Kolumnen Online-Kolumne: Rumgegurke

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Bis vor Kurzem hielt ich in Martini ersäufte Oliven für den Spitzenreiter in Sachen (un)trinkbare Kombinationen. Seit man mir neulich einen Gin Tonic mit Gurke reichte, sehe ich das ganz anders. Da war echt Gurke drin. Im Gin Tonic. Kein kleines Fitzelchen zur Deko am Rand, nein, richtig viele Gurkenscheiben mitten im Glas. Keine saure Gurke, das jetzt nicht, da sind keine übrig, die werden ja alle ungefragt in die Cheeseburger gestopft, nein, im „supertollen Drink für den Mädelsabend“, so wurde die Gin-Gurken-Brühe angepriesen, schwammen Salatgurken-Teile.

So frisch!

Hab„ ich natürlich alle rausgepfriemelt. Alles, was recht ist, aber ich möchte nicht, dass mir beim Trinken Salatgurkenscheiben durch die Zähne flutschen. „Aber das schmeckt wirklich gut, so frisch, probier doch mal!“ Nein. Danke. Gin Tonic mit Salatgurke ist eklig. Genau wie alle anderen Getränke mit Gurken drin. Wer was anderes behauptet, wurde einer Gehirnwäsche unterzogen. Mein unanfechtbares Argument: Würde es wirklich gut schmecken, wäre doch schon längst einer draufgekommen. Das Rumgegurke immer und überall ist aber ein relativ neues Phänomen.

Vermissen würde man sie nicht

Aus Salatgurken sollte genau das werden, was ihr Name vermuten lässt: Gurkensalat. Als solcher schmeckt die Gurke passabel, da angereichert mit Salatsauce. Ohne diese verliert die Salatgurke indes deutlich. Gut, sie knackt beim Reinbeißen. Aber dann? Salatgurken sind wie DJ Bobo. Man kann sie nicht wirklich hassen, dafür sind sie zu sympathisch, aber gottgleiche Verehrung dürfen sie halt auch nicht erwarten. Sie sind halt da. Wenn sie nicht da wären, wäre es auch gut.

Muttis Maske

Gurken scheinen aber derzeit in großen Mengen da zu sein. Wie sonst kann es sein, dass sie in Gin Tonic und andere nichtsahnende Getränke geworfen werden? „Ob mit oder ohne Alkohol – die schwimmende Gurke liegt derzeit voll im Trend“, quakt da ein Barmixer im Internet. Die schwimmende Gurke. Aha. Wie konnte es bloß soweit kommen? Was ist aus den Ananas, Beeren und meinetwegen auch Physalis mit ihrem ganzen Gestrüpp hintendran geworden, die bis vor Kurzem zur Anreicherung von Getränken gerne genommen wurden? Und warum versenkt man jetzt Gemüse in Trinkgläsern, das früher in Scheiben geschnitten der Mutti als Maske diente (essen wollte es ja keiner)? Das verstehe, wer will. Ich will schon, aber ich tu“s nicht.

Jetzt auch im Shampoo

Wollen die Gurken die Weltherrschaft an sich reißen? Möglich. Denn auch in der Körperpflege feiert die Gurke offenbar ein Comeback. An Sanddorn-Pimpernelle-Peelings hat man sich langfristig gewöhnt, doch jetzt gibt“s Gurken-Shampoo. Wirklich. Zum Beispiel das von der Firma Babaria. Die verkauft auch Knoblauch-Shampoo. Letzteres vielleicht ein Renner bei abergläubischen Bewohnern der Karpaten. Aber wer kauft das Gurken-Shampoo? Und die Zwiebel-Haarmaske? Die gibt“s nämlich auch. Gibt es womöglich inzwischen alles in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen? Und kann man sich das alles in die Haare schmieren? Vielleicht auch den Gin Tonic mit Gurke?

Erleuchtung beim Döner

Beim Döner essen ergab dann plötzlich alles einen Sinn. „Nimm du die Gurken, die mag ich nicht“, sagt das Kind beim Rauspfriemeln. Natürlich mag es sie nicht. Ist ja immer so. Ob Salatteller, Kinderschnitzel Pippi Langstrumpf oder Schweinsbraten mit Kruste, häufig, sehr häufig liegt irgendwo am Tellerrand ein Stück Gurke rum. Vielleicht zum Auffüllen, vielleicht als Eyecatcher, ich weiß es nicht. Da müsste man jetzt mal einen gestandenen Gastwirt fragen. Ist aber grad keiner da. Fakt ist: Die Gurkenstücke bleiben zu 99 Prozent auf den Tellern zurück, denn nicht immer ist die Mama dabei, der man sie rüberschieben kann und die sie dann pflichtbewusst mit geschlossenen Augen und an Deutschland denkend runterschluckt. Die verschmähten Gurkenstücke und -scheiben gehen alle zurück in die Küche. Und sollen sie wirklich alle in den Mülleimer? Wirklich? Wäre ja irgendwie nicht nachhaltig. Oder? Zum Glück gibt“s Gin Tonic… Nur so eine These von mir.

Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten.

Die Kolumne

Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne „Ich sehe das ganz anders“ über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags. Hier finden Sie alle anderen Kolumnen.

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