Kolumnen Online-Kolumne: Wegschauen geht beim Schnitzel schlecht

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Wegschauen geht beim Schnitzel schlecht, sonst bekommen wir es weder aus dem Kühlregal in den Einkaufswagen, noch von dort aufs Band an der Kasse, in die Stofftasche-Einkaufstasche (Plastik ist ja pfui), heim in den Eisschrank, von dort aus dann in die Pfanne und schließlich von dort schön heiß auf den Teller. Wir sind es gewöhnt, Fleisch zu essen, auch wenn die Veganer- und Vegetarierfraktion immer größer wird.

Ich esse Fleisch, ich fahre Auto, ich fliege

Es ist so wie mit den Grünen. Die putzigen Weltverbesserer werden von der weniger renitenten Mitte ganz gerne in Kauf genommen. Als ließe sich damit das eigene Gewissen beruhigen. Ich esse Fleisch, ich fahre Auto, ich fliege dreimal im Jahr in den Urlaub, aber schön, dass es die Karottenmümmler, die Radfahrer und die Heimaturlauber gibt. Sie machen die Welt für alle ein bisschen netter. Und vielleicht haben sie ja auch recht.

Essen soll ein Genuss sein, egal, wer das Tier geschlachtet und zerkleinert hat

Aber, mit dem Kopf allein lässt sich auch nicht leben. Das liegt auf der Hand. Und wenn er nun eindeutige Signale bekommt, dass da mit dem Fleisch auf unseren Tellern etwas nicht stimmt, dann ist das gut so. Das Auge haben wir so weit dressiert, dass es gerne mitmacht. Die Zubereitung tierischer Produkte lässt nicht zu wünschen übrig. Es wird angerichtet, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Das kann und darf auch alles so bleiben. Essen soll ein Genuss sein, egal, wer das Tier geschlachtet und zerkleinert hat.

Ist es richtig im Kühlregal über alle Greuel hinwegzusehen?

Aber wenn wir das Thema schon mal haben, dann ist es dem Herzen nun doch auch mal erlaubt, zu fragen: Wollen wir das alles so, wie es ist? Ist es richtig, in den so fernen chinesischen Tiermärkten die Verursacher der Corona-Geisel zu verorten und im nahen Kühlregal über alle Greuel hinwegzusehen? Will niemand wissen, was das „Fleisch“ erlitten hat, bis es portioniert erworben werden kann? Es nützt auch nichts, nun in der Fleisches-Not auf Fisch umzusteigen. Denn auch in den Lachsfarmen würde es Revolutionen geben, könnten Tiere sich wehren.

Die Frau, die mit den Bäumen spricht

Kürzlich stand eine Frau im Park. Regungslos. Da ich mir nicht sicher war, ob sie Hilfe braucht, bin ich stehen geblieben. Sie hat sich entschuldigt bei mir. Sie rede mit den Bäumen … Pause … Das mache ich auch manchmal, habe ich gesagt. Oh, meinte sie, das ist aber schön, dass noch jemand so ist. Es ist alles mit allem verbunden, meinte sie. Und das sehe ich auch so.

Es geht nicht darum, Fleisch- oder Pflanzenfresser zu verurteilen

Es geht nicht darum, Fleisch- oder Pflanzenfresser zu sein – und das jeweils andere zu verurteilen. Es ist für alle Platz, aber es wäre schön, wenn wir beim Verzehr von Tieren das Herz nicht ganz ausschalten würden. Es muss ja einen Grund haben, warum Fleisch von glücklichen Tieren um ein Vielfaches teurer ist.

„Dieser wunderschöne Planet schenkt uns allen Nahrung. Die Erde ist in uns, in jedem Bissen, in der Luft, die wir einatmen, im Wasser, das wir trinken und das uns durchströmt. Genießen Sie es, Teil der Erde zu sein, und ernähren Sie sich in dem Bewusstsein, dass jeder noch so kleine Bissen ihre Verbundenheit zu diesem Planeten stärkt“, schreibt der 93-jährige Zen-Meister, Buddhist, Friedensaktivist und Autor Thich Nhat Hanh.

Die Autorin

Christine Kamm (54) aus Ludwigshafen arbeitet seit 2012 im Sportressort der RHEINPFALZ.

Die Kolumne

Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne „Ich sehe das ganz anders“ über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags. Hier finden Sie alle anderen Kolumnen.

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