiden? Mein Hauptmann Klein entspricht natürlich nicht dem historischen Vorbild. Aber es ist auch zu kurz gegriffen, Hagen nur als Bösewicht zu identifizieren. Hagen ist ja einer, der in einem sozialen und politischen Kontext steht, in einem Treueversprechen. Und wenn man die Codices des Militärs sieht, dann ist er auch jemand, der versucht, in seinem Handlungsspielraum Befehle optimal umzusetzen, für das Ganze und die Idee zu agieren. Ähnlich hat Hauptmann Klein das Ziel, die englischen Pipelines in die Luft zu sprengen und den Dschihad zu mobilisieren. Die Mission war ja ein absoluter Erfolg – wenn man bedenkt, was die damals investiert haben und wie groß der Schaden für die Engländer war, der militärische und der finanzielle. Beide sind in den Konflikt gekommen, als Amtsperson oder als Privatperson zu entscheiden. Natürlich gab es im Mittelalter weniger persönliche Freiheiten. Mein Hagen ist weniger machtbesessen und die Apokalypse hervorrufend. Er hat sehr reflektierte Momente und Zweifel und will eigentlich für eine andere Lösung kämpfen. Es wird ein überraschender Hagen sein. Es ist ja Ihr letztes von drei Stücken für die Nibelungen-Festspiele. Waren Sie da nicht versucht, ganz aktuelle Bezüge herzustellen etwa zum Nationalismus eines Donald Trump? Na ja, das werden Sie alles sehen. Durch diesen Rückgriff auf 1915 werden auf verblüffende Art alle politischen Konflikte unserer Gegenwart sichtbar. Sie werden Putin erkennen und Erdogan. Ganz deutlich wird die Auseinandersetzung mit Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Genozid, aber nicht so, dass ich mit dem Holzhammer ausholen müsste. Jedes Jahr wechseln die Nibelungen-Festspiele das Genre. Die Ansichten von einem Filmdreh bei Ihrem Stück „Gold“ 2016 wirkten wie eine groteske Revue, dieses Jahr soll erstmals Wagner erklingen. Wie hat man sich „Glut“ vorzustellen: als einen Mix von Agententhriller, Zirkus und Oper? Ich weiß ja nicht, wie Nuran David Calis inszenieren wird, aber von der Ästhetik ist das Stück eigentlich wie ein Wes-Anderson-Film. Vielleicht haben Sie „Grand Budapest Hotel“ gesehen. „Glut“ hat sehr filmische Elemente, es ist natürlich ein Agententhriller, der aber zunehmend – verbunden mit Wagner – seine Anschärfung erhält. Es ist ein sehr politisches Stück geworden – keine Farce, dazu ist es zu ernst. Es ist auch kein Historienstück. Ich arbeite mit vielen Genres und diesen forcierten Elementen, die wir schon im vergangenen Jahr hatten: Tempo, Witz, Komik, Anarchie. Das Stück beginnt als Komödie und kippt dann doch in die Tragödie. Jeder hat seinen Preis zu zahlen. In „Grand Budapest Hotel“ gibt es ja auch die Elemente von Exil und Diktatur – da wird das Politische nicht geschönt oder weggeglättet. Obwohl man sich amüsieren kann, hat man auch die Momente, in denen einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Noch ein kurzer Blick auf den Wettbewerb für jungen Autoren, der zum Thema Rache ausgeschrieben war: Sie haben sich Ende Mai mit den fünf Nachwuchsdramatikern getroffen. Was gibt es davon zu berichten? Es war wieder einmal sehr spannend, dass es für diesen Nibelungenstoff – und Sie wissen ja, wie lange ich mich damit schon auseinandersetze – noch einmal ganz neue Zugänge gibt. Und für mich persönlich war es besonders spannend, wie sich ein Stück mit der persönlichen Geschichte verbindet. Nach dem Lesen der Texte hat man eine gewisse Vorstellung, wie sich das Stück weiterentwickeln kann, wie derjenige ist, der es geschrieben hat. Dann trifft man die Autoren und lag vielleicht komplett daneben. Karten www.nibelungenfestspiele.de

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