Kolumne Rustikales vom Reiterhof

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Wie Urlaub auf dem Reiterhof geht, wusste ich bislang nur aus „Hanni und Nanni auf dem Reiterhof“, das ich als Kind gerne gelesen habe. Mit Pferden hatte ich nichts am Hut, habe es bis heute nicht. Nicht, dass ich sie ablehne oder so, ich möchte nur einfach nicht auf ihnen sitzen und rumreiten, und die Pferde wollen das, glaube ich, auch nicht so gerne. Wie dem auch sei: Hanni und Nanni fand ich toll, es war mir egal, wo sie ihren Urlaub verbrachten, es hätte auch ein Bootcamp für problematische Jugendliche in den USA sein können. Aber „Hanni und Nanni in Camp Consequence, Jacksonville, Florida“ passte wohl nicht so ganz zu den Abenteuern, die die kecken Sullivan-Zwillinge ansonsten so erlebten.

Das Kind verschwindet im Stall

Seit vergangener Woche weiß ich nun auch, wie Urlaub auf dem Reiterhof in echt geht. Das kam so: Aus dem geplanten Schottland-Urlaub wurde nichts, erst mal zwei Wochen in Quarantäne wollte dann doch keiner, und weil das Kind so gerne reitet, wurde kurzfristig eine Woche Urlaub auf einem Reiterhof im Fränkischen gebucht. Ein Volltreffer. Das Kind stieg aus dem Auto und sieben Tage später wieder ein, die restliche Zeit verbrachte es auf Pferden oder mit Pferden im Stall, es sammelte Pferdeäpfel auf und wusch versabberte Maultrensen aus, ohne mit der Wimper zu zucken oder „Iiieh, wie eklig!!!“ zu rufen, was sonst bereits beim Anblick eines Blumenkohls passieren kann.

Viel Zeit für Details

Wir Eltern hatten also genug Luft, uns um die Details des Aufenthalts zu kümmern, zu denen beispielsweise das Auffüllen des Ferienwohnungskühlschranks gehörte sowie das Beschaffen von Frühstückssemmeln, wie die Weck im Fränkischen genannt werden. Beim Einchecken hatten wir gefragt, wo man denn hier Brötchen kaufen kann, hm, ja, nun, das wisse sie jetzt auch nicht so genau, hatte die nette Aushilfskraft geantwortet, aber wir könnten ja morgens rüberkommen und Semmeln aus dem Frühstücksraum des angeschlossenen Hotels holen, doch, ja, wenn sie so darüber nachdenke, dann sei das sicher gar kein Problem.

Der Semmel-Eklat

Es wurde dann aber doch eins, weil am nächsten Morgen nicht die freundlich-ahnungslose Aushilfe, sondern die Seniorchefin des Reiterhofs im Frühstücksraum das Kommando führte. „Woas wollt’s ihr, Semmeln mitnehmen?!“ fauchte der Drache und spuckte noch ein kleines Flämmchen Feuer nach: „Und koa Tütn hoam’s dabei!“ Woanders hätte man nun vielleicht erwidert, der Drache könne sich seine Semmeln sonst wohin stecken und sich die widerwillig ausgehändigte Tüte über die Hörner ziehen. Hier aber reichte es nur zu einem piepsigen „Okeee, morgen bringe ich eine Tüte mit“. Und das Reiterhof-Motto „Nicht zu Hause und doch daheim“ bekam plötzlich eine ganz neue Wendung.

Am Oarsch vorbei

Man hätte schon bei der Beschreibung „rustikal“ draufkommen können, dass das hier kein Erholungsheim für nervenschwache Mimosen ist. Rustikal ging es in der Tat zu auf dem Reiterhof, in jeglicher Hinsicht. Möglicherweise hat das etwas mit dem ständigen Umgang mit Pferden zu tun. Da war zum Beispiel Cheyenne, das schwarz-weiße Schulpferd, das auf ein höfliches „Könntest du mal bitte antraben?“ nicht reagierte. „Der haust am besten amol mit der Gerte auf’n Oarsch!“ empfahl die Reitlehrerin. Bei Pferden müsse man sich Respekt verschaffen und durchsetzen, sonst machen sie den Depp mit einem, hieß es. Eine Einstellung, die der Drache offenbar auch den Gästen gegenüber verinnerlicht hat. So gesehen hatte man noch Glück, dass der eigene Oarsch unversehrt blieb beim Semmeltüten-Vergessen. Bestimmt lag irgendwo hinter der Rezeption eine Gerte griffbereit.

Keine devote Schleimigkeit

Hat man sich erst mal an die Rustikalität gewöhnt, kann man dem Urlaub auf dem Reiterhof durchaus etwas abgewinnen. Am Ende schätzt man den rauen Umgangston und freut sich, wenn aus Stall oder Küche mal wieder ein herzerfrischendes „Halt’s Maul!“ oder „Scheiße!“ erschallt. Von devoter Schleimigkeit wie in anderen Herbergen keine Spur. „Ist alles recht bei Ihnen?“ fragt hier keiner. Die ganzen Semmeltüten-Vergesser haben stattdessen irgendwann den Drang, kleinlaut nachzufragen, ob sie beim Biomüll-Entsorgen alles richtig gemacht haben. Hanni und Nanni am falschen Mülleimer. Uiuiui. Könnte Konsequenzen haben. Großartig. Nächstes Jahr probieren wie es vielleicht doch mal mit Camp Consequence, Jacksonville, Florida.

Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten.

Die Kolumne

Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne „Ich sehe das ganz anders“ über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags.

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